Es grunzt, es schmatzt, Chaos überzieht das Land. Geschwollene Durchhalteparolen schallen von Helden auf ihren stolzen Rössern auf die dem baldigen Untergang geweihten Otto-Normal-Soldaten herab: Herzlich willkommen in ’Der Herr der Ringe: Die Schlacht um Mittelerde 2’. Oberschurke Sauron leidet offensichtlich unter Gedächtnisverlust und zieht schon wieder mit seiner rotzenden Ekeltruppe in die ’Schlacht um Mittelerde’. Mit welchem teuflischen Zauber belegte Electronic Arts die Tolkien-Protagonisten oder warum haben sie kein Déjà vu?
Soll Tolkien doch selbst erzählen
’Der Herr der Ringe’ verzückt beileibe nicht nur realitätsvergessende Fans; das Epos darf sich mit gutem Recht zur Weltliteratur zählen. Deswegen ließ man wohl aus Respekt davor lieber gleich das Erzählen einer interessanten neuen Geschichten innerhalb dieses Fantasy-Universums sein und präsentiert in der Kampagne von ’Die Schlacht um Mittelerde 2’ eine ungezogen dünne Hintergrundgeschichte. Der Plot lässt sich denn auch in Kürze beschreiben oder an drei Finger abzählen, denn die kreative Eigenleistung beschränkte sich höchstens auf einen kurzen Blick auf die alten Karten von Mittelerde. Der Nordwesten wird von Saurons Armeen bedroht, die alliierten Elben und Zwerge geraten in den Würgegriff Mordors. Punkt. Warum eigentlich? Hatten Goblins, Orks und Trolle nach dem ersten Teil des Strategiespiels schon wieder Langeweile? Wir erfahren es nicht. Man muss nicht unbedingt auf ein gutes Buch oder ein Rollenspiel zurückgreifen, um eine glaubwürdig erzählte Geschichte erwarten zu können. Aber höchstens ein paar Infos zur nächsten Schlacht und was den Unterlegenen danach blüht filmisch darzubieten, das ist keine Hintergrundstory.
Mehr Lebensraum für’s Volk
Kämpfen auf der Seite der dunklen Mächte die Fraktionen Mordor, Isengart und die Goblins, stellen sich diesen die Heere der Elben, Zwerge und Menschen entgegen. Die Unterschiede im Gameplay erscheinen marginal, über neue Ansätze brauchen wir hier erst gar nicht zu sprechen. Trotzdem erzwingen diese aber – verglichen mit den aus anderen klassischen Echtzeit-Strategiespielen bekannten Spielweisen – einige Umstellungen. Egal ob Elfen, Zwerge oder Orks: Jede Partei benötigt auf gewohnte Weise Ressourcen, um ihre Armeen zu unterhalten und die üblichen Upgrades freizuschalten. Aber genau bei der Ressourcengewinnung zeigt sich: Die Effektivität einzelner Rohstoffquellen wie Farmen, Erdlöcher oder Minen erhöht sich mit deren Abstand. In der Konsequenz ergibt sich nicht eine in sich abgeschottete und überschaubar zu verteidigende Basis, sondern sie erstreckt sich somit auf große Teile der gespielten Karte.
Perfekte Präsentation
Während man auf der für beide Seiten jeweils acht Missionen umfassenden Kampagne sich eine spannende Story selbst ausdenken darf, lässt Electronic Arts den Spieler zumindest bei der Optik und Akustik nicht im Stich. Die einzelnen Maps wurden zweifellos wunderschön inklusive hohen Detailgrads sowie Blickfängern gestaltet. Vor allem die verschiedenen Einheitentypen der vereinten Armeen der Finsternis, die immer in kompletten Regimentern antreten, geben mit ihren Bannerträgern eine gute Vorstellung von ihrer Schrecklichkeit. Selbstverständlich kommt die mittlerweile auch für das Strategiegenre obligatorische Physik-Engine zum Einsatz. Meiner Meinung nach gäbe es zur Zeit kein besseres Spiel als ’Die Schlacht um Mittelerde 2’, um die technischen Möglichkeiten so einer Engine besser zu präsentieren. Es geht einfach nichts über einen riesigen Troll, der eine Zwergenbande mit einem Fußtritt oder Handstreich über das halbe Schlachtfeld fegt.
Garniert wird die Szene vom grandiosen originalen Filmsoundtrack. Brüllen die Mannen dem Heerführer entgegen, ertappt man sich nicht selten dabei, sich als richtiger General einer Fantasy-Streitmacht zu fühlen. Die englische Sprachausgabe jedenfalls ist fantastisch. Der Himmel über dem Schlachtfeld verfinstert sich jedoch zunehmend, sobald die KI ins Spiel kommt. Zwar verhält sich diese auf den Skirmish-Maps ordentlich und lässt zumindest mir Dilettanten schon auf mittlerer Stufe fast keine Chance, erscheint das Verhalten der Kampagnen-Gegner so vorhersehbar wie die Gewissheit, dass nach dem Winter der Frühling kommt. So hält man anfangs die an den immer gleichen Stellen angreifenden Feinde in Schach, bis die Basis und alle Upgrades ausgebaut sind. Das Finale endet im Sturm der Massen auf die Missionsziele, beschränkt nur durch das Einheitenlimit.
In Mittelerde nichts Neues
Ich könnte mich bei ’Der Herr der Ringe: Schlacht um Mittlerede 2’ wieder maßlos ärgern. Mit diesem Spiel wird – auf eine zugegeben optisch sehr beeindruckende Weise – über die allgemeine Lustlosigkeit hinweggetäuscht, sich ein paar Gedanken über den Stand des Genres zu machen. Es soll nicht falsch verstanden werden, dass es sich bei ’Schlacht um Mittelerde 2’ nur um eine weitere schlechte Umsetzung einer Filmlizenz handelt. Dafür ist es handwerklich außerordentlich gut gelungen, nur hat man alles schon zu oft gesehen. Das mag Fans der Filme sowie urklassischer Echtzeit-Strategiespiele vielleicht nicht weiter stören. Aber die gebotenen Missionen werden ihnen darüber hinaus eine nur unzufrieden präsentierte Kampagne sowie ein mit wenigen Ausnahmen einfallsloses Missionsdesign bieten. Wer ’Schlacht um Mittelerde 2’ innovativer als das beispielsweise im vergleichbaren Zeitraum bereits erschienene ’Empire at War’ einschätzt, gehört auf Sarumans Turm verbannt.