Langsam schleiche ich nachts durch eine düstere Gasse, an einer Laterne vorbei, deren Licht absolut realistische Schatten bei allen in der Umgebung herumstehenden Objekten wirft. Links und rechts ragen die Wände zweier Hochhäuser in den Himmel. Eine dünne Kette hängt von einer Dachrinne, die den physikalischen Gesetzen gehorchend im starken Wind schaukelt. Vom niederprasselnden Regen wird das Terrain auf dem ich gehe rutschig, die Sicht von einem zarten Nebel deutlich verschlechtert. Doch die optischen Feinheiten beeindrucken mich kein bisschen.
Eine Parkbank bäumt sich vor mir als scheinbar unüberwindliches Hindernis auf – im Duckjump springe einfach darüber hinweg. Ein Gefühl der grenzenlosen Freiheit umgibt mich, doch plötzlich höre ich Stimmen und Schritte. Ich verschwinde im Schatten einer kleinen Nische und warte. Da! Zwei Menschen gehen an mir vorbei und unterhalten sich über aktuelle geopolitische Themen. Glück gehabt, es sind nur Zivilisten, keine Feinde!
Ich setze meinen Weg fort und komme an einer Wand vorbei, aus welcher die Mündung eines Lüftungsschachtes ragt. Mit einer am Boden liegenden Stange versuche ich die Abdeckung zu zerschlagen, doch sie lässt sich lediglich verbiegen. Widerwillig entschließe ich mich also, einen anderen Weg in das Gebäude zu wählen.
Vier Neonazis kommen mir um die Ecke entgegen, und verzweifelt durchsuche ich mein Inventar nach der Schrotflinte – kann sie aber nicht finden, weshalb ich mich in das Lokal gleich zu meiner Linken flüchte, bis – die mir wenig sympathischen – Männer verschwunden sind. Im Pub kommt laute Hip Hop-Musik aus den Boxen, deren Hintergrundgedudel mich frappierend an die Titelmusik von Monkey Island 3 erinnert, und ich bin froh die Spelunke nach einigen Minuten wieder verlassen zu können.
Endlich am Ziel angekommen, öffne ich die Eingangstür mit einem Schlüssel und schreite zielstrebig auf den Lift zu. Drinnen angekommen suche ich erst einmal die Ausstiegslucke an der Decke, doch es gibt keine! Sollte der Lift etwa…? Tatsächlich! Er funktioniert und muss nicht mit einem Multitool gehackt werden. Ich drücke also auf den Knopf für den siebenten Stock und die gestochen scharfen Wandtexturen – inklusive Kratzern und von Vandalen gekritzelten Beschmipfungen – beeindrucken mich nun doch. Der Lift hält im gewünschten Stockwerk an, eine Wohnungstür ist direkt vor mir zu sehen. Ich öffne sie und betrete vorsichtig den Raum. Ein Hund kommt mit lebensechten Animationen auf mich zugerannt, und nachdem ich mit dem Biest über mir am Boden gelandet bin – wegen der nassen Schuhe gelang es mir nicht mich auf den Füßen zu halten – halte ich Ausschau nach einer Anzeige der Lebenspunkte. Doch wenig überraschend, es gibt keine! Warum? Das hier ist kein Spiel, es ist das richtige Leben – oder: RL, wie meine Freunde es nennen! Und als mir das wieder klar wird fällt mir ein altbekannter Spruch ein: Das Leben ist ein beschissenes Spiel, aber es hat eine saugeile Grafik!
Gewidmet all jenen, die aus dem Staunen nicht mehr herauskommen, wenn eine Lampe in Deus Ex 2 realistische Schatten wirft, und jenen die beim Anblick eines Lüftungsschachts den Zwang verspüren hineinzukriechen…