Dr. Christian Lehmann war nie ein großer Spieler. Vor rund 20 Jahren als Student hatte er ein paar Erfahrungen mit dem C64 gesammelt, das Hobby dann aber nicht weiter verfolgt: Kein Interesse, zu teuer, später zu wenig Zeit neben seiner Arbeit als Arzt. Zumindest bis er vor einigen Monaten ‚Die Sims‘ für sich entdeckte. „Meine Tochter hatte sich das Spiel zu Weihnachten gewünscht und ich wollte natürlich wissen, was sie da überhaupt spielte. Letztendlich lief es dann aber darauf hinaus, dass an den nächsten Wochenenden nur noch ich vor dem PC saß und meiner Tochter im Spiel um Längen voraus war.“
Ein zweites Leben
Das Spielfieber hatte ihn gepackt: ‚Die Sims‘ hat nicht umsonst den Ruf, mit seiner ungewöhnlichen Mischung aus Hausbau und Lebensmanagement vor allem Gelegenheitsspieler anzusprechen. Es ist simpel, der Sinn des Spiels erschließt sich fast jedem und – kein zu unterschätzendes Merkmal – es hat keine hohen Hardware-Anforderungen. Doch irgendwann hatte Christian alles in ‚Die Sims‘ gesehen: Jeden Gegenstand gekauft, jede mögliche Berufslaufbahn eingeschlagen, unzählige Charaktere herangezüchtet. Er hatte genug von ‚Die Sims‘, aber nicht genug von Spielen. Er wollte mehr. Aber was spielt man eigentlich, wenn man Mitte 40 und im Prinzip ein absoluter Neuling in diesem Gebiet ist? Das wusste auch Christian nicht so genau. Er ließ sich im Geschäft beraten, fragte seinen Kinder, kaufte sich sogar ein Spielemagazin – nur um zu dem Schluss zu kommen: Es gibt fast keine Spiele für Leute wie mich.
Ab 25 ist Schluss?
Interessant: Eine Industrie, die vorgibt, es mit Hollywood aufnehmen zu können, ist nicht einmal in der Lage, einem Gelegenheitsspieler mittleren Alters etwas Brauchbares anzubieten? Wie will man dann überhaupt neue Spieler an den Markt heranführen?
Oder hofft man darauf, dass die heutigen Spieler (sprich: überwiegend die 12- bis 25-Jährigen) ihr Hobby auf absehbare Zeit nicht wechseln und stetig Neue „von unten“ nachrücken? Eine gewagte These angesichts der immer größer werdenden Unzufriedenheit langjähriger Spieler mit der heutigen Produktpalette.
Keine Gewalt
Christian ließ sich jedoch nicht so schnell beirren und forschte weiter. Klar war: „Shooter sind auf keinen Fall etwas für mich. Man mag sagen, das ist ja nur ein Spiel, aber wenn ich jeden Tag versuche, Leben zu retten oder zumindest zu verbessern, dann kann ich nicht abends oder am Wochenende meine Zeit damit verbringen, virtuelle Menschen zu töten.“ Überhaupt wollte Christian keine Spiele, bei denen er sich hätte anstrengen müssen: „Für Sportspiele und Ähnliches bin ich einfach nicht geschult genug. Ich habe vor einer Weile bei meinem Sohn ein Fußballspiel ausprobiert, aber bin jämmerlich gescheitert. Grundsätzlich mag ich es einfach nicht, wenn ich bei den ganzen Bildern auf dem Monitor den Überblick verliere.“
Ruhige Rätselstunden
Keine Action, kein Sport, nichts Hektisches: Nach langer Suche stieß Christian zufällig auf ein Review des Adventures ‚Black Mirror‘ und hatte etwas gefunden, das er sich zu spielen vorstellen konnte. „’Black Mirror‘ hat mir damals wirklich sehr viel Spaß gemacht. Am Anfang war es ein bisschen ungewohnt, weil es mir wie ein Film vorkam und ich mich ständig daran erinnern musste, dass ich selbst etwas tun soll. Aber als ich mich dann ins Spiel gefunden hatte, war ich wie gefesselt. Selbst meine Frau, die Spielen überhaupt nichts abgewinnen kann, hat sich ab und zu vor den Computer gesetzt und mitgerätselt, wenn ich nicht vorankam.“
Als Christian mit ‚Black Mirror‘ fertig war, stand er aber vor der nächsten Frage: Gibt es mehr von der Sorte? „Ich bin zu Saturn gegangen und habe gefragt, was sie mir noch empfehlen könnte. Der Verkäufer drückte mir ‚Tomb Raider‘ in die Hand. Das sei auch so ein Adventure. Ich glaube, für sowas sind die schlichtweg nicht gewappnet.“
Aufmarsch der Hausfrauen?
Der VUD, Verband der Unterhaltungsindustrie Deutschland, sah das bis zu seiner Auflösung anders. Noch heute ist auf der Website zu lesen, dass „Computerspiele den Kinderschuhen längst entwachsen sind“. Rund 56 Prozent der regelmäßigen Spieler sind demnach zwischen 25 und 44 Jahren alt. Und auch die ESA, das US-amerikanische Gegenstück zum VUD, glaubt an „die Alten“: Angeblich sind nur 35 Prozent der Spieler unter 18 Jahren alt. Die gleiche Studie siedelt übrigens den Frauenanteil bei 43 Prozent aller Spieler an. Glaubwürdig? Selbst unter Einbeziehung von Spielen wie ‚Solitär‘ erscheinen Frauen- und Erwachsenenquote unnatürlich hoch. Die für den Großteil der Publisher und Entwickler relevante Altersgruppe sind jedenfalls die Spieler unter 25 Jahren – wer älter ist, spielt bislang kaum eine Rolle.
Virtuelle Hunde
Christian hat nach ‚Black Mirror‘ erstmal wieder Pause gemacht: „Ich habe zwar noch ein paar andere Adventures gefunden, aber viele waren mir zu bunt oder zu unrealistisch. Natürliches ist mir lieber.“ Vor kurzem ist er dann aber doch wieder rückfällig geworden: „’Nintendogs‘ ist das neue Lieblingsspiel meiner Tochter und jetzt auch meins. Es erinnert mich ein wenig an ‚Die Sims‘ und ist einfach putzig. Und wir können es zusammen spielen: Ein Hund gehört mir, einer ihr.“ Ob er jetzt wieder auf die Suche nach neuen Spielen geht, will ich zum Schluss wissen. „Nein“, meint Christian. „Spiele werden wohl nie ein richtiges Hobby für mich werden. Das ist der Unterschied zu Filmen oder Büchern: Die gibt es für alle Alterklassen. Spiele sind mir da noch viel zu eingeschränkt.“