Welch ein Anblick! Der junge Mann Nigel Trelawney stapft im Intro von What Makes You Tick: A Stitch in Time über eine kleine Brücke und genießt den Ausblick auf das malerische und scheinbar friedliche Fischerdörfchen Ravenhollow. Doch der Schein trügt.
Ravenhollow und seine Bevölkerung leiden unter der Tyrannei des Schlosses von Baron Nordwest. Die unangenehmen Ausläufer dieser Schreckensherrschaft bekommt Nigel direkt bei seiner Ankunft zu spüren und wird von Schlosswachen niedergeschlagen und in einem Bootsschuppen eingesperrt. Die Wachen und das Schloss haben dabei das gesamte Dorf im Griff, unterbinden Zutritt, freien Handel und jegliches Aufbegehren gegen Baron Nordwest. Wer sich doch dazu entschließen sollte, Paroli zu bieten, der darf sich auf eine Spezialbehandlung gefasst machen. Denkbar schlechte Voraussetzungen für Nigel also, den Nachlass seines Vaters zu regeln. Das ist nämlich der eigentliche Grund, warum es ihn nach Ravenhollow verschlagen hat. Im Verlauf des Spiels erfahren wir immer weitere Details und Hintergründe zu Baron Nordwest, der Vergangenheit von Nigels Vater Anthony und dem misteriösen Smith-Institut, an dem Anthony lange Jahre seines Lebens wirkte.
Doch bis dahin muss ein verwöhnter Adventure-Fan zumindest zwei Mal schlucken, denn eine Sprachausgabe bietet das Spiel ebenso wenig, wie eine zeitgemäße optische Präsentation. Die Hintergründe sind zwar malerisch, die Animationen der Spielfiguren aber hölzern. Sind diese Einstiegshürden aber erst einmal genommen, dann verströmt What Makes You Tick: A Stitch in Time seinen ganz eigenen Charme. Denn grade die Hintergrundgeschichte fesselt und erfreut den geneigten Spieler mit unerwarteten Wendungen und Überraschungen. Die Bewohner von Ravenhollow sind durch die Unterdrückung seitens des Schlosses völlig paralysiert und trauen sich entweder kaum noch auf die Straße oder ertränken ihren Kummer in Alkohol. Dabei findet Nigel während seiner Reise mehrere Dutzend Ansprechpartner, die alle erfreulicherweise weit mehr als simple Pappkammeraden sind. Vielmehr wurden die Charaktere glaubhaft in die für sie passende Umgebung gesetzt, warten im Gespräch mit Gags und wichtigen Informationen auf. Auch Querverweise zu Monkey Island dürfen natürlich nicht fehlen. Zur melancholischen, sehr glaubhaften Grundstimmung trägt auch die Hintergrundmusik bei. Diese ist wirklich wunderschön und in einigen Fällen tatsächlich mit dem Spielgeschehen verknüpft. Drehe ich in der Dorfkneipe das Radio aus, bittet uns der Wirt postwendend darum, selbige wieder anzustellen, um daraufhin mit uns ins Gespräch zu kommen.
Eine weitere Stärke des Spiels ist das Salz in der Suppe eines jeden Adventures – Rätsel. Der Baron Nordwest stellt Nigel Anfangs die Aufgabe, alle neun Siegelringe der Wissenschaftler des eingangs erwähnten Smith-Instituts zu besorgen. Glücklicherweise führt er bereits einen dieser Ringe mit sich, nämlich den seines Vaters. Es folgt eine abwechslungsreiche Jagd auf die verbleibenden Ringe. Oft geht es dabei zwar um einfache Tauschgeschäfte – also tausche ein Objekt aus Nigels Inventar gegen ein anderes – all das ist aber liebevoll und glaubhaft in die Geschichte eingeflochten, so dass es nicht negativ oder demotivierend wirkt. Spannend ist auch der Tag- und Nachtwechsel. Bestimmte Dinge Rätsel können nur zu einer der beiden Tageszeiten gelöst werden, weil Personen auftauchen, ihre Standorte wechseln oder andere, unvorhergesehene Dinge passieren. Aber keine Sorge – hier muss niemand acht Stunden warten, bis die Sonne untergeht, sondern kann Nigel einfach zu einem der nahegelegenen Schlafplätzen lotsen, um ein Nickerchen einzulegen und somit die Tageszeit zu wechseln.
Technisch ist das Ganze, wie bereits angeschnitten, nicht ganz auf der Höhe der Zeit, was angesichts des Budgets und der Personalstärke des Entwicklerteams nicht verwunderlich ist und letztlich auch nicht ins Gewicht fällt. Denn What Makes You Tick: A Stitch in Time bringt für mich alles mit, was ein Adventure vor 10 Jahren ausmachte und auch heute noch ausmacht: Dichte Atmosphäre, glaubhafte, interessante Charaktere und logische, spannende Rätsel. Ich habe mich während meiner knapp 13 Stunden blendend unterhalten gefühlt und möchte eine vehemente Kaufempfehlung für jeden abgeben, der Point’n’Click Adventures auch nur einen klitzkleinen Hauch abgewinnen kann. Also: Befreit Ravenhollow von der Tyrannei des Schlosses und lüftet das Geheimnis hinter Baron Nordwest.