Wenn ich ehrlich sein soll, dann interessieren mich die regelmäßig aufflackernde Diskussion um Killerspiele und allgemein die befürchteten Auswirkungen auf den jugendlichen Spieler herzlich wenig. Trotzdem muss ich zugeben, dass mich die ursächlichen Anstachelungen von profilierungssüchtigen Politikern aus der dritten Reihe zu jeder neuen Runde im Schlagabtausch um böse Spiele immer wieder faszinieren. Noch mehr fasziniert mich aber die historische Dimension des Themas, die man, genau genommen, eigentlich schon seit dem Mittelalter ohne jegliche Beweiskraft führt.
Ketzerei und Hexenverbrennungen
Spätestens seit der Wende zum 12. Jahrhundert konnte man für persönliche Ansichten über den richtigen christlichen Glauben mit der katholischen Kirche ziemlichen Stress bekommen. Ein Leben in Armut und Demut wie die großen Vorbilder aus der Bibel? Äußerst suspekt. Ein Leben auf Wanderschaft und ohne festes Dach über den Kopf? Irrglauben, der die Köpfe der einfachen Gläubigen verdreht. Predigen ohne klerikalen Segen? Ein höllischer Skandal. Die Folgen der Inquisition sind bekannt: Verfolgung, Maßnahmen zur Umerziehung oder der Tod. Kurz: Alles, das von der gängigen Meinung oder vom allgemein akzeptierten Status, was „normal“ zu sein hatte, abwich, ist damals wie heute immer ein Dorn im Auge gewisser geistlicher oder weltlicher Hüter der einzig richtigen Moral gewesen.
Musik ist Teufelswerk
Kann sich hier noch jemand an die jüngere Vergangenheit erinnern? Nämlich an Zeiten, in der weniger über Religion, aber über „falsche“ Musik als Ursache allen Übels gesprochen wurde? Damals war es der Rock’n’Roll, welcher die Eltern wegen ihrer Kinder verzweifeln ließ. Oder – mal wieder – die Kirche, die in der schnellen Musik gleich den Teufel in Person sah und an die Wand malte. Es ist interessant, was übrigens für unser eigentliches Thema in der Zukunft noch wichtig sein wird, wie gleichermaßen die Hetze mit dem Heranwachsen dieser, zwar einst akut gefährdeten, aber nun offensichtlich gesund erwachsen gewordenen Kinder tatsächlich leiser wurde.
Trotzdem verstummten die besorgten Klagen von Eltern und kirchlichen Institutionen nie gänzlich. Dazu mussten aber neue, extremere Klänge her. Dies war offensichtlich dringend nötig, denn man brauchte wieder unbedingt jemanden, den man als den kinderfressenden Teufel höchstpersönlich diffamieren konnte. Da kommt einer wie der konservative Kreise provozierende Eminem wie gerufen. Seine Texte seien brutal, vulgär und homosexuellenfeindlich, wie vor allem die katholische Kirche gegen ihn anführte. Ja homosexuellenfeindlich – da kennt sich die Kirche wohl selbst am besten aus. Es ist schon erstaunlich, wie studierte Geistliche oder das gebildete (Klein-)Bürgertum sich immer wieder von einem Musiker hinter’s Licht führen lassen, der eben nicht immer politische Korrektheit heucheln will. Was haben diese Kreise vor allem Schock-Rocker Marilyn Manson vorgeworfen. Die Kinder würden durch seine Musik zu bösen Menschen. Einmal auf das Columbine-Massaker angesprochen, antwortet Manson kurz aber treffend: “Ich würde ihnen zuhören.“
Unsere Jugend ist gefährdet
Wirklich. Der Nachwuchs scheint von allen Seiten bedroht zu sein, sich jemals zu mündigen, intelligenten Erwachsenen zu entwickeln. Teuflische Musik, pornographisches Bild- und Filmmaterial – und dann noch diese verdammten Spiele. Auch hier führen Kritiker, wie gewohnt, ohne belegbare Argumente die Diskussion, dass Spiele mit hohem Gewaltpotential generell aus Kindern Monster machen. Da sagen gestandene Psychologen, böse Spiele machen zwangsläufig aus guten Menschen böse Menschen. Aktuell gerät die einseitige Diskussion in ausufernde Dimensionen. Zwar meldeten sich in der jüngeren Vergangenheit schon einige Vertreter aus dem politischen Lager, wie NRWs Minister Armin Laschet oder Thomas Jarzombek (CDU), die über das Thema wirklich nachgedacht haben. Versuchten anfangs höchstens Hinterbänkler aus der Politik mit einem provozierenden Statement, trotz ihrer dahindümpelnden Karriere für wenigstens fünf Minuten im Rampenlicht zu stehen, sehen wir uns jetzt jedoch von unseren Spitzenpolitikern konfrontiert mit der Forderung eines generellen Verbots von sogenannten „Killerspielen“.
Wirkliche Probleme gesucht?
Wie ich anfangs schon zu verstehen gegeben habe, interessiert mich diese grobe Materialschlacht um die möglicherweise schädlichen Auswirkungen von Spielen auf unsere Jugend und das Geschrei um gesetzliche Maßnahmen herzlich wenig. Ich mag altmodisch eingestellt sein. Aber wo in dieser ganzen sinnlosen Diskussion sind eigentlich die Erziehungsberechtigten? Wir haben hier zwei grundsätzliche Möglichkeiten. Entweder wird im besseren Fall ein junger Mensch in seiner normalen familiären Umgebung mit Sicherheit seine Grenzen zu spüren bekommen, wenn die Verantwortlichen Probleme mit der Freizeitgestaltung ihres Sprösslings sehen. Ob dies in den verschiedenen Fällen nun begründet sein mag oder nicht. Das ist das Los der Jungen. Die Probleme beginnen im anderen, schlechteren Fall dort, wo generell schon die eigenen Finger nicht mehr ausreichen, um alle Probleme zu zählen. Dort, wo es keinen mehr interessiert, was mit seinem Nachwuchs passiert oder was in ihm vorgeht. Wenn gar nicht mehr auffällt, dass seit einem Jahr der Platz im Klassenzimmer unbesetzt bleibt. Kurz, und um es noch einmal mit Mr. Mansons Worten auszudrücken, wenn kein Interesse mehr an den eigenen Kindern da ist, sind nicht die Spiele oder sonst etwas an den Explosionen schuld.
Wir können nichts beweisen – also verbieten wir es einfach
Wie üblich reichen bestehende gesetzliche Regelungen oder Kontrollinstitutionen nicht mehr aus. Deshalb müssen neue her. Warum soll ein von der USK ab 18 Jahren eingestuftes oder gleich indiziertes Spiel überhaupt noch gespielt werden dürfen? Ex-Justizministerin Däubler-Gmelin wirft den alten Regelungen vor, sie würden nicht mehr greifen. Würde denn ein absolutes Verbot so viel besser greifen, wenn sich Minderjährige schon nicht an die Altersschranken halten? Soll jetzt die Holzhammer-Methode die wirklich nie gekommenen stichhaltigen Argumente der Gegner ersetzen? Darf ein Erwachsener zukünftig ins weltoffenere Ausland fahren, um sich ein Spiel zu besorgen, für das er geistig reif genug ist? Wird der eben beschriebene mündige Mensch dann zum strafrechtlich verfolgbaren Kriminellen, wenn er einen Titel dieser Kategorie nach Deutschland bringt? Willkommen im Mittelalter.