Über den Sinn und Unsinn von Prozenten.

Zahlen sind Schall und Rauch, möchte man meinen. Und doch wird über nichts mehr diskutiert. Ob es die Fußballergebnisse vom letzten Wochenende sind, die gestrigen Fernsehquoten oder die aktuellen Preise – Zahlen stellen Gesprächsstoff dar. Auch bei Spielen lässt sich fast alles in Zahlen messen und festhalten. Wie oft wurde ein Titel verkauft, wie alt sind die Spieler im Schnitt, wieviel haben sie dafür bezahlt, wie schnell ist ihr PC? Nur eines kann man nicht mit Zahlen erfassen: Den Spielspaß. Doch ausgerechnet der stellt das Thema Nummer eins dar, wenn Spieler über Zahlen reden.

Der Kampf um die Prozente
Verschiedenste Wertungssystem haben sich schon daran versucht, Spielspaß allgemein und für jeden Spieler gültig in Zahlen zu verpacken. Angefangen hat es mit dem noch heute populärsten Prozentsystem, das theoretisch 101 Abstufungen zulässt, um die Einschätzung eines Spiels wiederzugeben. In der Praxis werden davon aber nur rund 20 Prozent auch tatsächlich genutzt; nämlich der Bereich zwischen 70 und 90 Prozent. Alles was darunter ist, wird gegenwärtig gemeinhin als Schrott bezeichnet, alles was sich darüber befindet, verdient die Umschreibung „Ausnahmetitel“.

Müssen in einen Bereich von 20 Prozentpunkten monatlich im Schnitt plattformübergreifend um die 20 Spiele gequetscht werden, verwundert es nicht, dass es zu Ungereimtheiten kommt: „Warum hat Spiel X zwei Punkte mehr bekommen als Spiel Y?“, das ist die Frage, welche sich ein Redakteur wahrscheinlich am häufigsten anhören muss. In den meisten Fällen kann der sie aber selbst nicht beantworten – weil er Spiel Y unter Umständen gar nicht gespielt hat oder seit dem Release ein Jahr vergangen ist und er sich schlicht nicht mehr genau daran erinnert. Und, wenn Spiel Y tatsächlich schon ein paar Monate auf dem Buckel hat, ist es überhaupt noch zeitgemäß? Altert der Spielspaß mit?

91 weniger
Einfacher machen es sich einige Magazin vor allem in Großbritannien, die nicht 101 sondern nur 10 Abstufungen vornehmen – und vielmals dennoch über ein breiteres Wertungsspektrum verfügen als die meisten „Prozent-Magazine“. Denn bei Edge, EuroGamer & Co. steht eine 5 wirklich für ein durchschnittliches Spiel, während in Deutschland irgendetwas zwischen 75 und 80 als Durchschnitt gilt. Verantwortlich dafür sind aber nicht etwa nur die Redakteure der Spielemagazine sondern gleichermaßen ihre Leser: Die wollen auf den ersten Blick sehen, wie gut ein Titel gegenüber der Konkurrenz abschneidet und ob ihr geliebtes Hypespiel die Erwartungen auch tatsächlich erfüllt.

Die Faulheit ist ein ganz wesentlicher Punkt, warum das uralte Prozentsystem noch immer das Maß der Dinge darstellt: Man stelle sich nur vor, die PC Games würde ihre Wertungssystem umstellen und ‚Star Wars: Empire at War‘ sowie ‚Die Schlacht um Mittelerde 2‘ würden beide eine 8 bekommen. Da müsste man ja den Text lesen, um zu wissen, welches Spiel nun welche Vorzüge hat!

100 Gramm Spielspaß bitte!
Wie weit sich die Magazine von ihren Lesern treiben lassen (müssen), hat die GameStar eindrucksvoll bewiesen: Da werden die Spiele seit einer Weile fein säuberlich in kleine Häppchen zerstückelt, jedes wird einzeln gewogen und dann bewertet. Nachher baut man das Ganze wieder zusammen und, tada, schon hat man die Endwertung. Dass sich mit so einem System der Spielspaß nicht im Geringsten wiedergeben lässt, scheint egal zu sein. Denn letztendlich leiden darunter vor allem die Spiele, die technisch nicht auf der Höhe der Zeit sind oder etwas Neues ausprobieren – und somit sowieso nur einen Bruchteil der Leser interessieren.

Kein Platz für Ausnahmen
Man stelle sich mal vor, ein ganz einfach spaßiges Spiel wie ‚Katamari Damacy‘ würde von der GameStar auseinandergenommen. Grafik? Wenige Details, schlechte Texturen, macht 2 Punkte. Sound? Zu japanisch, wenig Abwechslung, macht 3 Punkte. Story? Zu japanisch, schlecht präsentiert, 2 Punkte. KI? Nicht vorhanden, 0 Punkte. Das Spiel würde wahrscheinlich auf keine 50 Prozent kommen. Und doch macht es vielen mehr Spaß als so mancher vermeindlich „sehr guter“ Titel.

Nur ein Beispiel von vielen, die zeigen, wie unsinnig nicht nur die Wertungssysteme sondern auch die Wertungen an sich sind. Für wen nämlich gilt eine Wertung überhaupt? Um bei dem Beispiel der beiden Echtzeit-Strategiespiele zu bleiben: Mag ‚Die Schlacht um Mittelerde 2‘ auch jemand, der mit Fantasy im Allgemeinen und ‚Der Herr der Ringe‘ im Speziellen überhaupt nichts anfangen kann? Begeistert ‚Star Wars: Empire at War‘ auch einen Strategiespieler, der eigentlich ‚Star Trek‘-Fan ist? Gelten die 90 Prozent von ‚Half-Life 2‘ auch für Adventureliebhaber? Und wenn nicht, warum bekommt ein ‚Still Life‘ dann nicht auch 90 Prozent, wenn es für viele Rätselfreunde doch das beste Adventure des Jahres ist? Objektive und allgemeingültige Wertungen kann und wird es nie geben.

Realität gegen Erwartungshaltung
Magazine verteilen daher die Wertungen, welche die Leser von ihnen erwarten. Man erinnere sich an das Beispiel ‚Black & White‘, dem die GameStar mutigerweise nach einem monatelangem Hype, in dem sie das Spiel in jedem Preview mit Vorschusslorbeeren bedachte, auf einmal nur 84 Prozent gab. Die Leser fühlten sich betrogen, die Welle der Entrüstung war unvergleichbar. Dass ‚Black & White‘ letztendlich tatsächlich nicht das überragende Spiel war, das sich alle erhofft hatten, spielte dabei keine Rolle: Die GameStar hatte ihren Lesern ein Topspiel versprochen, also hätten sie es auch bekommen sollen.

Dass man seine Glaubwürdigkeit auch andersrum verspielen kann, musste unter anderem die GamePro im Falle des Actionrennspiels ‚DRIV3R‘ erfahren. Während der Titel aufgrund seiner vielen Schwächen in den USA zu recht mit niedrigen Wertungen abgestraft wurde, hielt die GamePro an ihrem Kurs aus den Preview fest und gab brav eine Wertung im 80er-Bereich. Die Leser waren zufrieden – bis sie ‚DRIV3R‘ dann schließlich selbst in den Händen hielten und häufig kein gutes Haar an dem Spiel ließen. Gleichzeitig stellte man die Seriösität der Zeitschrift in Frage, zumal in Großbritannien ein Gerücht über eine von Atari gekaufte Wertung die Runde machte.

Sowohl im Falle der GameStar als auch in dem der GamePro waren also lustigerweise jene Artikel an der Verärgerung der Kunden Schuld, in denen eben keine echte Wertung abgegeben wurde. Muss man seine Einschätzung also möglicherweise revidieren? Lesen die Spieler vielleicht doch ganze Artikel und schielen nicht nur auf Wertung sowie Pro & Contra-Kasten? Und sollten die großen Magazine mit ihrer Macht auf den Markt nicht viel vorsichtiger umgehen? Nun, das ist ein anderes Thema.

Erste Versuche
Fest steht hingegen, dass Spielspaß immer subjektiv ist. Die PC Powerplay hat das als einziges mir bekanntes Test-Magazin in Deutschland erkannt und lässt jeden Redakteur eine eigene Wertung für ein Spiel abgeben – nur um daraus dann am Ende doch wieder einen Durchschnitt als Gesamtwertung zu bilden und die eigentlich sehr gute Idee ad absurdum zu führen. Schlussendlich ist die Frage, wohin die Presselandschaft will: Wollen Spiele irgendwann eine ähnliche Bedeutung wie Filme oder Bücher erreichen? Dann sollte schleunigst ein Umdenken stattfinden, weg von vermeindlich objektiven Tests hin zu offen subjektiven Rezensionen. Wenn nicht, dann kann man natürlich so weitermachen wie in den letzten 20 Jahren.

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