Ich puste den Staub von der etwas zerknirschten Packung und blicke liebevolle auf mein Exemplar von Age of Empires 2. Lange ist es her, scheint es mir, dass ich noch vor Schulbeginn zum Laden gerannt bin, um mir dieses wenig hübsche aber ewig markante Ding zu kaufen. Viel zu groß ist es jetzt, zu viel Platz braucht es. Aber ich kann es trotzdem nicht entsorgen. Irgendwas an dieser Schachtel ist zu wertvoll. Verzweifelt blicke ich über den Zimmerboden. Irgendwo muss hier ein Nest sein. Ich wate durch hunderte Spiele, hebe immer wieder einige auf und sortiere sie. Nicht einmal bei zweifelhaften Perlen wie Beach King Stunt Racer fällt es mir leicht, sie auf den Haufen zu legen, der für die Aussortierten gedacht ist. Ich kann nicht sagen warum. Die unzähligen guten Spiele sortiere ich zum ersten Mal chronologisch. Sie sollen in eine Schachtel im Keller kommen. Eine Schachtel für Schachteln, schon irgendwie absurd. Als Mensch hängt man an seltsamen Symbolen.
Als einst die großen Pappkartons aus den Regalen verschwanden war ich darüber traurig. Eine DVD-Plastikbox hatte diesen billigen, belanglosen Touch. Ich kann mich erinnern, dass ich aus Protest eine Zeit lang weniger Spiele gekauft habe. Heute bin ich dankbar, dass irgendjemand einst diese Umstellung vorangetrieben hat. Andernfalls würde diese Sammlung vielleicht schon ein ganzes kleines Zimmer für sich beanspruchen.
Dieses Zimmer, so wie es sich hier vor mir auftut, ist ein Relikt aus einer anderen Zeit und das am Boden verstreute Material ein Sammelsurium an Enttäuschungen und Freuden. Diese Schachteln sind Zeugen von guten und schlechten Lebensabschnitten. Ich bin nicht alt genug, um in den Anfangstagen der Spielegeschichte dabei gewesen zu sein. Nicht einmal als das Thema zur Subkultur wurde, war ich dabei. Aber ich spiele seit ich fünf Jahre alt bin. Prince of Persia war es, das mich in den Bann dieses Hobby gezogen hat. Damals war das eine Raubkopie von einem Nachbarn. Heute hat sich meine Familie das Spiel als Remake über Xbox Live gedownloaded. Auch dieser schwarze Fleck meiner Vergangenheit ist also ausgelöscht.
Diese Zeit in der ich „ernsthaft“ zum Spieler wurde, mir Magazine kaufte und sogar auf der Sprachwoche in England als Souvenir kein Fußballtrikot sondern die UK-Version von Daikatana gekauft habe. Das war zu damals, als die Sony Playstation begann alle Rekorde zu brechen. Spielen wurde von der Subkultur zum Mainstream, zum Alltag, zum Pop. Ich durfte beides miterleben.
Super Mario war zuerst Symbol der Freaks, dann plötzlich auf den T-Shirts von „normalen“, hübschen Mädchen zu finden ehe sein Name von irgenndeinem Journalisten an Werder Bremens Mario Basler verliehen wurde. Nicht die Spieler wurden „normal“, die Spiele wurden es.
Das hat nicht jedem gefallen. Die Anhänger der Subkultur mochten die vermehrte Ausrichtung am einfachen Idioten nicht. Es schien, als wäre ein Spiel nicht gut, das nicht undurchschaubar über-featured war. Freilich waren Spiele schon früher einfach, aber damals war das halt ein Angebot an die „richtigen Leute“. Und die Bewacher des Mainstreams befürchteten wieder einmal die Verrohung der Jugend, den Untergang der Kultur und vermutlich vor allem einen Niedergang ihrer Quoten. Spiele waren jetzt beliebter Pop und böser Rock zugleich.
Und ich stand mit einem Freunde jede Woche in der Freistunde vor dem Regal unseres besten Spielehändlers und überlegte, woher das Geld für das nächste Objekt der Begierde kommen sollte. So etwas wie dieses gute Stück hier. Meine erste Import-Version, meine erste Special Edition: Deus Ex. „Das muss ich wieder einmal spielen“, denke ich.Wen ich alle Spiele spiele, bei denen ich das heute gedacht habe, dann wird das mit dem Studienabschluss vor 2015 nichts mehr. Wo ist nur der Schlüsselanhänger geblieben, der damals in der Schachtel war?
Ich suche auf Youtube nach Deus Ex und finde Szenen mit dem guten alten JC Denton. Toll sieht es nicht aus. Aber in einer Zeit in der ein 2D-Geschicklichkeitsspiel mein Liebling des vergangenen Jahres wurde, ist mir das herzlichst wurscht. Die inneren Werte zählen. Ich habe auf das Grafikplimplim noch nie viel gegeben – teilweise auch, weil ich mir eh nie den PC leisten konnte, der diese Effektscheisse abspielen konnte. Nach Deus Ex habe ich alle Spiele von Ion Storm gekauft. Nur Anachronox habe ich irgendwie nie ergattert. Jetzt noch Geld dafür auszugeben? In Zeiten DER WIRTSCHAFTSKRISE? Vielleicht später.
„Ach Kacke!“, murmle ich. Nur gut 40 Spiele haben es auf den „Aussortier-Hügel“ geschafft. Etwa fünf Mal so viele sind in den anderen Boxen verstaut. Und wenn ich bedenke, das ich im Laufe der Jahre noch einige Spiele verloren habe, ihre Konsolenkollegen hier gar nicht dabei sind und manche in meiner Wohnung in Wien stapeln, dann ergibt das zu viel Platz der für Schachteln in Schachteln draufgeht. Ich blicke das Bücherregal an: Ob ich da wohl erfolgreicher sein werde? Nicht wirklich.
Da muss ich froh sein, dass es jetzt Steam gibt. Ich werde zwar nie annähernd so sentimental durch meine Spieleliste scrollen, aber sie spart unheimlich viel Platz. Und es ist verdammt noch mal deutlich weniger Arbeit, sie zu sortieren.
Auf die neue Zeit! Auch wenn sie nie so sein wird wie damals. Und auch weil sie nie so sein wird wie damals.