Ich hatte nie ein SNES, weshalb es für mich Anfang der 90er-Jahre immer etwas Besonderes war, zu einer Schulfreundin zu gehen, die diesen lustigen hellen Kasten bei sich zu Hause vor dem Fernseher stehen hatte. Zig verschiedene Spiele probierten wir damals aus, landeten letztendlich aber doch immer bei demselben: ‚Mario Kart‘. Nichts war lustiger, als sich gegenseitig die Schildkröten um die Ohren zu hauen, um kurz vor der Ziellinie den Gegner zu überholen. Nichts weckte mein Interesse an Spielen mehr als dieses kleine, simple Rennspiel. Jetzt, über zehn Jahre später, spiele ich wieder ‚Mario Kart‘ – dieses Mal allerdings auf dem Nintendo DS.
Features, Features, Features
Eigentlich hat ‚Mario Kart DS‘ alles, was es braucht, um es zu dem besten ‚Mario Kart‘ zu machen: Sagenhafte 8 Cups mit 32 Strecken, davon 16 Klassiker, die originalgetreu von SNES, N64, GCN und GBA auf den Nintendo DS portiert wurden. Zig verschiedene Karts und neue Charaktere aus dem Mario-Welt wie „Knochentrocken“, eine nicht mehr so ganz lebendige Kröte. Neue Waffen wie ein Octopuss, der Tinte versprüht, so dass man nur noch einen Teil des Bildschirms sieht. Sechs Arenen, zwei überarbeitete Duellmodi. Nicht zuletzt Multiplayer im Netzwerk oder über das neu eingerichete Onlineangebot, wahlweise sogar gegen ‚Mario Kart‘-lose DS-Besitzer. Und doch: ‚Mario Kart DS‘ hätte soviel mehr sein können.
Arcade mit Anspruch
Manche Dinge sollte man einfach so lassen, wie sie sind. Bei ‚Mario Kart DS‘ ist damit das Fahrmodell gemeint, das gegenüber den Vorgängern deutlich verändert wurde: Es ist komplexer, zugleich aber schwieriger nachzuvollziehen als in der Vergangenheit. Wann greift der Windschatten und wann nicht? Wie muss ich einen Gegner anfahren, um ihn zu schubsen und nicht selbst von der Piste zu fliegen? Warum ist Driften und Springen kombiniert und warum haben die Entwickler die Aktivierung des Speedboosts dabei so unvorteilhaft auf das Steuerkreuz gelegt? Zu einem gewissen Grade machen die Veränderungen ‚Mario Kart DS‘ natürlich anspruchsvoller, aber ist das ein erstrebenswertes Ziel? Gerade die leichte Zugänglichkeit und Verständlichkeit haben ‚Mario Kart‘ als schnelles Multiplayerspiel für Zwischendurch qualifiziert. Jetzt ist weitaus mehr Einarbeitsungszeit erforderlich.
Rennen oder Lotterie?
Dazu kommt, dass ‚Mario Kart DS‘ mehr auf den Faktor Glück setzt, als jeder andere Teil der Reihe. Wie oft musste ich bei Rennen gegen die KI-Fahrer kurz vor Schluss mehrere Abschüsse einstecken, um dann doch noch um den sicher geglaubten Sieg gebracht zu werden. Die Items und ihre Verteilung können einen enormen Frustfaktor darstellen, denn gerade wenn ihr besonders gut fahrt und das Feld anführt, seid ihr den Angriffen der Gegner nahezu schutzlos ausgeliefert: Gegen die blauen Kröten, die schnurstracks zum Führenden fliegen und ihn in die Luft schleudern, könnt ihr überhaupt nichts ausrichten. Doch auch gegen die zielsuchenden roten habt ihr kaum eine Abwehrchance: Wurdet ihr bei ‚Mario Kart: Double Dash!!‘ auf dem GameCube noch vor dem bevorstehenden Einschlag gewarnt und musstet lediglich schnell eine Bananenschale abwerfen, werdet ihr bei ‚Mario Kart DS‘ wieder von den Attacken überrascht. Angezeigt wird die Waffe lediglich auf der kleinen Karte des unteren Touchscreens, die ihr im Eifer des Gefechts aber nur selten im Auge behalten könnt. Gleiches gilt für falsche Kästen, die sich im Gegensatz zum GameCube nicht mehr an ihrem Aussehen erkennen lassen.
Die Unausgeglichenheit geht sogar so weit, dass die Chance auf gute Items nun ein Bestandteil der Fahrzeugstatistiken ist: Neben Werten wie Beschleunigung, Höchstgeschwindigkeit und Driften könnt ihr nun also auch ablesen, ob ihr im Rennen überwiegend die weitgehend nutzlosen Bananenschalen finden werdet oder auf hilfreiche Items wie Speedpilze und Unverwundbarkeitssterne hoffen dürft. Angesichts der großen Bedeutung der Items eine unglückliche Designentscheidung.
Weniger wäre mehr
Nintendo hat mit ‚Mario Kart DS‘ viel versucht: Sie haben versucht, Fans der Reihe zu begeistern, indem sie die Klassikerstrecken eingebaut haben. Sie haben versucht, erfahrene Spieler zu begeistern, indem sie Komplexität und Anspruch erhöht haben. Sie haben gleichzeitig versucht, auch Einsteigern Chancen zu geben und dafür die Waffenbalance überarbeitet. Sie haben Online-Features integriert, um Multiplayer-Fans zufriedenzustellen. Und irgendwo dazwischen ist ihnen der Spielspaß ein bisschen verloren gegangen. ‚Mario Kart DS‘ ist kein schlechtes Spiel, beileibe nicht: Vor allem gegen ein, zwei Freunde kann es wirklich viel Spaß machen. Aber nüchtern betrachtet, hat es mehr Schwächen und Verschlimmbesserungen, als einem lieb sein kann. Oder um es mit anderen Worten zu sagen: Wenn ‚Mario Kart‘ auf dem SNES so gewesen wäre wie ‚Mario Kart‘ auf dem Nintendo DS, würde ich diese Zeilen heute wahrscheinlich gar nicht schreiben.