Alljährlich lesen wir, welchen Schaden Raubkopien der Spielebranche zufügen. TV- und Kinospots mit fragwürdigem Unterton wollen Angst schüren und Publisher mahnen, die Spiele müssten noch teurer werden, wenn es so weiterginge. Warum kopiert man aber Spiele? Wir sprachen mit einem "ganz normalen" Menschen über seine Erfahrungen.
Hallo, kannst Du dich bitte kurz vorstellen, damit unsere Leser eine ungefähre Einschätzung haben, mit wem sie es zu tun haben?
Also, ich bin inzwischen 26 Jahre alt, habe BWL studiert und bin jetzt für einen großen Publisher tätig, der sowohl PC- als auch Konsolenspiele entwickelt. Meinen Namen möchte ich aber lieber nicht sagen. (lacht)
Verständlich. Dann erzähl doch mal: Wie hat das Raubkopieren bei dir angefangen?
Zunächst eigentlich unbewusst, das war damals noch auf dem C64. Ich war in der Grundschule, wenn ich mich richtig erinnere, und es war damals natürlich auch noch nicht mein Computer, sondern der meines Vaters. Der wiederum hatte ihn von einem Freund bekommen, der sich etwas Moderneres zugelegt hatte und da hat er dann auch gleich die ganze Software bekommen. Das waren halt zig Spiele auf von Hand beschrifteten Disketten, aber damals wusste man gar nicht richtig, was Raubkopien sind, also haben wir die einfach unbewusst genutzt.
Wann ist dir klar geworden, dass Spiele eigentlich Geld kosten?
Das war, als ein Freund von mir ein NES bekam, glaube ich. Da gab es ja keine Raubkopien für, soweit ich weiß zumindest, und ich wunderte mich, dass er so wenig Spiele hatte.
Von diesem Zeitpunkt an war dir also klar, dass das Ganze illegal ist?
Naja, ob ich damals schon wusste, was legal und illegal heißt, weiß ich nicht mehr. Ich habe mir da auch nicht viele Gedanken drüber gemacht, glaube ich, weil es einfach ganz normal war, keine Spiele zu kaufen. Ich bekam später natürlich einen PC und in der Schule hat dann jeder mit jedem getauscht, das war eine Selbstverständlichkeit. Da konnte man auch schlecht sagen: „Ne, ich kann dir das Spiel nicht kopieren.“ Dann hätte man von seinen Freunden eins auf den Deckel bekommen. Wäre ja auch irgendwie blöd gewesen, weil es halt jeder gemacht hat.
Aber du hast Raubkopien nie verkauft oder gekauft?
Nein, verkauft nicht, das fand ich assozial. Es war halt ein gegenseitiges Austauschen, man kann das vielleicht als Vorstufe zu den heutigen P2P-Tauschbörsen sehen: Man bekommt nur etwas, wenn man auch selbst etwas abgibt. Gekauft habe ich irgendwann schon mal was – später, als es dann das Internet gab und Spiele auf CD rauskamen. Da hatte ich anfangs keinen CD-Brenner und wollte irgendwas aber unbedingt haben. Ich glaube, es war das erste ‚Tomb Raider‘ oder so. Jedenfalls habe ich da mal 5 Mark bezahlt. Ich glaube aber, das Spiel lief dann überhaupt nicht richtig oder es war ein billiger Rip ohne Musik und so.
Legal hast du nie Spiele gekauft?
Doch, natürlich! Aber nur Sachen, bei denen ich mir sicher war, dass sie mir gefallen würden. Und das war nur bei wenigen Spielen der Fall, vor allem weil man den Zeitschriften dann irgendwann nicht mehr vertrauen konnte. Wenn ich früher die Power Play gelesen habe, dann wusste ich genau, ob mir ein Spiel gefallen würde. Später bei den neueren Magazinen fehlte für mich die Glaubwürdigkeit – die haben so bewertet, wie die Publisher es gerne wollten, glaube ich.
Du willst Zeitschriften für Raubkopien verantwortlich machen? Es gibt doch auch Demos?
Demos sind so kurz, was soll man daraus schon ableiten? Verantwortlich machen wäre vielleicht zu krass formuliert, aber guck dir doch mal an, was damals und heute da abläuft: Auf jedem Magazin steht irgendwas von „exklusiv“, jedes Spiel wird Jahre vor dem Release schon als das nächste Weltwunder gefeiert. Wie soll man da noch was glauben?
Hat das Internet den Raubkopien zum Durchbruch verholfen?
Würde ich nicht sagen. Davor wurde genauso raubkopiert, nur hat man es da mehr untereinander verteilt. Als es dann das Internet und Sachen wie Edonkey gab, da konnte halt jeder sich selbst seine Raubkopien besorgen. Das hat nicht so den Unterschied gemacht, denke ich. Zumindest bei Spielen. Bei Filmen und Musik sieht das sicher anders aus. Bei mir hat das Internet allerdings auch zu einem Umdenken geführt.
Wie das?
Naja, ich habe mal eine Weile wirklich fast jedes Spiel gezogen – soviel, dass ich sie überhaupt nicht mehr alle spielen konnte. Ich habe mich erst immer total darauf gefreut und es dann nur mal kurz installiert und vielleicht fünf Minuten angeguckt. Ich hatte einfach keine Lust mehr. Das war so eine Art Sammlertick: Ich musste alles haben, aber brauchte es gar nicht. Als ich das gemerkt hatte, habe ich aufgehört mit dem Spieleziehen und mir vorgenommen, wieder Spiele zu kaufen. Und auf einmal hat mir Spielen dann auch wieder viel mehr Spaß gemacht, weil ich den Wert des Spiels zu schätzen wusste und es irgendwie etwas Besonderes war, eine Packung und eine echte CD in der Hand zu halten.
Und jetzt aus Publishersicht: Teilst du die Befürchtungen, dass Raubkopien die Branche kaputt machen könnten?
Puh, schwierig. Ich habe natürlich nicht so den Einblick in die Zahlen, aber persönlich möchte ich meinen, dass ohne Raubkopien auch nicht mehr Spiele verkauft würden. Denn überleg mal: Wo soll das Geld denn herkommen? Die Leute haben eh schon so wenig und die guten Spiele habe zumindest ich mir ja auch immer gekauft. Diese Rechnung, dass jede Raubkopie ein verkauftes Spiel weniger bedeutet, ist auf jeden Fall Quatsch. Aber, wie gesagt, heute würde ich auch nicht mehr raubkopieren – einfach weil es für mich das Spielen kaputt gemacht hat.
Vielen Dank für das Gespräch!