Die Anwendung „Ubrain“ (für Computer und Smartphones) verspricht einen Gemütszustand auf Knopfdruck. Julian hat ja schon vor einigen Wochen kurz darauf hingewiesen. Jetzt hatten wir Gelegenheit, sie auch auszuprobieren. Drei Testpersonen aus der Rebell.at-Redaktion versuchten ihr Glück.
Es wäre eine ziemlich lässige Angelegenheit. Das von DJ Paul van Dyk kräftig beworbene Programm will über Schallwellen eure Gehirnwellen beeinflussen. Bessere Konzentration, schnelle Erholung und Bewusstseinserweiterung sollen dadurch möglich werden.
Die Android-App ist grundsätzlich ordentlich gemacht. Manche der Tasten sind allerdings ziemlich klein – etwa die zur Einstellung der gewünnschten Soundlänge oder die zur Veränderung der Lautstärke. Obwohl ich keine Klumpenfinger habe, musste ich dort einige Male tippen, um zu den gewünschten Ergebnissen zu kommen. Nach einem kurzen Setup (das bei Youtube erklärt wird, aber euch trotzdem ein wenig im Dunkeln über die richtigen Einstellungen lässt (welche Stimmlage zu mir passt? Keine Ahnung?)) kann es dann auch schon losgehen.
Die Menüführung ist einfach und logisch und wirkt wie ein Motivationstrainer. Über die Punkte „I AM, I FEEL, I WANT“ bestimmt ihr der Reihe nach, was ihr gerade tut, wie ihr euch fühlt, was ihr machen wollt und wählt dann den passenden Sound. Dann fordert euch die App auf, die Augen zu schließen und dem Sound zu lauschen. Das geht je nach gewünschter Gemütslage zwischen ein paar Minuten und über einer halben Stunde. Diese Zeit wird von surrenden bis dröhnenden Tönen gefüllt, die an irgendetwas zwischen Film-UFOs und alten Internetmodems beim Einwählen erinnern. Wer will kann auch seine Musik drüber laufen lassen, die Funktion soll trotzdem aufrecht bleiben, solange man das Dröhnsurren noch wahrnehmen kann. Im Test blieb das Handydisplay in dieser Zeit hell erleuchtet, was zu einer heftigeren Batteriebelastung führte.
Bevor wir unsere Erfahrungen preisgeben, noch ein paar Worte, die uns wichtig sind. Ob die für die angebliche Gemütsveränderung verantwortlichen „binauralen Beats“ wirklich funktionieren, ist schwer herauszufinden und deshalb höchst unwahrscheinlich. In den USA ist eine Debatte darum entbrannt. Dort schwappte ein Hype durch das Internet, der präpubertäre Teenies erfasste. Wie wilde Drogen sollen die Beats wirken, wurde da sogar behauptet. Manche Soundfile-Anbieter behaupten auch, man könne mit ihrem „Stoff“ wachsen. Aah, ja.
Die Ankündigung wacher oder relaxter zu werden, klingt dagegen ja noch harmlos. Die Wissenschaft scheint bisher aber bestenfalls Andeutungen für minimale Effekte gefunden zu haben: Wer über einen längeren Zeitraum jeden Tag etwas Zeit mit den Beats verbringt, soll sich wohler fühlen. Aber wer würde sich auch nicht wohler fühlen, wenn er sich regelmäßig Zeit für heraus nimmt um sich zurückzulehnen und zu entspannen?
Binaurale Beats und Entrainment wurden 1839 entdeckt und seitdem angewendet und wissenschaftlich bewiesen. – Ubrain-Website
Wenn angesichts dieser Erkenntnisse die Argumentation der Wirkung auf so wackeligen Beinen steht, auf einer Produkt-Webseite aber großspurig von „wissenschaftlich bewiesen“ die Rede ist (ihre Existenz zweifelt ja niemand an, nur ihre Wirkung), ist Vorsicht angebracht. Es wäre nicht die erste esoterische Modeerscheinung.
Die Wissenschaft und Produktwerbung, das sind ohnehin nur scheinbare Kumpels – aber nur selten die besten Freunde. Auch die von dubiosen Doktoren in der Werbung empfohlenen „probiotischen Kulturen“ in Joghurt, die die Darmflora ausbalancieren sollen, erwecken ja den Anschein von Wissenschaftlichkeit. In Wahrheit passiert entweder gar nichts (weil die Kulturen in der Magenpassage verrecken) oder sie räumen eher noch die guten Bakterien raus und sorgen für einen wunderbaren Fall von dem was man weitläufig unter dem eher unwissenschaftlichen Begriff „Dünschiss“ oder „Spritzgack“ kennt. Aber meistens schmeckt das Joghurt wenigstens gut und der Schaden ist gering, dafür den ein oder anderen Extra-Euro gezahlt zu haben.
Der Wunsch, dass Dinge die das Leben verbessern super funktionieren, ist ein mächtiges Werkzeug um die eigenen Sinne zu überlisten. Dessen sollte man sich immer bewusst sein. Kann man das nicht, sollte man zumindest nicht gleich zum fanatischen Gläubigen werden, der die ganze ignorante Welt von der tollen Sache überzeugen will. Das jeweils neueste Wundermittel (das ja meist von der bösen Wissenschaftswelt unterdrückt wird) ist in erster Linie immer ein guter Stoff für Verschwörungstheorie oder Geldmacherei. Nicht selten muss man für besondere Kristalle, außergewöhnliche Öle oder eben narkotische Sounds Geld abdrücken.
Allgemein gilt die Empfehlung, sich bei solchen Phänomenen mit der zugrundeliegenden Wissenschaft ausführlicher auseinander zu setzen und nicht nur Seiten von begeisterten Gläubigen oder unbekannte Blogs zu lesen, die wie Werbetexte klingen. Schon ein einfacher Blick auf die Wikipedia und die Diskussionsseite zum jeweiligen Eintrag, bringt meistens brauchbare Informationen und Links.
Die Wissenschaftsseite Skeptoid, die sich mit binauralen Beats befasst hat, kommt zu dem folgenden Schluss:
So, in summary, binaural beats certainly do not work the way the sellers claim, but there’s no reason to think they’re any less effective than any other music track you might listen to that effects you in a way you like. If they make you sleepy (like they all do for me), use them to go to sleep. If they relax you or get you amped, use them for that. But don’t expect them to be any more effective than regular music. If someone you know claims that they are, put them to the test, and bust the myth.
Damit kommen wieder zurück zu unserem Testlauf von Ubrain. Ob binaurale Beats nun wie behauptet funktionieren oder nicht, das sollen Leute beurteilen, die sich besser mit der Neuropsychologie auskennen als wir. Auch wenn ich nicht verheimliche, dass ich äußerst skeptisch bin, ist unser Experiment genauso unwissenschaftlich wie jeder andere Versuch da draußen. Wir bloppten die Kopfhörer rein und probierten deas Programm aus, mussten für das Programm aber zumindest nicht bezahlen. Die Hersteller ließen uns für den Test freundlicherweise die Software zukommen.
Leider müssen wir nach unseren Probeläufen die Hoffnungen enttäuschen. So lässig es auch wäre, mal eben auf Knopfdruck und nach etwas Augenschließen besser drauf, konzentrierter oder wach zu sein, hat die App unserer Erfahrung nach keine Auswirkungen auf den Gemütszustand. Keiner der drei Probanden bemerkte eine Veränderung der gewünschten Art. Einer vermeldete allerdings einsetzendes Kopfweh. Einmal schlief dieselbe Person ein, beim Versuch sich zu späterer Stunde zu motivieren.
Besonders in Kombination mit Musik tritt bei mir der ironische Fall ein, dass ein geliebter Song mehr Motivation bringt, als der entsprechende Ubrain-Sound dazu.
Wer trotz unserer Erfahrungen immer noch den Wunsch hegt, es selbst auszuprobieren. Die App ist etwa im Android Store um 3,99€ zu haben. Eine kostenlose Demo gibt es leider nicht, dafür andere freie PC-Software, die euch eure eigenen Töne erzeugen lässt. Wir würden natürlich auch gerne wissen, wie es anderen dabei gegangen ist.