Ich werde mein ganzes Leben niemals den Tag vergessen, an dem jemand zu mir allen Ernstes gesagt hat "Ich will Pirat werden!" – dieser jemand wollte aber kein normaler Pirat sein, er wollte mit gelben Ölzeug bekleidet bei strahlendem Sonnenschein auf dem Bodensee eine Totenkopf-Flagge auf seinem Schlauchboot hissen. Sicher könnt ihr euch denken, dass mir seitdem alles mit Piraten eine Riesenfreude bereitet.
Am 26. Jänner 2007 hat Ascaron jedenfalls Tortuga – Two Treasures rausgebraucht, ein Spiel in dem es treffenderweise um Piraten geht. Mein erster Gedanke war natürlich "Muss ich haben!" – schon allein aus dem Grund, weil seit der Neuauflage von Pirates! kein ordentliches und vor allem einfaches Piratenspiel zu haben war (Salvo! zähl‘ ich jetzt mal nicht mit, das ist definitv zu kompliziert gewesen).
Auf der Verpackung des Spiels prangt an erster Stelle "Rasante, actiongeladene Story um Geheimnisse, Verrat und Liebe" – zugegeben, das hört sich an, wie die eierlegende Wollmilchsau – wie Kinderüberaschung oder schlichtweg etwas unglaubwürdig an, Marketing eben. Aber wer Ascaron kennt, ist sich der Qualität der Arbeit und der bisherigen Titel in diesem Themenbereich bewußt – immerhin sind Port Royale und vor allem Hanse – Die Expedition endgeile Spiele. Aber mehr zur Geschichte ein wenig später.
Der nächste Punkt auf der Featureliste ist "Intuitives, leicht erlernbares Gameplay" – auf diesen werde ich sofort etwas näher eingehen. Vorweg: das Spiel teilt sich einerseits in die Schiffsreisen/-kämpfe und andererseits in einen 3rd-Person-Part – in jedem der sich laufend abwechselnden Modi hat man natürlich verschiedene Aufgaben zu erfüllen und treibt somit die lineare Geschichte voran.
Man startet also direkt in die Geschichte und ins Spielgeschehen hinein – der Protagonist Thomas Blythe segelt unter der Flagge von Blackbeard. In einem integrierten Tutorial wird die Schiffsbedienung erklärt und geht sofort ins Blut über. Einfach und intuitiv – wie versprochen. Geschossen wird mit der linken Maustaste, gesteuert auf herkömmliche Weise mit WASD. Nach einem kurzen Aufwärmgefecht darf man selbstredend der Lieblingsbeschäftigung von Piraten nachgehen: kapern! (Anm: eigentlich wollte ich hier diese überaus schlechte Wortspiel-Scherzfrage bez. der Lieblingsspeise von Piraten, nämlich Kapern, anbringen – aber irgendwie konnte ich mich nicht dazu durchringen, oder doch?).
Durch längsseitiges Heransteuern an ein beschädigtes, fremdes Schiff kann man dieses entern, kapern, plündern, versenken oder was auch immer die Story in diesem Moment vorsieht. Hier kommt man jedenfalls zum ersten Mal mit dem intuitiven und leicht erlernbaren Gameplay für den 3rd-Person-Teil in Berührung: und der versetzt dem geübten Spieler einen Schlag ins Gesicht. Einerseits stellt sich mir die Frage, wer sich zur Hölle nochmal so ein Steuerungssystem ausdenkt und zum anderen, wer das auf Anhieb verstehen soll. Man muss sich das vorstellen wie überaus furchtbare Steuerung von Gothic – ja, ich geb’s zu – ich hab‘ viele Jahre lang immer wieder versucht Piranha Bytes‘ Meisterwerk zu spielen, hab aber immer nach wenigen Minuten wieder aufgegeben, da ich die Steuerung zu blöd fand – inzwischen hab‘ ichs aber kapiert und auch mir eröffnete sich die Welt von Gothic – zurück zum Thema, die Steuerung ist richtig mies und keineswegs intuitiv, man muss teilweise schon zwei oder drei Mal nachdenken um zu verstehen, wie die Steuerung per Maus und Tastatur eigentlich funktioniert, da sie wohl eigentlich für Joypads (ja Joypad, ich mag das Wort "Gamepad" nicht!) gedacht war, das lässt sich aber umstellen – aber man sollte zumindest davon ausgehen, dass jemand mit einem PC ein PC-Spiel mit PC-Hardware spielt, naja egal. Wenn die Handlung nicht von Anfang an so interessant gewesen wäre, hätte ich wohl alles hingeschmissen und nicht versucht die Steuerung zu "lernen".
Jetzt aber zur Geschichte: die Autoren haben eine nicht allzu neue Taktik angewandt, eigentlich ist es sogar naheliegend sowas zu tun. Einer der wohl besten Filme der letzten Jahre war Fluch der Karibik. Ich nehme mal an, dass ihr den Film gesehen habt: da gibts gutaussehende Frauen, einen gutaussehenden Piraten, einen verfluchten Schatz und ein gutaussehendes Geisterschiff. Natürlich wäre es jetzt etwas peinlich, die Geschichte einfach zu kopieren, aber man kann schlecht leugnen, dass man sich bei einschlägigen Filmen etwas abgeschaut hat. Nun, wie macht man jetzt eine gute Geschichte? Man nimmt zwei Mal alle Elemente einer erfolgreichen anderen Geschichte, rührt und knetet diese kräftig durch und entnimmt etwa ein Drittel der Storyelemente wieder – den Rest hebt man für später auf.
Tortuga – Two Treasures hat gleich mehrere Pirtatenbräute, es gibt eine Voodoo-Hexe, ein dickes Geisterschiff, einen Fluch und vieles mehr. Obwohl man innerhalb der Geschichte sogut wie keinen Freiraum für irgendwelche Extratouren hat, ist das Spiel enorm fesselnd. Man will immer wissen, wie es weiter geht – das realisiert man spätestens dann, wenn man zwei Stunden nachdem man "noch eine halbe Stunde, dann geh ich ins Bett" gesagt hat, wieder den selben Gedanken fasst.
Was mich etwas stört, ist die teilweise schon sehr absurde Arcadelastigkeit des Titels. Sprengfässer, Flaming Rum (also ein Molotowcocktail) oder Seemonster als Standard-Ausrüstung von Piraten sind teilweise etwas kitschig. So darf man sich auch beim Segeln nicht viel Realismus erwarten, korrekte Segelstellungen und physikalisch 100%ig korrektes Verhalten der Schiffe darf man sich trotz integriertem AGEIA PhysX-Support nicht erwarten.
Zwar ist das Spiel ist in visueller Hinsicht "nur" im guten Mittelfeld zu Hause, die Tonuntermalung ist aber genial und die Story sowieso. Ich erteile hiermit den sofortigen Kaufbefehl (zum 15jährigen Jubiläum von Ascaron liegen dem Spiel übrigens Vollversionen von Patrizier II, Port Royale und Piraten – Herrscher der Karibik bei)!