Welche Bedeutung hat die Story für ein Spiel und woher stammt überhaupt die Faszination der Menschen für das Geschichtenerzählen? Passen eine lineare Geschichte und ein interaktives Spiel überhaupt zusammen? Diesen Fragen sind wir nachgegangen. Außerdem haben wir jemanden gefragt, der sich mit sowas auskennt: Claudia Kern, die gerade an der Story für ‚Darkstar One‘ arbeitet, stand uns im Interview Rede und Antwort.
Mythos damals wie heute
Das ursprüngliche Bedürfnis des Menschen war, das Wahrgenommene zu begreifen. Auch in unserer aufgeklärten Gesellschaft ist dieses Bedürfnis präsent, und zwar deswegen, weil die erste und ewige Frage nach der eigenen Identität (wer bin ich? Wohin gehe ich?) nur in Zusammenhang mit der Außenwelt eine Antwort bekommen kann. Zuerst musste der Mensch also die Erklärung für das finden, was ihn umgibt, um sich selbst zu bestimmen. Aus diesem Grund entstanden die Mythen. Die ägyptische, die griechische, die keltische und später die nordische Mythologie setzt sich mit der Welt, den Ereignissen, der Natur und dem Menschen auseinander. Die Macht, das Unbekannte (Übernatürliche, Fremde), das Gute (Liebe, Ethik) und das Böse (Hass, Bedrohung), die menschliche Handlung und die Beziehungen zwischen den Menschen und den Göttern (sowie anderen Wesen) stehen im Mittelpunkt.
Die modernen Geschichten sind nur eine Fortsetzung des Mythischen. Die Zeit und die Orte sind real, meistens bestimmt oder angedeutet, die Motive und die Personen sind zeitgemäß verpackt, die Handlung ist wiedererkennbar oder geheimnisvoll, aber im Grunde genommen sind es dieselben Elemente und Ereignisse, die auch die alten Völker beschäftigten.
Das Phantastische
Die direkte Verbindung zum Mythos schaffen jedoch die Märchen und die Fantasy–Literatur, weil sie eine Phantasiewelt als Ort des Geschehens haben, oder neben der realen, eine wunderbare Welt bzw. Geschehen (Märchen) beinhalten. Die Symbolik der Motive ist in Fabelwesen und wunderbare Gegenstände eingesetzt.
Der moderne Mensch kann die Beziehung zu den Geschichten der alten Welt nicht brechen, und das zeigt sich in der großen Faszination, die sie bei ihm erzeugen. Der Karneval, die Verkleidung, das Rollenspiel, die Filme und die Bücher lassen den Menschen in eine phantastische Welt eintauchen und ein anderes Segment seiner Person entdecken. Beispiele für diese Begeisterung sind ’Herr der Ringe’, ’Star Wars’ und ’Harry Potter’.
Eine gute Basis für das Ausleben dieser Faszination bietet die virtuelle Welt. Die Spiele basieren auf einer Geschichte, deren phantastische Welt in der Lage ist, die wichtigsten Merkmale des Mythos umzusetzen: Die zwei großen Prinzipien; das Gute und das Böse, das Heldentum sowie das Wunderbare. Außerdem sollte das Spiel – theoretisch gesehen – eine stärkere Wirkung der Geschichte im Vergleich zum Buch oder Film erlauben, aber ist das auch so?
Sich identifizieren <br />
Man geht also in diese Welt hinein. Der Leser, der Zuschauer sowie der Spieler wird sich anhand der Geschichte mit einem Charakter identifizieren können. Denn die Möglichkeit der Identifizierung mit einem (Roman-, Film- und Spiel-) Helden ist eine natürliche Wirkung einer guten Geschichte. Nun, im Unterschied zum Buch und Film erlaubt das Spiel eine persönlichere Beziehung zum Spielcharakter: Der Spieler kann ihn selbst gestalten und zum Beispiel seine Kleidung und Eigenschaften wählen. Deswegen ist es für den Spieler einfacher, sich in diesen Charakter hineinzuversetzen bzw. so zu handeln und zu entscheiden, wie es dem Charakter entspricht. Geht das aber in Übereinkunft mit der Spielgeschichte? Wie läuft sie weiter?
Handlung und Entscheidung<br />
Das sind die zwei wichtigen Bestandteile sowohl der Geschichte als auch des Spiels. Nur die Bedeutung der Handlung und der Entscheidung in der Story und im Spiel ist grundsätzlich verschieden. Die Geschichte an sich ist linear, sie bewegt sich also in eine gerade, bestimmte Richtung des Geschehens. Das Handeln und die Entscheidungen des Helden machen die Geschichte aus und der Leser bzw. der Zuschauer verfolgt sie so wie sie sind.
Im Spiel ist es anders. Der interaktive Charakter des Spiels erlaubt dem Spieler einige Entscheidungen und damit das Gefühl des freien Willens. Die Geschichte richtet sich nach dem Handeln des Spielers und auf diese Weise ist sie nicht linear. Sie verläuft in die Richtung, die ihr der Spieler gibt. Der Zusammenhang zwischen der Geschichte und dem Spielen bleibt in den Adventures wohl am sichtbarsten erhalten.
In einem MMORPG hingegen ist das nicht möglich, weil in dieser Art der Spiele die Differenz zwischen dem Sinn der Geschichte (Höhepunkt, Wende, Ende) und dem des Spieles (Handeln, Entscheidung, Spaß, Dauer) unüberbrückbar wird.
Geschichte und Spiel – ein Kompromiss?<br />
Vielleicht wird aber gerade am Beispiel von Onlinespielen mit ihren vielen Teilnehmern die wichtigste Eigenschaft von Spielstorys deutlich. Der Spielcharakter bewegt sich in dieser Welt, bekommt seine Aufgaben (Kampf, magische Gegenstände), entdeckt neue Wesen und Regionen, hat seine Verbündeten und Gegner klar vor Augen, baut auf seine Fähigkeiten und seine Ausrüstung und handelt auf diese Weise in der Geschichte. Die Geschichte aber bleibt stehen und wird in den Hintergrund geschoben. Der Höhepunkt, die Wende und das Ende bleiben aus. Die Geschichte in diesen Spielen hat eine andere Aufgabe: Den Spieler in die Welt einzuführen, ihm mit dem wohlbekannten Mythischen und Phantastischen in Verbindung zu setzen, die Identifikation mit seiner Figur zu intensivieren und ihm zum Handeln und Entscheiden anzuspornen. Und wenn die Faszination für die Geschichte erreicht ist, hört die Story auf, die Faszination für das Spiel setzt ein und das Spiel läuft weiter.
Ich weiß nicht ob der Spieler damit langfristig glücklich ist, aber das Spielen macht wahrscheinlich weiterhin Spaß, was der Sinn des Spieles ist. Oder wie Claudia Kern im Interview formuliert: „Die Hintergrundgeschichte steht schließlich nicht im Mittelpunkt des Spiels, sondern ist nur ein Teil des Spielspaßes. Zehnminütige Monologe würden einen Spieler langweilen, während ein einminütiger Einschub, der die Atmosphäre für die nächste Mission deutlich macht, eine Bereicherung für das Spiel ist.“
Da also deutlich geworden ist, dass Geschichte und Spiel verschiedene Ansprüche haben, kann entweder das eine oder das andere seine Funktion ganz erfüllen. Deswegen ist im Idealfall ihr Zusammenhang ein angenehmer Kompromiss. Wie die Zukunft der Umsetzung der Spielstorys aussehen wird, müssen wir abwarten. Wie dem auch sei: Die Faszination für Geschichten und für Spiele wird noch lange erhalten bleiben und wird sowohl den Kreativen als auch den Profitorientierten weiterhin Freude bereiten.