Eigentlich wollte Samuel nie wieder an diesen gottverlassenen Ort zurückkehren. Hier hatte er zuviel verloren, wurde an zu viele Tragödien aus seiner Vergangenheit erinnert. Das Schloss seiner Familie war zu einem roten Tuch für ihn geworden, nachdem seine Frau in einem Brand ums Leben kam. Über ein Jahrzehnt später führt ihn aber ein weiterer Schicksalsschlag zurück. Sein Großvater William, ist unter mysteriösen Umständen gestorben.
Er war allein, im Zimmer eines unzählige Meter hohen Turms, die Tür von innen abgeschlossen – Fremdeinwirkung scheint bei seinem Fenstersturz auf den ersten Blick unmöglich. Alle Welt glaubt an einen schrecklichen Unfall, oder zumindest daran, dass William Gordon Selbstmord begangen hat. Nur Samuel kann dem nichts abgewinnen. Woher kommt dieses seltsame Symbol an der Unglücksstelle? Warum verwandelte sich sein Großvater zuletzt in einen introvertierten, scheinbar verwirrten Mann? Und warum gab es keinen Abschiedsbrief? Samuel (gesprochen von David Nathan, der deutschen Stimme von Johnny Depp) beginnt nachzuforschen und stoßt schnell auf Ungereimtheiten und umheimliche Details – verwunderlich ist auch, dass sich außer ihm gar keiner dafür zu interessieren scheint. Ein spannender Mix aus Mystery-Thriller und Krimi nimmt seinen Anfang. Gänsehaut-Atmosphäre ist da vorprogrammiert…
Schon beim ersten In Game-Bildschirm nach dem famosen Intro (so wie übrigens die meisten Videosequenzen sehr gut gelungen sind) fallen drei markante Details auf, die Black Mirror durch das ganze Spiel hindurch begleiten.
Erstens ist die Sprachausgabe schaurig schön gelungen. Sie erzeugt in allen Situationen immer ein Mittendrin-Gefühl, keiner der Sprecher ist ein Griff ins Klo gewesen. Zum Zweiten präsentieren die Animationen der NPCs (Non Player Characters) sich als ein einziges Trauerspiel. Bei vielen Bewegungsabläufen haben die tschechischen Entwickler von Future Games entweder zu wenige Bilder gerendert, oder spielen die vorhandenen zu langsam ab. So ist leider in fast allen Bewegung jeder einzelne Frame zu sehen. Und drittens sind die vorgerenderten Hintergründe als Ausgleich meist wunderschön. Zwar kommt einem ab und zu ein etwas zu plastischer Baum unter, aber im Allgemeinen sind die Szenen absolute Augenweiden.
Unterstützt wird dieser insgesamt dann doch gute optische Eindruck auch dadurch, dass man alles daran gesetzt hat, um die Hintergründe nicht starr wirken zu lassen. Blätter fallen im Wind, Brunnen plätschern vor sich hin, Lichter flackern und Boote schauckeln in wunderschön animierten Flüssen. Seit Syberia hat kein Adventure mehr so gut ausgesehen. Übrigens: die Tageszeiten und Licht- bzw. Wetterverhältnisse wechseln ständig. Dadurch wird auch genug Abwechslung geboten.
Aber die wäre sowieso gegeben, denn in den sechs Kapiteln des Spiels befindet ihr euch nicht nur im Schloss, sondern besucht eine Vielzahl an Örtlichkeiten. So begeht ihr mit Samuel unter anderem eine Leichenhalle, ein verträumtes Kaff, eine prachtvolle Kirche, treibt euch auf einem Friedhof herum und macht eine Visite in einer Irrenanstalt.
Dabei zeigt er sich als ein sehr gesprächsfreudiger, wenn auch leicht depressiver, Mensch. Er ist kein Poser wie Fenimore Filmore, auch kein Zyniker wie George Stobbard. Seine Vergangenheit hat ihn geprägt und einen nachdenklichen und ruhigen Menschen aus ihm gemacht. Dass Future Games auf die Entwicklung der Charaktere ganz besonderen Wert gelegt hat, lässt sich selbst von harschen Kritikern nicht leugnen. Jeder Einzelne ist eine Persönlichkeit, hat eine Hintergrundgeschichte, und lässt diese auch glaubwürdig in seine Antworten und Reaktionen mit einfließen.
Der Schwerpunkt bei Black Mirror liegt vor allem auf den Bereichen des Storytellings und der Dialoge. Vor allem ganz zu Beginn halten sich die Rätsel dezent im Hintergrund, im Verlauf des Spiels werden sie aber häufiger und auch schwerer. Dabei sind nicht nur ein heller Verstand und wachsame Augen nötig, sondern manchmal auch eine Prise Allgemeinwissen (oder zumindest Erfahrungen im Umgang mit Gott google ;-)). So gilt es zum Beispiel einmal die Planeten unseres Sonnensystems richtig anzuordnen. Natürlich kombiniert und sucht man auch wie gewohnt Gegenstände, puzzelt zerfetzte Bilder und Briefe zusammen, löst technische Probleme (z.B. muss man eine defekte Wasserpumpe etwas unkonventionell bedienen) und interpretiert Worträtsel (Na? Wer weiß, was der blaue Vorhang der ungeschriebenen Worte sein könnte?).
Im Vergleich zu einigen Klassikern wie Monkey Island oder humorvoll angelegten Genrevertretern ist nur selten ein verwinkelter oder abwegiger Gedankengang notwendig. Die Tür zum Turmzimmer ist verschlossen? Na da suchen wir doch schon instinktiv nach einem Kanonenrohr, das uns durchs Fenster feuern soll!. Damit liegen wir aber falsch, stattdessen bräuchten wir nur auf (logischen aber deshalb nicht langweiligen) Umwegen den Schlüssel zu finden.
Um auch mal kurz auf die Steuerung einzugehen: Black Mirror bedient sich einer sehr einfachen Variante des bewährten Point & Click-Prinzips über die Maus. Eine Taste dient zum Gehen und dem Benutzen von Accessoires, die andere um Dinge genauer zu untersuchen. Alles was irgendwie betrachtet oder benutzt werden kann, wird unter einem verfärbten Icon angezeigt, wenn das Objekt seinen Zweck erfüllt hat, kann man es überhaupt nicht mehr anklicken.
Ärgerlich sind nur einige kleinere Details: Einige Gegenstände sind aufgrund ihrer Größe oder Unauffälligkeit nicht ganz einfach zu finden. Außerdem kann Samuel nicht laufen, und lernt es im Gegensatz zu Forrest Gump auch nicht. Manche der vielen langen Wege nehmen deshalb etwas mehr Zeit in Anspruch. Abhilfe schafft dabei zum Glück eine Komfortfunktion, an der es The Westerner ebenfalls fehlte: per Doppelklick auf den Bildschirmrand, wechselt die Szene sofort zum nächsten der insgesamt sicher über 100 Örtlichkeiten.
Sowohl die Rätsel als auch der Storyablauf sind übrigens linear aufgebaut: Herr Gordon fühlt sich erst dann zum Mitnehmen einer Fotokamera berufen, wenn er einen expliziten Grund dafür gefunden hat. Vorbeugend läuft da nichts. In einigen Situationen spielt auch die Uhrzeit eine Rolle. Gleich im ersten Kapitel soll man jemanden um exakt 19 Uhr am Eingangstor treffen. Stress braucht man sich aber keinen zu machen – der Zeitpunkt kommt erst, wenn man ein bestimmtes Ereignis ausgelöst hat. Teilweise marschiert unser Sammyboy sowieso automatisch zum entsprechenden Ort.
Schade ist auch, dass es kein Logbuch gibt. Es erfordert ein recht gutes Gedächtnis auf alle Hinweise in den Mono- und Dialogen sofort aufmerksam zu werden, und sich später auch daran zu erinnern. Nachschlagen kann man nur manchmal, wenn Samuel etwa ein Tagebuch oder eine Chronik findet oder mit sich trägt.
Ansprüche an die Hardware (siehe Box) stellt Black Mirror eigentlich überhaupt nicht. Die Minimalanforderung dürfte so ziemlich jeder, der das hier liest, erfüllen können. Für den in der kleinen Kartonbox mitgelieferten 4Players-Flyer gibts natürlich deftige Punkteabzüge. ;)
Nach der Betaversion war ich ziemlich angetan, jetzt aber einfach nur noch begeistert. In der deutschen Version hat dtp fast alles richtig gemacht. Obwohl ich im Grunde kein allzu großer Fan von Render-Adventures bin (humorvolle Comic-Abenteuer sind mir lieber), haben mich die Atmosphäre, die Story und der Tiefgang von Black Mirror ebenso wie die mit steigender Spieldauer verstärkt gestreuten Rätsel mehr als nur überzeugt.
Am glatten 90er scheitert das Spiel nur deshalb, weil es keine großartigen Innovationen gibt, der letzte Feinschliff bei der grafischen Animation fehlt, und man durch Kleinigkeiten wie eine Lauf-Funktion, ein Logbuch oder eine leichte Reduzierung der Linearität noch mehr Spaß haben könnte.
Das sollte aber keinen echten Adventurefan davon abhalten zuzugreifen. Im Gegenteil: Auch wenn man dem Genre gegenüber aufgrund der flauen Titel der letzten Jahre etwas skeptisch gegenübersteht, sollte man überlegen die 39,90€ zu investieren. Black Mirror ist das beste PC-Abenteuer seit Grim Fandango. Der seltene Rebell-Award und eine Wertung über die erst sechs Spiele hinauskamen, dienen als Belohnung und deutliche Kaufempfehlung.