Ich fühle mich wieder einmal bestätigt. Als vor einigen Monaten klar wurde, dass Double Fine mit dem Kickstarter-Geld nicht auskommen und Broken Age auf zwei Releases verteilen würde, war in vielen Foren Feuer am Dach. Zeter und Mordio wurde geschrien, gespottet, ein Flop ausgerufen. Ich konnte die Hysterie nicht nachvollziehen, denn als Backer hatte ich die Entwicklung des Spiels über die hervorragende Dokumentation von 2 Player Productions verfolgt und war mir sicher: Hier streckt sich ein sehr talentiertes Team nach der Decke und tut sein Bestes. Jetzt ist der erste Akt von Broken Age (offiziell als Beta) da. Und der gibt allen vollkommen recht, die gelassen geblieben sind: also mir.
Broken Age ist ein ganz großartiges Adventure geworden. Allein dieses unvorhersehbare Storyskript! Es lässt uns in gut bemessenen Abständen in neue Gefilde vordringen, die völlig anders als die davorliegenden sind und sich doch bruchfrei in eine logische Linie fügen, nur um dann mit einem Knall zu enden, der Kinnladen nach unten fallen lässt. Und das ist nicht schnell dahin gesagt, das ist mir am Ende so ziemlich zum ersten Mal in meinem Leben tatsächlich spontan passiert.
Die herrlichen Areale werden bevölkert von originellen Charakteren, die man gerade lang genug kennenlernt um zu bemerken, dass die meisten von ihnen vielleicht auch eine eigenständige Geschichte tragen würden. Etwa der Hipster-Holzfäller, der sich mit den Bäumen seines Waldes angelegt hat. Oder der von (Jack Black vertonte) Sektenführer, der seine Anhänger in ein Leben in den Wolken führt. (Ich wäre gespannt, wie und ob der Gag mit dem in Hinsicht Erleichterung/Erleuchtung doppeldeutigen Wort „Enlightenment“ ins Deutsche gerettet wurde – vielleicht mag ja jemand das posten, der es mit deutschen Untertiteln gespielt hat.) Diese Umgebungen sind allesamt gut voneinander abgetrennt. Dass man noch einmal zurück muss, um vorwärts zu kommen, kommt eigentlich kaum vor.
Liebenswerte Protagonisten
Broken Age ist aber nicht einfach nur abgedreht und schräg, womit sich andere schon oft zufrieden geben. Das liegt an seinen Protagonisten, die der erkundeten Welt einen Sinn verleihen. Der Junge Shay (von Herr der Ringe-Star Elijah Wood gesprochen), der sich auf einer einsamen Raumstation von seinen allzu fürsorglichen „Eltern“ zu emanzipieren versucht, die ihn vor der „echten“ Welt abschotten, um ihn zu behüten. Dementsprechend ist sein Part im Spiel auch wesentlich isolierter. Das kecke Mädchen Vella hingegen hat den Road Trip-Teil bekommen, in dem man ständig neue Gegenden erkundet, während sie gegen unhinterfragte Traditionen rebelliert, um vielleicht eine andere Welt zu ermöglichen, die ihr besser gefällt. Ich erwarte von Double Fine ja eh schon nur die schönsten Charaktere, aber besonders Vella hat mich trotzdem noch positiv überrascht.
Was für die Charaktere natürlich von großer Bedeutung ist, ist ihre Animation. Ihr ausdrucksstarkes, vielfältiges Mienenspiel macht die Dialoge emotionaler als die oft immergleichen Blicke anderer Adventures. Dezente Kamerafahrten und -schnitte tun das übrige für die Dynamik der unterhaltsamen Gespräche. Der von Nathan „Bagel“ Stapley geprägte Art Style ist unverwechselbar und einzigartig. Dass die 2D-Figuren dynamisch auf Beleuchtungsquellen reagieren ist gerade angesichts des doch aufwändig texturierten Grafikstils auffällig gut gelungen. Kein Wunder ist dabei, dass Broken Age nicht wie einst gedacht binnen weniger Monate fertiggestellt werden konnte: Schöner sah bisher kein Adventure aus. Mit dieser Perfektion und dem damit verbundenen hohen Aufwand dauert es nunmal lange, Content auszuarbeiten.
Kein Frust und keine Routine beim Knobeln
Broken Age ist kein Puzzle-lastiges Adventure. Dass jemand frustriert an einer Stelle hängenbleiben wird, halte ich für unwahrscheinlich. Aber der Rätsel-Part gefällt mir trotzdem sehr gut. Erkundungs-, Kombinations-, Dialog- und Manipulationspuzzles werden erfrischend miteinander kombiniert. Dabei wurde ich nie daran erinnert, dass man so ziemlich alles, was es an Knobeleien in einem grafischen 2D-Adventure geben kann, in den bisherigen drei Jahrzehnten der Genregeschichte wohl schon einmal gesehen hat. Sich routiniert durch eine Passage klicken zu müssen, das tut Double Fine uns nicht an. Stattdessen setzte man ein paar etwas schwierigere und komplexere Schwerpunkte mit richtig gut durchdachten Rätseln und unterhält uns mit dem Rest kurzweilig, der sich eher im Vorbeigehen lösen lässt.
Der Preis dieser Vorgehensweise ist, dass Broken Age eher kurz geraten ist. Den ersten Akt hatte ich nach etwa dreieinhalb Stunden durch – also etwas schneller als den von Baphomets Fluch 5, aber etwas länger als eine normale Episode eines Telltale-Games wie The Walking Dead. Wer kein Backer ist und das Spiel nun vor seinem öffentlichen Release am 28. Jänner kauft, zahlt aber auf Steam auch nicht mehr als 20,7€ dafür. Akt 2 ist im Preis selbstverständlich inkludiert.
Erwartungen erfüllt
Broken Age hatte die Last zu tragen, das Posterchild von Kickstarter zu sein und gleichzeitig all der romantischen Verklärung gerecht zu werden, die der Gedanke an frühere Tim-Schafer-Adventures automatisch bei jedem Genrefan auslöst. Umso imposanter ist, dass es selbst die höchsten Erwartungen noch voll erfüllt. Hier wird durchwegs unterhaltsame Kost von herausragend guter Qualität angeboten. Wer das nicht genießen kann, sollte sich ein anderes Hobby suchen. Falls ihr es nicht schon in der Entwicklung unterstützt habt, ist mein Rat deshalb logischerweise: Zieht los und kauft es.
Broken Age erscheint für Windows, MacOS und Linux am 28. Jänner, der zweite Akt kommt als freies Update im März oder April. Offiziell ist das Spiel bis dahin im Beta-Status, erwartet also den ein oder anderen Bug. (In unserem Test kam allerdings keiner vor.) Versionen für Android und iOS folgen.