Wenn Atari heute auf sein Action-Rennspiel ‚DRIV3R‘ zurückblickt, dürften gemischte Gefühle damit verbunden sein. Recht guten Verkaufszahlen standen miserable Wertungen gegenüber, welche den Ruf der Reihe auf lange Sicht schwer beschädigt haben: Heute kräht kein Hahn mehr nach dem erst kürzlich angekündigten ‚Driver 4‘, das natürlich alles besser machen soll als sein Vorgänger. Einen noch schlimmeren Imageverlust als ‚Driver‘ musste allerdings Atari selbst hinnehmen: In Großbritannien sorgte die PR-Agentur Babel Media für Schlagzeilen, weil Mitarbeiter des Unternehmens unter Vorspiegelung falscher Identitäten ‚DRIV3R‘ in Foren gegen kritische Stimmen verteidigt, es mitunter regelrecht in den Himmel gelobt hatten – bis man sie mit Hilfe ihrer IP-Adressen identifizieren konnte. Der Begriff des „viralen Marketings“ hatte die Spielebranche erreicht. Die Fans tobten.
Das ist Bullshit-Marketing!
Was aber eigentlich ist virales Marketing genau? Thomas Zorbach von der PR-Agentur vm-people schrieb seinerzeit in seinem Blog: „Abgesehen von der Tatsache, dass es Agenturen gibt, die in der Lage sind, ihren Klienten solche Kampagnen zu verkaufen, würden wir von vm-people das nicht als virales Marketing bezeichnen. Das ist Bullshit-Marketing!“ Virales Marketing ist vielmehr eine andere Form der Werbung, eine Werbung die anstecken, unbewusst in die Köpfe der Menschen vordringen soll. Beispiele dafür sind eingängige Sätze wie „Geiz ist geil!“ oder „Ich bin doch nicht blöd!“, die den Sprung aus der Werbung in den alltäglichen Sprachschatz geschafft haben. Unauffällig, aber doch penetrant werden die Botschaften wiederholt. Das ist das Geheimnis des viralen Marketings: Es ist versteckt, hinterlistig und nervt die Mehrheit der potentiellen Kunden nicht so sehr wie klassische Werbung.
Vom Partygag zum Massenphänomen
Das Beispiel schlechthin ist wahrscheinlich die „Moorhuhn“-Kampagne: Ein simples und äußerst billig produziertes Werbespiel entwickelte sich zum Massenphänomen, das fast jeder Deutsche kannte. Im Nachhinein betrachtet, zeigen sich allerdings auch die großen Schwächen solcher unterschwelliger Feldzüge. Wofür genau hat „Moorhuhn“ eigentlich Werbung gemacht? An das Spiel erinnert sich noch jeder, doch das Produkt – der Whisky Johnny Walker – ist verblasst.
I love bees!
Einen Schritt weiter ist im Vorjahr Microsoft gegangen: Geschickt verknüpfte man den Ego-Shooter ‚Halo 2‘ mit einer mysteriösen Website, die im zugehörigen TV- und Kinospot erwähnt wurde. Wochen rätselten interessierte Spieler herum, was es mit der vermeindlichen Seite eines Bienenfreundes auf sich hatte, die von einer fremden Intelligenz übernommen worden schien. Aufgabe um Aufgabe wurde gelöst, die Seite machte ihre Runde durch das Internet, fast jede große Spielewebsite berichtete mindestens einmal über die sich bildene Community. Doch für was? Letztendlich, nach der Auflösung des Rätsels, wurde den meisten bewusst, dass all die Mühe eigentlich vollkommen umsonst war. Wenig überraschend konnte Microsoft den Erfolg dann auch nicht wiederholen: Interessierte die ähnlich gestaltete Enthüllung der Xbox 360 im Frühjahr noch einige, stieß der im Herbst gestartete Wettbewerb für eine Einladung zum Launch der Konsole auf eher geringe Beachtung. Die Strategie hatte ihr Faszination verloren.
Zuviele Meinungen?
Dennoch zeigen die Bemühungen, dass PR-Agenturen wie Auftraggebener die Bedeutung der so genannten Mundpropaganda deutlich geworden ist: Ließen sich vor ein paar Jahren noch allein durch groß angelegte Werbung im alten Stil ein Hype und daraus folgend fast automatisch auch entsprechende Umsätze generieren, sieht es heute anders aus. Nicht zuletzt die großen Hollywood-Studios mussten das immer wieder schmerzhaft zu spüren bekommen, als aufwändig beworbene Filme nach einem starken Startwochenende plötzlich enorm abbauten. „Schuld“ daran ist nicht zuletzt das Internet: Durch die zunehmende Popularität von unabhängigen Blogs, in denen selbst ernannte Kritiker ihre Meinung zu jedem Thema abgeben, kann sich der geneigte Leser viel früher ein Bild davon machen, wie gut ein Film, ein Spiel, eine DVD wirklich ist. Die Bedeutung von professionellen Kritikern hat rapide abgenommen: Das Vertrauen in unabhängige Personen und ihre Meinung ist schlicht größer.
Keine Grenzen
Zerrüttet ist daher auch die Beziehung zwischen Spielern und Spielemagazinen: Über Wertungen, Reviews und Previews wird inzwischen vielerorts weitaus mehr diskutiert als über die Spiele an sich. Das Internet macht es möglich. Auch wenn ein gewisses Misstrauen wohl in der Natur des Menschen liegt, müssen sich die Magazine dafür an die eigene Nase fassen. Obwohl der deutsche Pressekodex eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken vorschreibt, ist eine Unterscheidung vor allem bei etlichen Online-Magazinen für den Durchschnittsleser kaum möglich, zum Teil sogar unerwünscht. Oder um es mit den Worten eines ungenannt bleiben wollenden Redakteurs zu sagen: „In gewisser Hinsicht war das ‚DRIV3R‘-Debakel ein Glücksfall für uns: Wenn sich die Industrie nicht an gewisse Prinzipien hält, warum sollen wir dann vor etwas zurückschrecken?“
Bullshit-Marketing ist überall
Um damit wieder den Bogen zurück zum Anfang zu schlagen: Natürlich wissen auch PR-Agenturen und Wirtschaft, dass plumpe Werbebotschaften seltener ankommen und Meinungen gefragt sind. In Foren mit echten Spielern zu diskutieren und ihre eigene Meinung herabzusetzen, dürfte jedoch der schlechteste Weg sein. Auch in Deutschland sind uns in der letzten Zeit immer wieder Fälle bekannt geworden, in denen Mitarbeiter von Publishern beruflich unter Angabe eines falschen Namens ihre eigenen Spiele vergötterten und die Konkurrenz in Grund und Boden redeten. Das ist – wenn es denn auffliegt – nicht nur peinlich, sondern zerstört auch das ohnehin schon brüchige Vertrauen vieler Spieler in die Hersteller: Wer es nötig hat, so um Kunden zu kämpfen, dessen Spiele können ja nichts taugen.