Es ist interessant, wie sehr sich Spielepublisher noch immer an Film- und Fernsehlizenzen klammern, sind es doch häufig gerade diese Titel, die dem Medium Spiele seine Grenzen aufzeigen. Ein guter Film oder eine gute TV-Serie gibt eben nicht automatisch ein gutes Spiel her, lässt sich bisweilen nicht einmal ohne Einschränkungen umsetzen. Gespannt beobachtete ich also, wie es The Adventure Company gelingen würde, das Gleiche mit einem Buch zu versuchen: Agatha Christies ‚Und dann gab’s keines mehr‘.
Elf Freunde sollt ihr sein
Ein jeder kennt die Geschichte: Zehn Menschen werden von einem unbekannten Gastgeber auf eine einsame Insel eingeladen, von der es kein Entkommen gibt. Nach und nach stellt sich heraus, dass jeder der Besucher kein lupenreines Gewissen hat und sich der nicht ganz so freundliche Gastgeber als Richter aufspielt: Einer der Gäste nach dem anderen wird umgebracht. Um die Identität des Mörders nicht vorweg preiszugeben und euch die Dinge „von außen“ betrachten zu lassen, musste Autor Lee Sheldon (‚Master Lu‘) allerdings ein paar Änderungen gegenüber der Vorlage vornehmen: Der Bootsmann Narracot wurde als elfter Inselbesucher hinzugefügt, in dessen Rolle ihr Licht ins Dunkle bringt.
Wer war es?
‚Und dann gab’s keines mehr‘ ist ein klassisches Adventure, das eigentlich prädestiniert für eine solche Geschichte scheint, und doch stoßen die Entwickler stärker denn je an die Grenzen dessen, was ein Spiel zu leisten im Stande ist. Das beginnt mit den zehn Figuren, welche die Insel unfreiwillig bevölkern: Während es in einem Buch möglich ist, auf jeden der Charaktere näher einzugehen und ihn in Ruhe vorzustellen, kann sich ein Spiel nicht unendlich viel Zeit nehmen. Das hat zur Folge, dass ihr vor allem bei den ersten Morden überhaupt nicht wisst, wer da eigentlich gestorben ist und was derjenige für ein Mensch war – obwohl das Spiel schon weitaus mehr Text enthält als jedes andere Adventure der letzten Zeit.
Versteckte Texte
Dabei versucht es ‚Und dann gab’s keines mehr‘ im Grunde recht geschickt, einen gesunden Mittelweg zwischen Textüberflutung und Informationsmangel herzustellen: Während die meisten Gespräche mit den Mitstreitern (oder Gegnern) Pflicht sind, liegt alles Weitere in eurer Hand. Ihr müsst also nicht das Haus bis in kleinste Detail erforschen, jeden Brief lesen und in Tagebüchern herumschnüffeln. Lediglich die zur Lösung der Rätsel notwendigen Gegenstände werden logischerweise benötigt. Und doch, selbst wenn man wirklich jede Kleinigkeit liest und beobachtet, kommt man nicht umher, zu denken, wie star die Geschichte doch präsentiert wird. Kommen im Buch die Charakterzüge und Hintergründe sinnvoll in verschiedensten Gesprächen und Situationen zu Tage, wirkt im Spiel fast jeder Satz ein bisschen aufgesetzt. Das beginnt schon mit der Vorstellung der Figuren: Ein kurzer Spruch und, zack, schon gilt der Charakter als beschrieben. Das ist viel zu oberflächlich.
Die Ruhe selbst
Allgemein lässt es ‚Und dann gab’s keines mehr‘ an Tiefe, an Emotionen vermissen. Die Besucher werden bedroht, sie sind von der Außenwelt abgeschnitten, einige sterben, aber doch wirken alle ganz ruhig – man wünscht sich sogar noch einen schönen Abend, wenn vor den Füßen die Leiche des neuesten Opfers liegt. Vielleicht sind es gar nicht so sehr die Limitierungen eines Spiels als vielmehr die Regeln, an die sich ein klassisches Adventure zu halten hat, die so stören. Nach dem Auffinden eines Toten sollte man Unruhe, Diskussionen, Hektik, Aufregung erwarten. Aber stattdessen sitzt jeder brav an seinem Platz und wartet darauf, dass der Spieler ihn befragt. Warum sich ausgerechnet Narracot als Detektiv betätigen muss, wo sich doch unter anderem ein Polizist und Richter auf der Insel befinden, wird ebensowenig klar.
Das etwas andere Adventure
Dennoch, trotz allem, kann ich nicht leugnen, dass ‚Und dann gab’s keines mehr‘ ein gutes und spannendes Spiel geworden ist. Wer das Buch nicht kennt und gerne auf Mördersuche geht, ohne besonders schwierige Rätsel lösen zu müssen, kann mit dem bis heute besten TAC-Adventure nichts falsch machen. ‚Und dann gab’s keines mehr‘ steht eben nicht in der Tradition von ‚Baphomets Fluch‘, sondern orientiert sich stark an ‚Gabriel Knight 3‘ und Frogwares letztem ‚Sherlock Holmes‘-Titel. Es ist kein perfektes Spiel und zeigt vor allem, dass Bücher vielleicht besser Bücher bleiben sollten – doch für ein paar spannende Winterabende ist es bestens geeignet.