Die Underground-Kultur, wie es so schön heißt, wurde schon zum Thema dutzender Spiele: Die ‚Tony Hawk‘-Reihe etwa macht seit Jahren nichts anderes, als den hippen Skateboardern dieser Welt ein virtuelles Zuhause zu bieten. ‚Need for Speed‘ widmete sich illegalen Straßenrennen und in ‚Grand Theft Auto: San Andreas‘ durften Möchtegern-Gangster zum Kopf einer Gang aufsteigen. Damit hat man alle Aspekte des Undergrounds gesehen, könnte man meinen – aber nein, es gibt ja noch das Graffitisprühen. Damit auch dessen Fans von der Straße ferngehalten werden, hat The Collective ‚Marc Ecko’s Getting Up‘ entwickelt, das an eine Mischung aus ‚Prince of Persia‘ und ‚Jet Set Radio‘ erinnert.
Allein in einer kaputten Welt
Aber der Reihe nach: Ihr spielt Trane, einen Graffitikünstler, der in der futuristischen Großstadt New Radius lebt. Weil Trane eigentlich nichts zu tun und nicht den ganzen Tag in der Wohnung rumhängen kann, geht er halt nach draußen und sprüht, was das Zeug hält. Nebenbei prügelt er sich mit anderen Gangs, welche die Welt ebenso mit ihren „Kunstwerken“ verschönern wollen, und deckt eine Verschwörung von gewaltigen Ausmaßen auf. Das Übliche also.
‚Marc Ecko’s Getting Up‘ besteht daher im Wesentlichen aus zwei Elementen, welche das Denken und Handeln des Protagonisten steuern: Er sehnt sich nach Respekt für seine Künste und muss sich gleichzeitig mit der Konkurrenz im wahrsten Sinne des Wortes herumschlagen, die natürlich ebenso die Stadt beherrschen will. Tranes Ziele sind daher klar: Immer schönere und größere Tags entwerfen und die der Gegner übersprühen oder verunstalten. Natürlich ist Graffiti aber nicht gleich Graffiti: An eine Hausmauer oder einen stehenden Zug kann schließlich jeder etwas sprühen – in schwindelerregender Höhe oder auf fahrenden Zügen aktiv zu sein, das ist Tranes Ding. Gesprüht wird sehr simpel mit dem Analogstick; wer schnell ist und keine Farbe tropfen lässt, bekommt Bonuspunkte.
Atemberaubende Aufgaben
Es gelingt dem Spiel dabei gut zu vermitteln, welchen Gefahren Graffitikünstler ausgesetzt sind, wie sie für das Ansehen ihr eigenes Leben riskieren und sich noch dazu viele Feinde machen. Das ist vor allem dem überwiegend starken Leveldesign zu verdanken: Natürlich sind die Kletterpassagen nicht so komplex wie in einem ‚Prince of Persia‘, aber in Anbetracht der geringen Möglichkeiten, welche eine städtische Umgebung bietet, wirken diese Abschnitte nie künstlich. Ihr klettert über Feuerleitern auf Balkons, steigt Regenrinnen hinauf, kraxelt an den Stahlgerüsten von Brücken entlang – nur um ein möglichst beeindruckendes Tag mit eurem Namen irgendwo anzubringen. Tranes Intuition, die sich per Knopfdruck aktivieren lässt, weist euch dabei stets den Weg.
Auch das Kampfsystem erfüllt seinen Zweck: Mit Schlägen und Tritten erwehrt ihr euch Angriffen, nehmt Gegenstände auf, um eure Widersacher ordentlich zu vermöbeln, verwendet Special Moves um ihre Abwehr zu durchdringen und haltet euch dabei immer auf Distanz, um ihren Attacken ausweichen zu können. Ein bisschen mehr Tiefe wäre allerdings wünschenswert gewesen; fast alle Gegner lassen sich nach einer kurzen Eingewöhnungsphase auf die gleiche Art und Weise ausschalten – im Prinzip reicht es oft schon, wenn ihr schnellstmöglich auf die Tasten des Gamepads hämmert. Auch um die künstliche Intelligenz ist es nicht zum besten bestellt: Wenn ihr einen Gegner im Schwitzkasten habt, stehen die anderen so lange untätig um euch herum, bis ihr ihn wieder loslasst.
Wir haben doch keine Zeit!
‚Marc Ecko’s Getting Up‘ hat noch mehr Schwächen, die wir euch natürlich nicht verschweigen wollen. Sehr schade ist beispielsweise, dass ihr keine eigenen Tags ins Spiel integrieren könnt. Ihr sammelt im Laufe des Spiels zwar zig sehr schöne Vorlagen in eurem Black Book, aber eigene Tags in New Radius zu versprühen, wäre der Motivation zweifellos zuträglich gewesen. Ohnehin habe ich das Gefühl, The Collective hätten ein paar Monate zusätzlicher Entwicklungszeit sehr gut getan: Die Kamera zeigt beim Graffitisprühen vielmals nicht den gewünschten Bildausschnitt, das Tutorial musste ich aufgrund eines Bugs neustarten und die Animationen in den Kämpfen wirken vielmals abgehackt und übergangslos. Dazu gesellt sich eine wirklich miese deutsche Sprachausgabe: Afrob, der Trane spricht, sollte lieber bei seiner Musik bleiben.
Wenn man das so liest, könnte man fast meinen, ‚Marc Ecko’s Getting Up‘ sei nur ein mittelmäßiges Spiel. Dem ist aber nicht: Die Geschichte rund um Trane wird erstaunlich gut erzählt, die Missionen mit ihren zahlreichen Zusatzaufgaben („Tagge das Polizeiauto 10 mal, bevor die Cops dich sehen!“) stimmen, das Leveldesign funktioniert und der „Style“ des Spiels wirkt sehr glaubwürdig. Auch der Soundtrack ist über jeden Zweifel erhaben. Wieviel Spaß man mit ‚Marc Ecko’s Getting Up‘ haben kann, hängt aber vor allem von der Aufgeschlossenheit gegenüber dem inzwischen überstrapazierten Underground-Setting ab: Wer damit etwas anfangen kann und sich für Graffitis interessiert, den wird das Spiel ohne Frage begeistern. Alle anderen bekommen „nur“ ein gutes Action-Adventure, aus dem ein bisschen mehr hätte werden können.