Nach den ersten Feuergefechten sagt mein Sidekick, ich hätte übrigens etwas verpasst in all der Zeit, in der ich in diese Kiste gesperrt war. Er öffnet eine Tür. Hinter ihr liegt ein Zimmer mit einem riesigen Loch in der Außenwand. Und durch das hindurch tut sich mir ein New York auf, wie es nicht einmal Alleinbewohner Will Smith in „I Am Legend“ kennt. Verlassen, runiert, überwuchert von Pflanzen. Der Big Apple ist zum Dschungel im ursprünglichen Wortsinn geworden. Geil.
Crysis 3 ist der beste Teil der Serie. Die anderen konnten mich bei aller Grafikpracht nie lange bei der Stange halten. Diesmal schaffte es Crytek immerhin, mich gleich bei der ersten Session vier Stunden an der Xbox (es gibt natürlich auch Versionen für PC und PS3) zu halten. Vor allem wenn es ins Freie geht, in dieses wilde Wucherwerk, dann sprüht das Spiel nur so vor Flair. Die Begrünung New Yorks ist ein wunderbares Plädoyer für mehr Pflanzen in den Metropolen unserer Welt. Das mit den Ruinen sollte man sich halt schenken.
Solides Spiel in prächtigem Gewand
Vor allem aber ist Crysis 3 keine offensichtlich zum Spiel ausgeartete Grafikdemo, wie der erste Teil, und nicht öd, wie der zweite Teil, sondern tatsächlich ein guter Shooter. Es bietet einen klare Linie und ist natürlich kein Open World-Shooter, gibt euch aber doch immer wieder zahlreiche Möglichkeiten, eine Situation zu lösen. Man kann entweder voll auf Rambokonfrontation gehen und ganze Gebiete leeren, oder aber die meisten Gegner umschleichen. Zeitweise erinnert es da ein bisschen an die Deus Ex-Serie, ohne aber die Möglichkeiten zur dauerhaften Spezialisierung eurer Hauptfigur dermaßen zu betonen. Zwar kann man den Superanzug um diverse Module verbessern, das ist aber im Singleplayermodus eher Detailkosmetik.
Man lauft nicht wie in anderen Shootern von einer Cutscene in die andere, vergeudetet seine Zeit auch nicht mit verblödeten Quicktimevents. Stattdessen beschränkt sich Crytek ohne große Experimente auf das Wesentliche, das hochprofessionell in Szene gesetzt wird. Neben den Grafikmuskeln der Engine (die natürlich am PC beeindruckender sind, auch in meinem Xbox-Abenteuer noch zu spüren sind) sind vor allem die Shooutouts sind stark und glaubwürdig inszentiert.
Clevere Gegner
Einen wichtigen Teil trägt dazu die KI bei. Die wurde zwar in einigen Reviews kritisiert, was mir allerdings nicht ganz verständlich erscheint. Die Unhole reagieren darauf, wenn in ihrer Hörweite geschossen wird und kommen ihren Kollegen in Not zu Hilfe. Sie sichern die Umgebung im Kollektiv, gehen hinter allen möglichen Dingen in Deckung ohne danach an der immergleichen Stelle hervorzulugen, suchen euch dort wo ihr zuletzt gesehen wurdet, werfen auch Granaten auf Verdacht in die Richtung, aus der ihr als getarnter Strolch eure Geschosse auf sie abfeuert.
Ein kleines Problem am Balancing ist der Schwierigkeitsgrad. Den höchsten der fünf Schwierigkeitsgrade können Normalsterbliche getrost vergessen, den niedrigsten jeder der schonmal einen Shooter gespielt hat auch. Auf dem zweiten Schwierigkeitsgrad kommt man etwas zu einfach durch, ab dem dritten ist man allerdings dann schon angehalten extrem sicher mit dem vielfältigen Equipment umzugehen oder, viel sehr vorsichtig und viel zu schleichen, weil auch die Lebensenergie schneller abnimmt.
Beim Schleichen kommen Pfeil und Bogen ins Spiel: Das ist die mächtige Trademark-Waffe von Crysis 3 und erlaubt euch, beim Schießen auch in Tarnung zu bleiben. Zudem könnt ihr die Munition da immer wieder aufklauben und euch so vor allem gegen menschliche Gegner recht zuverlässig und gemächlich vorarbeiten. Für mich, der gerne Stealth-Shooter spielt, ist das eine wirklich willkommene Ergänzung zu all dem lauten anderen Zeug. Vor allem, weil ich als Nicht-Waffennarr mir oft schwer tue, all die anderen Waffen des Spiels richtig einschätzen zu können, weil mir ihre Namen nicht so richtig viel sagen. Es gibt so Automatikwaffen, dass ich sie kaum noch unterscheiden kann und ich habe auch keine Lust, die erstmal alle zu erproben oder ihre Statistiken zu lernen, bevor ich eine Singleplayerkampagne durchspiele. Der Bogen bietet mit seinen unterschiedlichen Munitionsarten genug Spielraum.
Handlung die den Namen verdient
Erstaunt hat mich an Crysis 3, dass auch die Story recht brauchbar erzählt ist. Ohne Spoiler: Dafür, dass sie im ersten Teil katastrophale uninspirierendes Beiwerk war, hat das Entwicklerteam mittlerweile tatsächlich ein paar interessante Aspekte daraus gequetscht. Natürlich. Der große Rahmen, der Kampf Menschen gegen Aliens und unter den Menschen Rebellen gegen böse Superkonzerne, das ist nichts Literaturpreisverdächtiges. Episches darf man sich logischerweise nicht erwarten. Aber die Frage nach dem „Was bin ich?“ des Hauptcharakters „Prohpet“ und wie andere Personen der Story damit umgehen, ist zumindest nicht nervig plump. Und mit den Selbst- und Fremdzweifeln unseres unfreiwillig aus seinem Anzug gepulten Sidekicks hat man auch sonst etwas zu beobachten.
Alles in allem, ein wirklich netter Trip nach New York.
Crysis 3 ist für PC (50€), Playstation 3 und Xbox 360 (60€) erhältlich