Stille Wasser sind tief …

Ein „halbes Leben“ haben wir auf diesen Titel gewartet – sorry, das musste ich einfach schreiben – zuerst 5 Jahre und dann wegen ein paar unredlichen Crackern nochmal ein Jahr extra. Jetzt überschlagen sich alle überall mit Reviews und Komplettlösungen in allen nur erdenklichen Formen und Farben – online und offline. Vorweg sei gesagt: niemand kann Half-Life 2 einen halben Tag nach dem Release auf Herz und Nieren getestet haben, wenn ihr also scharf auf ein Review mit der Extraportion Kompetenz seid, lest weiter.

Ich muss mich nochmal kurz für den überaus schlechten „halbes Leben“-Gag entschuldigen, aufmerksame Rebell-Leser sollten inzwischen wissen, dass das englische Wort half-life für „Halbwertszeit“ steht und nur für das, für nichts anderes. Im Endeffekt dreht sich die komplette Geschichte in Half-Life 2 rund um die Teleportationsexperimente die schon im ersten Teil für jede Menge Spannung gesorgt haben. Ein kleiner Unterschied tut sich allerdings auf: mittlerweile funktionieren die Teleporter und die Menschheit wird von den Combine beherrscht. Als Gordon Freeman findet man sich am Anfang in einem Bahnhof in City 17 wieder – eine vermutlich osteuropäische Stadt, die zum Aufnahmezentrum für Menschen umfunktioniert wurde. Ob sich die Combine nur in dieser Stadt oder auf der kompletten Erde breit gemacht haben, ist anfangs unklar. Die Stimmung ist ähnlich wie in einem Judenviertel im Zweiten Weltkrieg: Combine Soldaten sorgen dafür, dass niemand einen Bereich ohne Befugnis betritt. Zudem werden Verhöhre, Folterung oder allfällige Beseitigungsaktionen durchgeführt (Störenfriede wie der Anti-Bürger #1, der „Free Man“, sind im Combine Gebiet nicht gerne gesehen).

Zurück zum Check-In: am Bahnhof angekommen – man weiss natürlich noch nicht wirklich von der offensichtlichen Kontrolle durch die Combine – bekommt man nach einem Gesprächsversuch mit eben denen erst mal ein paar mit dem Schlagstock. Nebenher überschallen riesige Propaganda-Lautsprecher und Monitore das komplette Geschehen am Terminal. Spätestens nach zwei Sekunden hab auch ich kapiert, dass man mit den Soldaten nicht reden soll – als Antwort bekommt man, wenn überhaupt, sowieso nur ein „Step back Citizen!“ oder gewönlicherweise ein paar auf’s Maul.

Ein alter Bekannter, der Undercover in den Reihen der Besetzer ermittelt, entdeckt mich schliesslich und verhilft mir zur Flucht. Die Ereignisse überschlagen sich in den kommenden Minuten: die Rebellen (aus Gründen der Tarnung alle mit einer knallgelben Lambda-Armschleife ausgestattet) werden in einem Häuserblock nahe des Bahnhofs enttarnt. Gordon ist natürlich mitten im Getümmel und muss schnellstens mit den Untergrundkämpfern flüchten. Mit ein paar leichteren Tomb Raider Einlagen, sprich Sprünge über Dächer und Kluften zwischen mehren Häusern gelangt man schliesslich in die Freiheit – zumindest war das so gedacht. Nach dem Einsturz einer Dachbodentreppe führt kein Weg mehr nach oben, von allen Seiten umstellt sitze ich, … ok sitzt Gordon in der Falle. Die fiesen Typen mit den Schlagstöcken sind schon voll zugange, als ich dann doch noch von einem Helfer gerettet werde. Nach einer kurzen Wanderung durch den Untergrund von City 17 gelangen wir schliesslich ins Geheimlabor von Dr. Kleiner.

Der nette Wissenschafler, den wir schon aus New Mexico (Black Mesa) kennen, hat selbstredend den HEV Suit mitgebracht und übergibt ihn sofort wieder an Gordon. Mit einigen Upgrades (wie etwa einer Sprint-Funktion) und der Möglichkeit, sich über Combine-Energiesysteme zu versorgen geht’s nun nach Black Mesa East, der Zentrale der Untergrundbewegung.

Der hauseigene Teleporter bringt zuerst Alyx zu ihrem Vater, als zweiter ist Gordon an der Reihe. Leider geht hierbei etwas schief, Lamar – der „Haushund“ von Dr. Kleiner funkt ins Experiment, Gordon wird nicht wie geplant in den Rebellenstützpunkt sondern einfach ins Freie, vor’s Labor gebeamt. Natürlich bleibt dieses Experiment den Überwachern nicht verborgen, jetzt ist schnelles Handeln gefragt: Flucht quer über den Bahnhof, an fahrenden Zügen vorbei oder darüber (wieder mit einigen, wie ich meine überflüssigen, Jump & Run Einlagen) und schliesslich in die Abwasserkanäle.

Damit die wesentlichen negativen Kritikpunkte nicht in der Masse der positiven verschwinden, gibt’s jetzt gleich mal ein paar Dinge die mich wirklich gestört haben bzw. noch immer stören. Gleich zu Anfang wäre da der Installationsprozess – nachdem uns Vivendi erst in etwa drei Wochen ein physikalisches Testmuster zuschickt, kann ich nur von meinen Erfahrungen mit Steam berichten – Preloading und Keyeingabe haben einwandfrei funktioniert, allerdings musste ich etwa zwei Stunden warten, bis Steam am aktullen Stand, meinen Schlüssel bestätigt und die restlichen 3% des Spiels heruntergeladen waren.

Nach Start des Spiels musste ich zuerst mit argen Perfomanceproblemen kämpfen, ein Update meines ATi Grafiktreibers (eine Betaversion) behob schliesslich alle Probleme. Statt 800×600 konnte ich dann auch mit einer Auflösung von 1280×1024 flüssig Spielen (mit maximalen Details versteht sich) – gelegentliche Ruckler treten nur noch bei 1600×1200 auf (Athlon XP 2800+, ATi Radeon 9800 Pro, 1024 MB RAM) – auf einem High-End System dürfte diese Auflösung auch kein Problem mehr sein, aktuelle Grafiktreiber vorausgesetzt.

Wie man auf den hochauflösenden Screenshots sehen kann, ist die Grafik auf vollen Details wirklich phänomenal – aber auch auf niedrigeren Detailstufen und kleineren Auflösungen sieht das Spiel noch sehr gut aus. „Grafikblender“ wie Doom 3 sehen im Vergleich dazu nur noch armseelig aus. Auch die Performance bei Doom 3 ist bei weitem nicht so gut wie sie Half-Life 2 bietet. Texturqualität und Umsetzung der 3D Effekte sprechen ebenfalls für diesen Titel. Das alles trägt natürlich zum Flair, zur Atmosphäre bei – als Spieler kann man sich richtig in die Rolle von Gordon Freeman versetzen – ich weiss zwar nicht genau, inwieweit die Aktionen gescripted sind und was wirklich durch eine KI geregelt wird, aber die Umgebung und die Umwelt wirken glaubwürdig und lebendig. Wechselnde Tageszeiten im Verlauf des Spiels tragen zusätzlich zur Stimmung bei, ein Sonnenuntergang an der Küste mit Gegenlicht sieht in der Source Engine einfach um Längen besser aus als ein dunkler Gang mit ein paar leuchtenden Augen in Doom 3.

Nervig ist allerdings die Tatsache, dass im Detail oftmals gepatzt wurde – möglicherweise wurde es gemacht um einem FSK18 Rating zu entgehen oder einfach nur so, aber ich finde es etwas komisch, dass man „freundliche Kreaturen“, also zB Vortigaunts oder Menschen nicht verletzen oder töten kann. Eine Ausnahme stellen hier die Ant-Lions dar – aber wie gesagt Menschen, insbesondere die Rebellentruppen können in einem Feuergefecht nicht durch die eigene Waffe verletzt werden. Natürlich könnte man sagen, damit kann man wieder Amokläufer schulen usw, aber ich finde es im Endeffekt nur peinlich, wenn ich nicht einmal Dr. Eli Vance ein paar mit der Brechstange über den Schädel ziehen kann. Scheinbar können auch Hauptcharaktere nicht sterben – weder Alyx noch Barney habe ich je tot gesehen. Zwar werden sie des öfteren von Maschinengewehrsalven durchlöchert oder von Granaten in die Luft gesprengt und sehen danach auch wirklich schlimm aus, aber ins Gras beissen sie genaugenommen nicht.

Von der KI hätte ich mir erhlich gesagt auch mehr erwartet, die Rebellen, die sich Gordon anschliessen, lassen sich herumscheuchen wie eine haufen Hühnchen – mit der C-Taste kann man für die Typen einen Wegpunkt setzen und schon laufen sie los „Allright Gordon!“, „On my way …“ usw. heisst es dann – kein Meckern, kein Murren, kein Zögern wenn man sie mal sinnloserweise auf einem Platz hin und herscheucht (einfach nur zum Spass). Selbriges gilt für Himmelfahrtskommandos – 4 tapfere Männer mit der C-Taste in den sicheren Untergang zu schicken ist offenbar kein Problem, gerne laufen sie für nix und wieder nix auf eine Maschinengewehrstellung zu.

Wenn man ihnen allerdings keine Wegpunkte oder Einsatzziele setzt, verhalten sie sich relativ klug, suchen Deckung oder bekämpfen den Feind. Die Frage ist natürlich, ob das Verhalten nicht durch Nodes (sprich ein vorgegebenes Webpunktenetz) bestimmt ist. Alles in allem wirkt es aber glaubwürdig. Sobald ein Gegner mit einer besseren Waffe getötet wurde, schnappt sich ein Rebell diese und setzt sie sofort ein. Schade ist allerdings, dass es nur etwa 10 verschiedene Gesichter gibt (können mehr sein, aber es scheint so als sehen die Typen alle gleich aus). Wie eingangs schon gesagt, aus Gründen der Tarnung haben die Untergrundkämpfer alle eine knallgelbe Lambda-Armschleife. Wenn ich bei einer Widerstandsbewegung wäre, würde ich wohl die normalen blauen Klamotten anbehalten, die jeder andere „Sträfling“ in City 17 auch trägt.

Gedankentechnisch geben die Typen aber einiges her die Charaktere scheinen auf ihre Umgebung zu reagieren und entsprechende Texte von sich zu geben bzw bestimmte Aktionen auszuführen, jede Aktion wird vorher „durchdacht“ – aktiviert man die Console, so findet man im Log immer wieder Einträge darüber, wie lange die einzelnen NPC’s nachgedacht haben – im Schnitt sind das 10 bis 15 ms. Biegt ein Strider um die Ecke, führt das unweigerlich zu einer Aktion bei den Mitstreitern wenn alle „nachgedacht“ haben, schreit mit Sicherheit einer „STRIDER!!!“, selbriges gilt auch für verschiedenste andere Ereignisse.

Überhaupt gibt es sehr viele Dinge, die sowohl freundliche als auch feindliche NPCs sagen können. Combine Soldaten unterhalten sich zwar nicht über das Wetter, aber dennoch kann man ihnen einige wichtige Details über die überaus komplexe Geschichte entlocken.

In Far Cry wurde das ja auch schon sehr gut umgesetzt. Allerdings ist Half-Life 2 hier um einiges komplexer – ohne Half-Life und Opposing Force gespielt zu haben, bekommt man sehr wenig von der tiefgründigen Geschichte mit – ein mehrfaches Spielen empfiehlt sich auf jeden Fall.

Heil jenen, die Doom 3 noch immer nicht durchgespielt haben: ihr könnt getrost aufhören zu spielen, Half-Life 2 ist sowohl storytechnisch als auch, grafisch um einiges besser.

Leider gibt es einige Kritikpunkte die den Spielspass mindern – darum keine absolute Topwertung – jetzt kommt sicher das Gerede über einen Profilierungsversuch von uns, wer den Test aufmerksam gelesen hat, wird allerdings zu dem Schluss kommen, dass sie durchaus begründet ist – besonders die Boot- und die Buggypassagen haben mich ewig geschlaucht – etwas kürzer haette man sie schon gestalten können. Selbriges gilt für die Jump ’n‘ Run Einlagen im Tomb Raider Stil, Ballanceakte über Stahlträger oder sonstige Hindernisse hätte man sich in der Tat sparen können.

Für die geniale Atmosphäre und die Spitzenumsetzung in puncto Grafik gibts aber trotzdem eine der besten Wertungen die ein Spiel bei Rebell.at je bekommen hat. Den Leak vor gut einem Jahr, den verspäteten Release und all das Gezanke mit Vivendi kann man Valve unmöglich vorwerfen und den Spielspass mindert es im Endeffekt ja auch nicht – wer Half-Life 2 aus Protest doch nicht kauft oder illegal kopiert ist selber schuld. Offen gesagt ist Half-Life 2 einer der besten Shooter aller Zeiten.

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