Die erste Folge einer neunteiligen Reihe, die lang erwartete Fortsetzung des 1998 erschienenen Shooters ‚SiN‘. Ich bin ein großer Fan des neuen Modells, Spiele in kleinen Portionen zu veröffentlichen, erlaubt es den Entwicklern in der Theorie doch nicht nur, eine spannende Story in aller Ausführlichkeit zu erzählen, sondern auch von Episode zu Episode auf Kritik und Wünsche der Spieler einzugehen, Verbesserungen vorzunehmen. Wenn Ritual Entertainment beides bei ‚SiN Episodes‘ in die Tat umsetzen will, dann herzlichen Glückwunsch: Es gibt viel zu tun!
Welcome back, Elexis!
‚SiN‘ war seinerzeit eigentlich kein spielerisch besonders herausragender Ego-Shooter, aber die Geschichte und die untypische Rollenverteilung ließen ihn viele in Erinnerung behalten: Der fiese Widersacher des vom Spieler verkörperter John Blade, seineszeichens Anführer der Spezialeinheit HardCorps, war nämlich nicht etwa ein häßlicher Alienboss oder ein Regierungsbeamter auf Abwegen. Nein, die verführerische wie geheimnisvolle Elexis Sinclair, CEO des Megakonzerns SinTEK Industries, hatte es ihm angetan. Wie es aber üblich ist, wenn man interessante Charaktere einführt, tötet man sie nicht einfach am Ende eines Spiels, sondern lässt sie in letzter Sekunde entkommen. So ist Elexis in ‚SiN Episodes‘ zurück und John Blade muss sie einmal mehr jagen, da sie offenbar hinter dem vermehrten Auftauchen von Mutanten in seiner Stadt steckt.
Drogen und Mutanten
‚SiN Episodes: Emergence‘ erzählt natürlich nur einen Bruchteil dieser Geschichte, weshalb Blade Elexis nur recht kurz zu Gesicht bekommt und sich vorrangig mit einem Labor herumschlägt, das die Droge U4 herstellen soll. Immerhin liegt er bei der ersten Begegnung mit Elexis gleich mal auf dem Rücken – aber nicht so, wie wir es vielleicht gerne sehen würden. Das Problem mit der Geschichte von ‚Emergence‘ ist, dass sie viel zu dünn ist, viel zu wenig passiert. Klar, es ist immer noch ein Shooter und ich will keine zu hohen Ansprüche stellen, aber es fehlt einfach die Grundlage, die ein erster Teil bieten sollte. Zudem macht Ritual zu wenig aus den interessanten Charakteren. Blades Sidekick, die hübsche Jessica, etwa darf in der Eröffnungssequenz ein, zwei coole Sprüche ablassen, kommt danach aber kaum noch zum Zug, als hätte man sie unterwegs irgendwo vergessen.
Been there, done that
Das wäre ja zu verschmerzen, wenn sich ‚Emergence‘ wenigstens aufregend spielen würden, aber leider ist dem nicht so. Ich weiß nicht, ob das Konzept für das Spiel ursprünglich mal als ‚SiN 2‘ nach der Fertigstellung des ersten Teils bei Ritual entwickelt wurde, aber so fühlt es sich über weite Strecken an: Wie ein Spiel, das sich einiges bei ‚Half-Life‘ abgeschaut, von Spielen wie ‚Far Cry‘, ‚F.E.A.R.‘ oder auch ‚Half-Life 2‘ jedoch noch nie etwas gehört hat. Das beginnt mit den Schauplätzen (ein Labor, eine Hafengegend, Lagerhallen), macht bei den Gegnern weiter (Wachmänner, ein paar Mutanten) und zieht sich bis ins Leveldesign durch (lange Gänge, kleine Räume, Kisten). Manchmal habe ich regelrecht nur darauf gewartet, dass gleich der G-Man vor mir steht.
Schwacher Auftakt
Es gibt wirklich nicht eine Szene in ‚Emergence‘, bei der ich mich nicht an einen anderen Shooter erinnert fühlte und das ist schade. Denn eigentlich sollte man doch annehmen, Ritual würde in die erste Folge so viele Ideen stopfen, wie nur möglich, um den Spielern seinen Einfallsreichtum zu beweisen und sie nach mehr dürsten zu lassen. Aber genau daran mangelt es: Es gibt keine spektakulären Schusswechsel, keine noch nie gesehenen Waffen, keine ausgefallenen Rätsel. Stattdessen lauft ihr wie in einem Schlauch von Trigger zu Trigger und wartet darauf, dass euch die Gegner regelrecht vor die Füße fallen. Das alles macht ‚Emergence‘ nicht zu einem schlechten Shooter, aber das Gameplay ist eben nur solide und altbekannt – was mir für eine „Pilotepisode“ nicht genug ist.
Viele Ungereimtheiten
Abgesehen von den zahllosen Déjà-vus hat ‚Emergence‘ zwei echte Probleme, die das Spielen unter Umständen zur Qual machen können. Zum einen sind das die schlecht ausbalancierten Waffen: Gerade einmal vier verschiedene stehen Blade zur Wahl und die beste davon ist dann auch noch ausgerechnet die langweilige Pistole, die ihr genreüblich als erstes bekommt. Mit der könnt ihr nämlich beinahe jeden Gegner per Kopfschuss auch über eine Distanz von geschätzten fünfzig Metern ohne große Schwierigkeiten aus dem Verkehr ziehen, während die langsame Shotgun selbst in engen Räumen versagt, für die sie prädestiniert sein sollte.
Auf Schwierigkeiten werdet ihr unter Umständen dennoch stoßen, vor allem in der zweiten Hälfte von ‚Emergence‘. Da kann es vorkommen, dass das einzige halbwegs innovative Feature verrückt spielt: Die sich dem Spieler automatisch anpassende Stärke der Gegner. Anfangs funktioniert das tatsächlich nicht schlecht: Schaltet ihr jeden Gegner mit einem Kopfschuss aus, tragen sie nach einer Weile Helme, so dass ihr mindestens zwei Treffer benötigt. Zielt ihr dann eine Weile vor allem auf den Körper, legen sie die Helme wieder ab.
Allein gegen eine Armee
So weit, so gut. Seid ihr zu Beginn aber zu schnell unterwegs, kommt das Spiel aus irgendwelchen Gründen nicht mehr mit und setzt euch gegen Ende wahre Killermaschinen vor, bei denen jeder Schuss sitzt. Ritual ist das Problem immerhin bekannt und arbeitet schon an einem Patch. Davon abgesehen ist das Verhalten der Gegner aber bestensfalls mittelmäßig: Sie suchen sich Deckung und kreisen euch gut ein, laufen aber auch gerne direkt in eure Schusslinie, selbst wenn an dieser Stelle schon mehrere ihrer Mitstreiter gestorben sind.
Über die Grafik, die nicht ganz das Niveau von ‚Half-Life 2‘ erreicht, dem PC aber trotzdem mehr Rechenkraft abverlangt, will ich nicht zu viele Worte verlieren; es sieht halt nicht richtig schlecht, abgesehen von den Charakteren aber auch nicht richtig gut aus. Gedanken mache ich mir nur angesichts der Tatsache, dass Ritual neun Episoden plant, die ungefähr im Abstand von sechs Monaten veröffentlicht werden sollen – das hieße, die letzte Folge würde Mitte 2010 erscheinen. Wenn man da zwischendurch nicht mindestens einmal die Engine wechselt, dann gute Nacht.
Goodbye, Elexis!
Ich hatte gehofft, Ritual würde mehr aus ‚SiN Episodes‘ machen: Mehr aus der Source-Engine herausholen, mehr Mut zu spielerischen Neuerungen beweisen und nicht zuletzt mehr eigenen Stil einbringen. Ein bisschen Erotik, viel Blut und ein paar dahingeworfene Flüche heben das Spiel zwar ein klein wenig von anderen Shootern ab, aber das Gameplay steht leider zu sehr im Kontrast dazu, um ‚Emergence‘ die gleiche Ehre wie dem originalen ‚SiN‘ zukommen zu lassen: Es in Erinnerung zu behalten.
‚SiN Episodes: Emergence‘ ist bislang nur über Steam erhältlich und kostet rund 20 US-Dollar. Deutsche Spieler müssen sich allerdings noch ein wenig gedulden, da es noch keine Einstufung von der USK gibt, unter Umständen muss Ritual noch Änderungen an dem Spiel für den hiesigen Markt vornehmen. ‚Emergence‘ ist rund fünf Stunden lang. Als Zugabe gibt es über Steam das originale ‚SiN‘ samt Multiplayer-Modus, was den Preis akzeptabel werden lässt. Wer dem Onlinekauf abgeneigt ist, kann auf eine DVD-Version warten, die EA in die Läden bringen wird.