Assassin’s Creed Unity im Test: Neustart mit Hürden

Es lag nicht an mir. Als ich mein erstes Assassin’s Creed ins Laufwerk schob, um im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg zu versinken und stattdessen eine Szene aus den 2000er-Jahren in einer Höhlenexpedition zu sehen bekam, dachte ich, es wäre die falsche DVD geliefert worden. Aber nein. Ich lernte auf diese Weise, dass Assassin’s Creed eine Serie ist, deren Erzählung mit Zeitreisen zu tun hat. In der Werbung erwähnen sie das irgendwie nie. Da geht es immer nur um diese prächtigen historischen Settings. Ich habe nie verstanden, warum Ubisoft sowas tut. Ich dachte, es liegt vielleicht daran, dass dass ich Teil 1 und 2 verpasst hatte.

Mittlerweile bin ich aber schon seit drei Teilen dabei und verstehe es immer noch nicht. Im aktuellen Fall von Assassin’s Creed Unity bin ich mittendrim in der Französischen Revolution, im Konflikt zwischen Assassinen und Tempelrittern gefangen, nur damit plötzlich die Welt wie in Inception in sich zusammenzubrechen droht und ich in eine Art Zeitportal flüchten muss. Gerade bin ich in dieser prächtigen, riesigen, saugeilen Nachbildung des historischen Paris einer Intrige auf der Spur, die mir als Helden persönlich nahe geht. Ich könnte tatsächlich Einfluss auf die Zeit einer der wichtigsten Revolutionen der Menschheitsgeschichte zu nehmen. Warum sollte ich plötzlich Lust auf eine Klettereinlage in der Pariser Metro des frühen 20. Jahrhunderts haben?

Oder warum muss ich bei der Beschreibung von oft historischen Charakteren im Spiel die Hihi-Kommentare lesen, die mich aus der historischen Fiktion reissen? So steht beispielsweise über den Marquis de Sade geschrieben: „Er verfasste Texte mit pornographischem Inhalt und sprach zugleich jeden Verbrecher frei, den man ihm vorführte.“ Randnotiz: „Ich hatte mal einen Schulleiter, der ungefähr so drauf war.“ Welch geistreicher Witz! Ein Schmäh, den dieses Spiel „ganz dringend“ benötigt hat.

Ich weiß schon, das ist ein Fall von „Eine Sache kritisieren, weil sie nicht etwas anderes ist“. Aber das ist ein gewaltiges Ärgernis, ein Feind der Immersion, ein echter Stimmungskiller und darüber hinaus – und das ist das wahre Problem für mich – ehrlich gesagt ist dieser ganze SciFi-Kram ganz einfach keine spannende Rahmengeschichte. Das was sich an Assassin’s Creed zu erzählen lohnt, passiert großteils im historischen Setting und könnte mit wenig Aufwand auch darauf reduziert und sogar noch konzentriert werden.

Ubisoft hat seine Grundintention mit dem Zeitsprungschmarrn wohl selbst vergessen, denn man hat die Rahmenhandlung wieder einmal so verändert, dass sie zu Vorgängern doch deutlich abweicht. Zudem sind die zur Gegenwartshandlung deutenden Passagen in Unity trotz allem wesentlich weniger geworden, als sie es etwa in Black Flag noch waren. Dort war die offene Welt zu teilen für spätere Missionen gesperrt und wir ständig dazu gezwungen wurden, im 21. Jahrhundert durch ein Büro zu laufen.

Assassin's Creed Unity

Dann doch lieber das revolutionäre Paris, das optisch unglaublich prächtig in Szene gesetzt wird. Ein enormer Detailreichtum mit aufwändigen Fassaden und schiefen Dächern lässt uns die Vorzüge moderner Technik genießen (wir haben ACU übrigens auf der Xbox One gespielt). Butterweiche Animationen entzücken zwischen heimlichen Morden, den auch spielerisch deutlich verbesserten Schwertkämpfen und dem Erklimmen von ungeahnten Höhen über viele erkennbare und zumeist betretbare Gebäude. Auf den Straßen wuseln die wütenden Massen, in denen wir als Verfolgter schon auch mal untertauchen können.

Obwohl mit der Rückkehr der Serie in eine Stadt, weg von Schiffen und ländlichen Arealen eine Verengung des Open-World-Gameplays stattgefunden hat, scheint in Paris immer noch genug zu tun neben dem Hauptstrang der Story. Wir erkunden die Stadt, klettern auf Kathedralen, vertreiben Schläger, verfolgen Diebe, richten fatal über Mörder, sammeln Artefakte, knacken Kisten, lösen als Detektiv Mordfälle, erfüllen Nebenmissionen mit Lokalkolorit, blättern durch Zeitungen und während alldem können wir unseren Helden mit Skills und Ausrüstung anpassen, wie das in Assassin’s Creed bisher noch nicht möglich war.

All das allein unterhält einige Stunden.

Bis man es halt alles irgendwann gesehen hat und die dahintersteckenen Schwächen von Teilen des Konzepts stärker zum Vorschein kommen.

Notre-Dame-Klettern für Dummies

Gehen wir da einmal auf die Klettermechanik ein. Auch mit der war ich in Assassin’s Creed noch nie wirklich glücklich, weil sie zu einfach ist. Auf etwas zuzulaufen bedeutet fast immer, es auch problemlos zu erklimmen. Unity fügt dem nun ein wenig „Komplexität“ hinzu, indem es Knöpfe für „Rauf-“ und „Runterklettern“ trennt. Aber das ist zu wenig, um die Aufgaben fordernd zu gestalten und lenkt nicht vom Grundproblem ab, dass die ganze Automatisierung schlicht problematisch ist. Nicht nur, dass es an vielen Stellen hakt, weil unser Held über Fenster hinwegkraxelt, statt durch sie hindurch, einfach irgendwo hängenbleibt oder ein anderes Ziel wählt, als ich mir das vorgestellt hätte. Nein, die Krux liegt tiefer: Klettern ist ein zentrales Element des Spiels, aber es führt nicht wirklich zu spielerischen Herausforderungen oder Glücksmomenten. Es wäre viel lohnender, Notre Dame zu erklimmen, wenn man dafür etwas mehr tun müsste als einfach nur drauf zuzulaufen und zwei Knöpfe gedrückt zu halten. Ubisoft könnte einen Schritt zurück machen und sich ansehen, wie man all das bei Prince of Persia: The Sands of Time gemacht hat.

Ein anderer, neuer Punkt ist die Charakter-Individualisierung. Grundsätzlich ist es lobenswert, uns Spielern nicht nur mehr Kontrolle über das Aussehen unseres Assassinen zu geben, sondern auch mehr Kontrolle über den Spielstil. Nicht immer jeden Skill zur Verfügung zu haben und durch die Ausrüstung unterschiedliche Herangehensweisen zu stärken und schwächen kann dem Gameplay Tiefe verleihen. Gleichzeitig krankt Assassin’s Creed Unity hier aber an so manchem.

Zum Einen setzt es diverse Skills einfach schon früh im Spiel voraus, ohne dass man sie bereits haben könnte. So bekommt man in diversen Missionen die Aufgabe, Schlösser zu knacken, bekommt aber erst nach fast der Hälfte von Unity die dazu passende fortgeschrittene Fähigkeit, mit der das keine absolute Frustangelenheit ist. Die Idee, die Missionen später nochmal zu spielen, scheint mir nicht wirklich im Sinne der Erfindung einer linearen Kampagne zu sein.

Währungswirrwar

ACU leidet zum Beispiel an einem gewissen Währungsoverkill. Es gibt genau genommen vier davon: Mit Fähigkeitspunkten könnt ihr eure Skills aufwerten. Um sie zu bekommen, müsst ihr in der Story vorankommen. Livre sind das normale Geld auf der Straße (die hier mit dem Symbol für die spätere französische Währung „Franc“ versehen sind), das ihr allerorts erbeutet und erarbeitet. Das geht recht langsam von statten, vor allem weil diverse Waffen und ihre Munition doch ziemlich teuer sind. Soweit so gut: Die etwas weirdere Variante sind die Kredo-Punkte – die könnt ihr nutzen, um Waffenverbesserungen (warum geht das nicht mit den Livre?) und neue Farben für euer Gewand zu kaufen (warum muss ich dafür überhaupt etwas tun?).

Und dann sind da noch Helix-Punkte: Im Prinzip sind das schlicht Mikrotransaktionen, denn diese Punkte könnt ihr vor allem über echtes Geld in Mengen zwischen 5 und 100 Euro kaufen. Sie dienen dazu, dass ihr euch Ausrüstung freischalten könnt, anstatt sie über Livre zu kaufen In Assassin’s Creed Unity könnt ihr euch Ausrüstung über Ingame-Währung kaufen – oder ihr „hackt“ sie mit gekauften Credits frei. Zwischen 5 und 99 Euro kostet ein solches Guthaben. Nur über Helix-Punkte bekommt man sogenannte „Boosts“, die für eine kurze Zeitdauer gewisse Fähigkeiten erhöhen. Die sind nicht notwendig um ACU zu spielen, aber sie machen es einfacher. Weniger dramatisch aber trotzdem nicht gerade Kundenfreundlich ist auch, dass sie im Prinzip das ersetzen, was früher einmal Cheats waren. So kann man etwa diverse Dinge auf der Karte freikaufen.

Teure Teile

Ob derlei Pay-to-Win-Mikrotransaktionen bei einem Vollpreisspiel überhaupt akzeptabel sind, soll jeder für sich selbst entscheiden. Mich pisst allein der Versuch ziemlich an, den Spieler dermaßen zu melken. Denn Assassin’s Creed Unity ist wahrlich kein Free 2 Play-Game. Das Spiel kostet 55 Euro am PC, 65 Euro auf XO und PS4. Weitere 30 Euro kostet der Season Pass. Und wer glaubt, dass er damit schon alle Inhalte spielen kann, hat sich geschnitten. Diverse Truhen kann man nur öffnen, wenn man sich mit Ubisofts UPlay verbunden hat (der dazu natürlich auch immer verfügbar sein muss, aber das keinesfalls immer ist). Dass das für das Spiel genau keinen Sinn ergibt, ist klar.

So prächtig die Stadt auch wuselt, so durchsichtig sind doch die Mechanismen, die sie zum Leben erwecken sollen. Wenig reagiert auf den Spieler. Ich kann auf offener Straße (20 Meter von mit dem Rücken zu mir stehenden Soldaten entfernt) Feinden unprovoziert den Garaus machen oder Mörder töten (inklusive der teils wieder einmal schlicht unnötig expliziten Gewaltdarstellung), ohne dass die Menge schreiend davonläuft oder mich verpetzt. Die Leute scheinen ständig wütend über irgendetwas zu sein, überall sind Ansammlungen von Bürgern, die gegen irgendetwas demonstrieren oder irgendetwas verbrennen. Aber sie tun in Wahrheit nichts. Die Kulisse bleibt immer gleich, egal wie oft ich eine Straße entlanglaufe. Wenn ich einen Dieb jage und niederramme, steht er auf und alle sind wieder guter Dinge.

Detektiv Assassine

Abseits der Hauptstory (die vor allem Anfangs praktisch keine Zeit in Charakterentwicklung beim Hauptcharakter „Arno“ investiert und auch daran krankt) kommt es immer wieder zu seltsamen Nebenmissionen. Einmal soll ich die alte Mutter eines vom Mob Hingerichteten nach hause bringen und vor Angreifern schützen. Nur: Sie wird einfach nicht angegriffen. Ich spaziere also fünf Minuten unbedrängt mit ihr durch Paris.

Besser sind die neuen Detektiv-Missionen geglückt, in denen man in Dialogen und mittels „Adlerauge“-Scan nach Hinweisen zur Aufklärung eines Verbrechens sucht um am Ende hoffentlich die richtige Person zu beschuldigen. Warum die nicht mehr in die Story eingewoben wurden, sondern so halbsinnlos abseits davon herumwüten, bleibt aber ein Rätsel und wirft die Frage auf, ob es sie wirklich gebraucht hätte. Das Spiel verliert schon immer wieder seinen Fokus.

Gemeinsam aus dem Assassinen-Trott?

Ubisoft scheint in diesem Assassinenkonflikt ein bisschen gefangen, der natürlich das Spielprinzip am Ende immer wieder in dieselbe Richtung drängt. Die Hauptmissionen profitieren von einer neuen Vielfalt der Vorgehensweisen, aber am Ende rennt man doch immer nur auf mehr oder weniger direktem Wege durch eine Stadt, killt Unmengen von Wachen und am Ende den Gegner.

Das Spiel ist natürlich eher Stealth als Actionspiel. Durch große Gegnerhorden schnetzelt man sich im recht gelungenen Kampfsystem (ihr müsst im richtigen Moment parieren, ausweichen, zuschlagen – was besonders bei 2-3 Widersachern manchmal fordernd wird, auch wenn die KI oft zu passiv erscheint) nicht allzu leicht. Das liegt auch daran, dass euch aus der Distanz schnell Pistolenschützen ins Visier nehmen und euch zur Flucht zwingen. Leider ist das Schleichen aber nicht ganz so konsequent umgesetzt, wie etwa in Splinter Cell oder auch Watch_Dogs. Gegner verlieren zum Beispiel enorm schnell das Interesse daran, dass ein toter Kollege unter ihnen liegt und vergessen, dass sein Killer in der Nähe ist. Leichen wegzuschleppen oder ungesehen zu bleiben ist deshalb nur halb so wichtig, solange man einigermaßen schnell für ein paar Sekunden das Weite suchen kann, und das kann man meistens, weil die Verfolger nicht allzu clever und flott suchen. Wie beim Klettern fühlt sich auch hier ein zentrales Gameplayelement zu inkonsequent und beliebig an.

Ein Ausweg aus dem ewig gleichen Trott im Rahmen der Serie könnte künftig der Coop-Modus werden. Der in Unity (für je nach Mission zwischen 2 und 4 Leute) ist spielbar und in seinen besten Momenten ganz gut. Es sind aber vor allem größere Missionen mit besonders vielen Gegnern. Leider kann man nur den Open World-Part und ein paar spezielle Missionen (Random-Heists und speziell entworfene Brotherhood-Missionen) gemeinsam spielen und nicht etwa die Story. Funktionieren tut all das nur richtig, wenn man kontrolliert vorgeht und kommuniziert. Wenn das Matchmaking der Gruppe wieder mal einen oder zwei Dödel zugeteilt hat, ist das Chaos schnell perfekt.

Fazit

Es ist immer schwierig so ein Spiel dann abschließend zu beurteilen, das erstmal 10-20 Stunden Gaudi macht, bis der Verputz merkbare Risse bekommt. Assassin’s Creed Unity ist natürlich ein ziemlich gutes, nett präsentiertes Spiel mit einer Fülle an Möglichkeiten – darunter auch ein neuer Coop-Modus, den ich als alter Coop-Fan auch mag. Aber es hat seine kränklichen, teils neue (die ganze Verwebung mit Echtgeld, Apps, Onlinediensten und die zumindest für mich ärgerliche Gegenwartsgeschichte), teilweise auch seit langem siechenden Probleme (Steuerungsprobleme und repetetives Gameplay) und verpassten Chancen. Und obwohl es gegenüber Black Flag ein doch merkbar reduziertes Repertoire bietet, ist doch zu vieles drinnen, das nicht wirklich nötig oder zu beliebig umgesetzt erscheint. Wer von Assassin’s Creed einfach nicht genug kriegen kann oder nur ein halbhistorisches Open-World-Stealth-Action-Spiel in einem herrlichen Setting genießen mag, soll sich davon nicht abhalten lassen. Er wird seinen Spaß finden. Der nächste Schritt im Genre ist das aber noch nicht.

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