„Es wäre gefährlich hier und so hungrig schlafen zu gehen. Du könntest sterben.“ – Puh! Always Sometimes Monsters zeigt mir gleich einmal drastisch, was es bedeutet, obdachlos zu sein. Mein Vermieter hat die Geduld mit mir marodem Schreiberling verloren, weil ich notorisch zu spät zahle. Mein Buch wird einfach nicht fertig, die Karriere schwimmt dahin. Und dann kam heute auch noch dieser Brief von der Ex-Partnerin, die nur ein paar Monate nach unserer Trennung heiratet?! Irgendwie müssen wir nicht nur die nächsten 30 Tage überleben, sondern auch den Trip zur Hochzeit schaffen. Vielleicht lässt sie sich verhindern und die alte Flamme wieder entfachen. Vielleicht will ich am Ende auch einfach nur ein guter Freund zu sein, der seiner Ex beim Heiraten zusieht. Das wird sich erst weisen.
Ich schreibe das hier aus männlicher Sicht, obwohl ich eigentlich eine weibliche Hauptfigur gespielt habe. ASM lässt dem Spieler freie Wahl über das eigene Geschlecht und auch jenes der verflossenen Liebe. Es macht das so unscheinbar, dass es mir zuerst gar nicht bewusst war. Ihr schlüpft auf einer Party zu Beginn in den Charakter eines Agenten für Schriftsteller. Als dieser wählt ihr unter den Gästen die Hauptfigur aus, indem ihr sie zu einer großen schriftstellerischen Hoffnung erklärt. Als diese Person sucht ihr anschließend auf der Party nach eurem Partner oder eurer Partnerin. Dann springt das Spiel ein paar Jahre in die Zukunft und – siehe Einleitung – alles ist schiefgelaufen.
Kein Geld. Keine Wohnung. Kein Essen. Es geht erstmal ums Überleben. Ich brauche Knete. Dringend! Always Sometimes Monsters stellt mich dazu permanent vor moralische Entscheidungen. An der Wand hängt diese dubiose Anzeige: 100 Dollar Belohnung, wenn ihr streunende Hunde in einem Hinterzimmer abgebt. Was mit den Kläffern passiert? Meine Ahnung sagt mir: Nichts allzu Schönes. Mit mulmigem Gefühl fange ich einen Streuner und gebe ihn ab. Mit dem Geld ziehe ich los und kaufe was zu essen. Ich habe das Wohlergehen einer anderen Kreatur für mein eigenes geopfert. Erst später bemerke ich, dass auch Suchanzeigen der Besitzer des Hundes an den Wänden hängen.
Erst das Fressen, dann die Moral?
Sind das die Schwierigkeiten, mit denen Menschen nunmal zu kämpfen haben? Nun, in Ansätzen vielleicht. Aber in dieser natürlich sehr auf amerikanische Realitäten angepassten Erzählung verbirgt sich eine Schwäche. Denn dadurch, dass das Spiel euch zu dieser Hochzeit treiben will (die mir ja auch einfach egal sein könnte), findet sich in Always Sometimes Monsters immer ein Weg, dem Hungertod zu entgehen und weiterzukommen. Jede Entscheidung lässt eine Tür offen, im Notfall kann man immer aufs Arbeitsamt pendeln um irgendeinen Drecksjob am Fließband zu erledigen (den wir dann übrigens auch in ermüdender Manier tatsächlich erledigen müssen – spielerisch ist das neben ein oder zwei misslungenen Minigames das ganz große Manko).
ASM lässt die Hauptfigur jemanden mit dem kulturellen Kapital der Mittelschicht sein – jemand der studiert, sich einfach nur wegen einer kaputten Beziehung gehen lassen hat und nun wieder aufrappeln muss und kann. Alle Probleme sind lösbar. Und so entpuppen sich die meisten Entscheidungen, die man mit schlechtem Gewissen trifft, am Ende doch sehr oft als etwas, das sich doch vermeiden lassen hätte. Man hat zwar meist die Wahl zwischen zwei Übeln (oft einem moralischen und einem persönlichen Nachteil), aber kann fast immer einfach „gut“ handeln. Was das bedeutet, müsst ihr wiederum selbst wissen. Denn das Spiel beurteilt euch nicht anhand einer Skala in gut oder schlecht, wie andere spielgewordene Moralsysteme das tun. Ihr selbst bilanziert kurz vor Schluss in einem Gespräch darüber, was ihr getan habt. Dass man vorher nicht immer genau weiß, wie eine Entscheidung sich auswirkt, halte ich wiederum für ein hochspannendes Instrument.
Der Ansatz macht die Musik
Der Perspektivenwechsel in die Mangelsituation ist etwas, was wenige Spiele bisher überhaupt versucht haben. Und dass das kleine Zwei-Mann-Team von Vagabond Dog daran gelegentlich scheitert, halte ich für verzeihbar. Es mag einige fragwürdige Elemente im Gameplay geben (Minigames, dröge Arbeitsaufgaben), technisch ist das Adventure Game Studio-Produkt natürlich nicht auf der Höhe der Zeit und auch erzählerische Schwächen sind in der verzweigten aber grundlegend vorgegebenen Geschichte und den manchmal zu zugespitzten, gelegentlich krampfhaften Dialogen gegeben. Doch der schiere Ansatz – mal nicht der strahlende Held in einer fantastischen Geschichte zu sein, sondern der Alltagstrottel, der aus einer Notlage heraus nicht immer die Entscheidung trifft, auf die er stolz sein kann – das macht Always Sometimes Monsters trotz alldem zu einem empfehlenswerten Spiel.
Always Sometimes Monsters erschien kürzlich für Windows. Es kostet DRM-frei im Humble-Store etwa 7,5 Euro oder 10 Euro auf Steam.