Machen wir es französisch

In diesem Jahr können sich MMORPG-Begeisterte wahrlich nicht beklagen. Mehrere Titel befinden sich gerade in der Entwicklung oder stehen kurz vor der Veröffentlichung. Wurde der Markt bisher hauptsächlich von US-Titeln beherrscht, steht nun mit ‚The Saga of Ryzom‘ ein europäischer Vertreter in den Startlöchern. Mit welchen Innovationen sich ‚Ryzom‘ von der wachsenden Konkurrenz abheben will, könnt ihr in unserem Preview erfahren.

Das französische Entwickler-Studio Nevrax lässt die Spieler beim Science-Fantasy-MMORPG ‚Ryzom‘ am Schicksal der auf dem Planeten Atys lebenden Homins teilhaben. Vier durchgängig menschenähnliche Völker der Homins versuchen, in einer fernen Zukunft nach den großen Kitin-Kriegen, den grünen Planeten wieder lebenswert zu machen: die Zorais im Dschungel, die Matis in den Wäldern, in den Wüsten die Fyros und die Tryker siedeln in den See-Ländern Atys.

Die Beziehungen zwischen den Homins und der Fauna und Flora sind wichtig, wie sich später noch zeigen wird. Die obligatorische mystische Energie, von der besonders Titel mit Fantasy-Hintergrund leben, wird in ‚Ryzom‘ durch die so genannten Prime Roots repräsentiert. Dabei handelt es sich um weit verzweigte Labyrinthe, die den gesamten Planeten durchziehen und Energie – Mana heißt hier Sap – spenden. Man vermutet, dass viele der ungewöhnlichen Geschöpfe und Gewächse ihre Fähigkeiten aus den Prime Roots beziehen.

In einem sind die Homins der Menschheit ziemlich ähnlich: Alles was fremd ist, ist verdächtig und gehört ausgelöscht. Als Angehörige der Fyros auf ein Nest der Kitins stießen, lösten sie mit ihrer unüberlegten Handlung einen Konflikt aus, der sich zu den großen Kitin-Kriegen entwickelte. Das gewohnte Leben auf Atys gehörte erst einmal der Vergangenheit an und hätten die geheimnisvollen Kamis und Karavan nicht in den Konflikt eingegriffen, wäre es mit dem schönen Leben auf Atys wohl vorbei gewesen. Die besagten Wesen kümmern sich in der Gegenwart, als eine Art ‚Blauhelme‘ in einer UN-Friedensmission, um die Neuverteilung der Gebiete unter den Völkern und überwachen seitdem den Neuanfang.

Die erste Hürde: Der Start

Je nachdem, für welches Volk ihr euch entscheidet, geht es nach der Charaktererstellung auch schon ins spezifische Neulingsgebiet und das Abenteuer kann beginnen.

Dabei habt ihr euch auch schon grob auf eine Richtung festgelegt, in die sich euer Charakter entwickeln soll: Aus drei Starterpaketen – Kampf, Magie oder Handwerk – könnt ihr die richtige Mischung zusammenstellen, womit euch auch gleich die ersten Fertigkeiten zur Verfügung stehen.

Sah die Startphase zum Zeitpunkt der vorangegangenen Beta-Version vor allem für Neulinge noch ziemlich verworren und kompliziert aus, so wurden mit der aktuellen dritten Phase des Beta-Tests viele Starthilfen eingebaut: Ein spezieller Newbie-Welcomer-NPC gibt am Anfang Antwort auf die brennendsten Fragen: Wo bin ich hier? Wie funktionieren die grundlegenden Dinge Bewegung, Kampf, Magie, Quests (temporär entfernt), Handwerk sowie die Charakterentwicklung? Außerdem kann jetzt bei Fragen jederzeit in einem Online-FAQ nachgeblättert werden.

Ansonsten findet sich in den Startgebieten alles Nötige zur Grundversorgung, daneben werden Gebiete für die ersten Trainingsrunden geboten. Händler verkaufen die gängige Heldengrundausstattung wie Waffen und Rüstung, des Weiteren stehen Trainer für jede Klasse bereit. Fertig ausgerüstet geht es dann auch schon an die Erkundung der Umgebung.

Zum Zeitpunkt des Previews stand in der vorliegenden Beta-3 lediglich das Gebiet der Fyros zur Verfügung. Über den grafischen Eindruck der anderen Gebiete konnte so noch kein Eindruck gewonnen werden. So präsentiert sich die Wüstenlandschaft erwartungsgemäß karg und die Botanik ist spärlich. Städte und Siedlungen – Oasen in der Einöde – könnten grafisch abwechslungsreicher und anspruchsvoller sein. Außer Soundeffekten und Atmosphärenklängen ist es in der Beta-Version noch ziemlich still, da noch keine Hintergrundmusik implementiert wurde.

Umstellung ist angesagt

‚Ryzom‘ hält sich in einigen Punkten nicht an gängige RPG-Vorgaben, was eine erhebliche Umstellung, wie auch ein Umdenken, erfordert. Das beginnt zum Beispiel schon bei den so gewohnten Begriffen Levels oder Charakter-Stufe. Ihr werdet bei eurem Charakter – wie auch bei anderen Spieler-Charakteren – keine Angabe über den Level des Avatars finden. Dafür geben vom Trainer verliehene Titel in den jeweiligen Grundspezialisierungen über die Stärke und Erfahrung des Charakters Aufschluss. Bei eurem Charakter selbst könnt ihr anhand der jeweiligen Stufen eurer Fertigkeiten (Kampf, Magie, Verteidigung, Handwerk, Rohstoffgewinnung) auf euer ‚Level‘ schließen. An dieser Neuerung könnten sich möglicherweise einige Spieler stören, obwohl diese für das Spiel an sich keine negative Auswirkung hat.

Erfreulicherweise verzweifelt man nicht am durchgängig gut gelösten Gameplay. Aktionen sind einfach über Rechtsklicks oder mittels Doppelklick zu starten, ebenso werden die wichtigsten Menüs mit wenigen Klicks oder Hotkeys erreicht. Des Weiteren erleichtern Tool-Tipps oder das Hilfe-Glossar das Leben.

Krieger und Handwerker: die Lehrjahre

Das Leben der Charaktere auf Atys ist in zwei große Abschnitte gegliedert: Von eurer Geburt bis zur 20. Fertigkeitsstufe stehen euch Skills in fünf unterschiedlichen Zweigen zur Verfügung: Kampf, Magie, Verteidigung, Handwerk und Rohstoffgewinnung. Erfahrung gewinnt man hier nicht in Form von Erfahrungspunkten, sondern mit erfolgreich ausgeführten Aktionen. Hat man erst einmal genug Erfahrung, zum Beispiel durch erfolgreiche Kämpfe oder beim Extrahieren von Rohstoffen, gesammelt, winken als Belohnung Skill-Punkte, die bei den örtlichen Trainern gegen neue Aktionen oder Attributssteigerungen eingetauscht werden können.

Im späteren Spielverlauf eröffnen sich dem Charakter erweiterte Möglichkeiten zur zusätzlichen Verfeinerung und Spezialisierung.

Eine Innovation stellt auch das modulare Aktionssystem dar, bei dem ihr euch nach eigenen Vorlieben Kampf-Styles, Zauber und Handwerkstechniken basteln könnt. Habt ihr erst einmal einige neue Fertigkeiten bei den jeweiligen Trainern erworben, so könnt ihr diesen Skill sozusagen in seine Einzelteile (Stanzas und Bricks) zerlegen und damit neue Skills mit veränderten Effekten kreieren. Damit kann vor allem der typischen Gleichheit der Rollenspiel-Charaktere in den Berufen bzw. Klassen vorgebeugt werden; Differenzierung ist hier möglich.

Auch die Bastler unter euch kommen im umfangreichen Handwerkssystem nicht zu kurz. Am Anfang eines jeden hergestellten Gegenstandes steht das Sammeln (oder Kaufen) von Ressourcen. An bestimmten Stellen tauchen so genannte Ressourcen-Spots auf, die dann abgeerntet werden können. Interessanterweise erleichtert man sich später das lästige Suchen nach Ressourcen erheblich, wenn man die verschiedenen Prospektions-Möglichkeiten beim Trainer erwirbt. In ressourcenreichen Gebieten kann man sich so praktisch vor der Nase eine Rohstoffquelle erscheinen lassen.

Sind die entsprechenden Ressourcen eingesammelt, können sie mit Hilfe von Handwerksgerät umgehend zu benötigten Gütern weiterverarbeitet oder aber mit speziellen Fähigkeiten auch weiterveredelt werden. Da Gegenstände mit sehr hoher Qualität nicht bei den NPC-Händlern verfügbar sein werden, stellt das Handwerk einen wichtigen Spielaspekt der Wirtschaft in ‚Ryzom‘ dar.

Überlebenskünstler

Verlasst ihr die Städte und sicheren Außenposten, steht ihr einer prinzipiell jederzeit feindlich gesinnten Umwelt gegenüber. Darüber können auch manch putzige kleine Tierchen, die ihr bei ihren täglichen Verrichtungen beobachten könnt oder die sich in euch verliebt haben und zum Schoßhündchen avancieren, nicht hinwegtäuschen: Die Welt ist gefährlich und ihr seid für manche Kreaturen – Pflanzen eingeschlossen – ein gefundenes Mittagessen.

Gekämpft und gezaubert wird genretypisch in Echtzeit unter Einsatz von Spezialangriffen und Zaubersprüchen. Je mehr Erfahrung ihr sammelt, desto mehr neue Angriffs-Styles oder Zauber stehen zur Wahl. Nur was ihr am besten angreift, solltet ihr euch genau überlegen. Eine eigentlich ziemlich friedliche Huftier-Herde kann ziemlich angesäuert reagieren, wenn eines ihrer Mitglieder vor den Augen der Genossen zerlegt wird. Andere Gegner sind von sich aus aggressiv und greifen sofort an, wenn ihr in deren Aggressionsradius tretet. Die Gesinnung der Widersacher könnt ihr an den verschiedenen Präfixes der Namen ersehen. Neben wilden Tieren, Kreaturen und Pflanzen werdet ihr auch auf menschenähnliche Gegner treffen, die sogenannten Angehörigen der Primitive Tribes.

Die Charaktere an sich sind sehr lebendig animiert und wirken sehr lebensnah und detailliert. Bei der vorliegenden Beta-Version hapert es hingegen bei den Kampfanimationen noch gehörig: Zu holprig animierte Bewegungen und noch vorhandene Animationsfehler während des Kampfes lassen eine gute Kampfstimmung schwer aufkommen. Hier gibt es bis zum Release noch einiges zu tun.

Recycling und Transport

Im Handwerkssystem kommt stark der Öko-Aspekt von ‚Ryzom‘ zum Tragen: Nicht nur die Rohstoffquellen bieten wertvolle Ressourcen, auch die Kadaver besiegter Kreaturen können für die Produktion von Gegenständen recycelt werden. So kann zum Beispiel der Panzer eines Wüstenbewohners schnell zu einem guten Schild verbaut werden.
Zusammengerafftes Zeug wird in Taschen gebunkert, die von bis zu drei Packtieren getragen werden. Diese können käuflich erworben werden und folgen euch mittels verschiedener Kommandobefehle treu in einer Karawane. Auf Reittiere hingegen werdet ihr vor allem dann zurückgreifen, wenn ihr längere Strecken zu bewältigen habt. Sie stellen das Reisemittel in ‚Ryzom‘ dar und sollen sogar auf nicht vordefinierten Routen frei bewegt werden können.

Der erste Eindruck, den man vom Science-Fantasy-MMORPG ‚The Saga of Ryzom‘ gewinnen konnte, bestätigt die Hoffnung, dass sich Entwickler Nevrax Gedanken um die Weiterentwicklung des Genres gemacht hat. Neue Schwerpunkte – beispielsweise weg vom reinen Charakterlevel als Gradmesser der Erfahrung eines Charakters, hin zur Konzentration auf die Stärke der wirklich trainierten Fertigkeiten als Aussagewert – wie auch das Erfahrungssystem und nicht zu vergessen das neuartige, selbstdefinierbare, modulare Aktionssystem zeugen von Innovation. Sogar das Handwerkssystem kann sich auf Neuerungen freuen. Dagegen steht der wirklich sehr schwierige Einstieg, der nicht nur Frischlingen Probleme bereiten wird. Hier muss sich zeigen, was bis zum Release diesbezüglich noch verbessert werden kann. Mit der Veröffentlichung des Handbuches wurde schon ein erster Schritt in diese Richtung getan. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Frustration die guten Ansätze zunichte macht und der Titel – zu unrecht – beiseite gelegt wird, ehe diese harte Phase überwunden wurde. Auch hinsichtlich der versprochenen Möglichkeiten der Spieler-Gilden darf man beim Release gespannt sein.

Ersteindruck: Sehr Gut

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