Bevor Claudia Kern sich als hoch geschätzte Autorin in der phantastischen Literatur einen Namen machte, arbeitete sie als Chefredakteurin für das Science-Fiction-Magazin Space View. Nach ihrer Tätigkeit als Redakteurin bei ProSieben widmete sie sich ganz dem Schreiben. Unter anderem hat sie in Zusammenarbeit mit Bernd Frenz die Vorgeschichte für ’S.T.A.L.K.E.R.’ geschrieben. Momentan arbeitet sie an der Hintergrundgeschichte für Ascarons ’Darkstar One’.
Hallo Claudia. Du genießt bei Kennern der phantastischen Literatur ein hohes Ansehen. Schließlich hast du an Ausgaben so bekannter Serien wie ’Perry Rhodan’, ’Maddrax’ oder ’Professor Zamorra’ gearbeitet. Was reizt dich gerade am Genre der utopischen Literatur?
Die Freiheiten, die man sich nehmen kann. Nichts ist unmöglich, solange man es im Rahmen der Welt, die man erschafft, logisch erklärt. In der Phanastik kann man jede Vorstellung, die man hat, irgendwie ausleben und umsetzen. In anderen Literaturzweigen geht das nicht so einfach.
Und hat die Vorliebe für diese Thematik vielleicht etwas mit deiner Biographie zu tun?
Sicherlich. Ich war als Kind oft krank und habe deshalb sehr viel gelesen und ferngesehen. Mein Onkel besaß eine Sammlung von SF-Romanen, die noch auf dem Dachboden in Kartons standen, die habe ich praktisch eingeatmet. Robert A. Heinlein, Ray Bradbury, Isaac Asimov… das waren die Klassiker, mit denen ich aufgewachsen bin. Im Fernsehen liefen ’Star Trek’ und Mondbasis Alpha Eins und im Kino ’Star Wars’. Mein Gehirn wurde also von frühester Kindheit an mit Phantastik kontaminiert.
Wer dich kennt, der weiß, dass du neben deiner schriftstellerischen Tätigkeit auch als Übersetzerin englischsprachiger Literatur arbeitest. Jetzt kommt außerdem die Berufung zur Geschichtenschreiberin für ein Computerspiel hinzu: ’Darkstar One’. Du darfst ein komplettes Universum mit Leben erfüllen – eine Herausforderung?
Und wie. Die Anforderungen für ein Spiel sind ganz anders als die für einen Roman oder eine Kurzgeschichte. Man muss sich in den Spieler hineinversetzen und sich fragen, wieviel Geschichte er wirklich braucht und auch möchte. Schließlich will man als Spieler ja spielen, während ein Leser lesen will. Das sind ganz andere Prioritäten.
Gibst du uns bitte einen Einblick in den Plot der ’Darkstar One’-Geschichte?
In ’Darkstar One’ geht es um einen jungen Piloten, der den Mörder seines Vaters sucht. Dabei gerät er zwischen die Fronten verschiedenster außerirdischer Völker und eines drohenden galaktischen Krieges.
Wie funktioniert eigentlich die Implementierung einer Hintergrundgeschichte in das Spiel technisch? Bedeutet das eine Umstellung für deine gewohnte Arbeitsweise?
Natürlich. Als Autorin muss ich mich normalerweise nicht mit der technischen Machbarkeit von Szenen befassen. Wenn ich einen Planeten in die Luft jagen will, mache ich das einfach. Dadurch wird das Papier, auf dem der Roman gedruckt wird, nicht teurer. Bei ’Darkstar One’ sieht das ganz anders aus. Da taucht immer wieder die Frage auf, ob sich eine Idee umsetzen lässt, und ob es überhaupt nötig ist, sie umzusetzen. Die Hintergrundgeschichte steht schließlich nicht im Mittelpunkt des Spiels, sondern ist nur ein Teil des Spielspaßes. Zehnminütige Monologe würden einen Spieler langweilen, während ein einminütiger Einschub, der die Atmosphäre für die nächste Mission deutlich macht, eine Bereicherung für das Spiel ist.
Diese Frage stellt sich auch hinsichtlich des Konzepts der Handlung und der Dramaturgie. Ist das noch mit dem eines Romans vergleichbar?
Ja, die Dramaturgie einer Geschichte bleibt gleich, egal, ob man einen Roman, einen Film oder ein Spiel schreibt. Überzeugende Figuren, eine spannende Handlung und eine gut konzipierte Welt bilden das Fundament einer jeden Geschichte. Daran ändert sich nichts, ob es sich um einen mittelalterlichen Geschichtenerzähler auf dem Marktplatz handelt oder um einen Multimillionen-Dollar-Film im Multiplex.
Gib uns Neugierigen doch dazu bitte einen kleinen Einblick in den Ablauf der Zusammenarbeit mit Daniel Dumont von Ascaron, damit wir uns das besser vorstellen können.
Am Anfang haben wir oft telefoniert und gemailt, um die Grundzüge der Geschichte und der Welt festzulegen. Das hat unheimlich Spaß gemacht, weil man unterschiedliche Ideen ausprobieren konnte. Für mich war vor allem wichtig zu verstehen, wie sich ein Spiel von anderen Projekten unterscheidet. Mittlerweile ist die Zusammenarbeit sehr routiniert geworden. Daniel schickt mir Missionsabläufe, ich gestalte die Dialoge und gebe Feedback, er liest meine Sachen und gibt mir wieder Feedback. Dann gebe ich Feedback auf das Feedb… nein, meistens endet der Mailwechsel an diesem Punkt. (lacht)
Was glaubst du, was die Hintergrundstory eines Spiels für das Spiel selbst bedeutet?
Durch die Hintergrundstory wird ein Spiel erst richtig rund. Selbst ein so simples Spiel wie ’Space Invaders’ gibt dem Spieler einen Rahmen vor, in dem die Missionen Sinn machen. Da heißt es: Du musst die außerirdischen Invasoren aufhalten, sonst machen sie die Erde platt. Das ist vielleicht nicht gerade Shakespeare, aber es gibt dem, was ich im Spiel tue, einen Sinn. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Als Spieler muss man wissen, für was man kämpft, sonst verliert man schnell die Lust.
Sind eigentlich Buchauskoppelungen von ’Darkstar One’ geplant?
Soweit ich weiß, denkt man darüber nach.
Lass uns über dein zweites spielbezogenes Werk sprechen. Zusammen mit Bernd Frenz hast du die Vorgeschichte in Romanform zu ’S.T.A.L.K.E.R. – Shadow of Chernobyl’ geschrieben. Um was geht es darin und handelt es sich dabei um eine Fortsetzungsreihe?
’S.T.A.L.K.E.R. – Todeszone’ ist ein Prequel zum dem hoffentlich in diesem Jahr endlich (!) erscheinenden Spiel. Es geht um einen jungen Deutschen, der als einziger das rätselhafte Verschwinden eines Touristenbusses in der Nähe von Tschernobyl überlebt. Schon bald wird klar, dass dies nur der Anfang unheimlicher und gefährlicher Ereignisse ist. Der Roman soll der erste Teil einer Trilogie werden, aber das hängt natürlich auch ein wenig vom Erscheinen des Spiels ab.
Verknüpft ihr in diesem Buch die realen Ereignisse der Katastrophe des Reaktorunglücks von 1986 mit Fiktion?
Der Rahmen der Geschichte wird ja von GSC vorgegeben, und diese Mischung ist ja eines der Fundamente des Spiels.
Die jahrelangen Arbeiten an der Fertigstellung des PC-Spiels durch GSC haben sich zur unendlichen Story entwickelt. Nicht wenige bezweifeln sogar, dass ’S.T.A.L.K.E.R’ jemals fertiggestellt wird. Wäre es nicht komisch, dass zwar die vorhergehenden Ereignisse aufgeschrieben wurden, die Handlung des Spiels vielleicht niemals erzählt werden wird?
Irgendwie schon. Zum Zeitpunkt, als wir mit der Arbeit begannen, sah es noch so aus, als würde das Spiel Mitte 2005 erscheinen, doch das ist leider nicht passiert. Man munkelt ja, dass es dieses Jahr endlich so weit sein soll, aber so richtig überzeugt ist niemand davon. Müssen wir wohl abwarten. Auf der anderen Seite wäre es auch ganz witzig, die Trilogie ohne das Spiel zu beenden: „die Romane zum Spiel, das es nie gab.“ (lacht)
Na ja, aber spielen würde ich es schon sehr gern.
Zum Schluss möchte ich dich noch etwas über die Wirkung der Musik fragen, vor kurzem haben wir uns mit diesem Thema beschäftig. Während in Film und Spielen sich die Kreativen nach Bedarf der zahlreichen Möglichkeiten bedienen, die Musik und Sound bieten, bleibt dies in der Literatur dem CD-Player des Lesers überlassen. Mit deinem Beitrag zur ’Darkstar One’-Story kommt ja zudem die Musik buchstäblich ins Spiel. Wie wichtig ist Musik für dich persönlich und in Zusammenhang mit deinen Geschichten?
Für mich ist Musik während des Schreibens sehr wichtig. Sie passt meine Stimmung der Szene an, die ich gerade schreibe. Es metzelt sich gut zu Rage Against the Machine, zu einer deftigen Schlägerei passt Fun Punk wie Rancid, und wenn getrauert wird, sorgt Radiohead für das richtige Stimmungstief. Manche Autoren gehen ja sogar so weit, Soundtrack-Richtlinien zu ihren Geschichten zu veröffentlichen, aber ich denke, man sollte die Leser nicht bevormunden.
Welche zusätzliche Wirkung kann die passende Musik deiner Meinung nach zu einer Geschichte beim Spieler – oder lass uns wieder in die Welt der Romane zurückgehen – beim Leser von utopischer Literatur erzeugen?
Sie kann stimmungsverstärkend, aber natürlich auch stimmungsschwächend sein. Man stelle sich nur mal vor, in der tragischen Schlussszene von Titanic, wenn DiCaprio ertrinkt, würde man den Quietsche-Entchen-Song aus der Sesamstraße spielen. Das wäre nicht gerade hilfreich. (lacht)
Die Wirkung von Musik ist gerade bei einem visuellen Medium wie einem Spiel oder einem Film enorm. Im Buch hat man sprachlich jedoch viel größere Möglichkeiten (durch Gedankenbeschreibungen, innere Monologe, Wortwahl, etc.), da spielt Musik für die Leser keine so große Rolle.
Claudia, vielen Dank für das Gespräch.