Jahr für Jahr bescherte uns das Team von Konami rund um Shingo "Seabass" Takatsuka ein spät herbstliches Fußballfest, und das seit 2003, als mit Pro Evolution Soccer 3 die erste PC Version des Spieles erschien. Seit dem vierten Teil der Reihe galt man, wenn man der Mehrheit der Reviewergebnisse folgt, als neuer Platzhirsch vor EA’s FIFA Reihe. Ein wahrer Siegeszug der Japaner setzte ein. Auch heuer wurde ein neuer Teil der PES Fußballreihe fertiggestellt, mittlerweile ist es die sechste Generation. Es folgt eine Erzählung über Freud und Leid, dem Spagat zwischen Portierung und Spielspaß, und von vielen, vielen Toren.
Ich bin ehrlich. Die österreichische Fußballehre ist angekratzt. Nach langer Durststrecke gab es letztes Jahr endlich wieder einen rot-weiß-roten Champions League Vertreter, den SK Rapid. Die sackten in sechs Spielen sechs Niederlagen ein. Heuer klappte es dann wieder nicht mit der Königsklasse, und kurioserweise verabschiedeten sich alle Vertreter bis auf die krisengebeutelte Austria Wien auch sehr schnell aus dem UEFA Cup. Letztere liegt in ihrer Zwischengruppe nach zwei Spielen bei einem Torverhältnis von eins zu sieben mit sagenhaften null Punkten am letzten Rang. Um das Nationalteam steht es nicht viel besser. Nach zahlreichen Blamagen darf man erst seit dem Sieg gegen die Schweiz leise von einem Aufwärtstrend sprechen. Genug der schmerzhaften Realität, widmen wir uns dem eigentlichen Objekt dieses Tests.
Ich halte Pro Evolution Soccer 6 in meinen Händen. Zwischen meinen Fingern ruht die Hoffnung auf ein zumindest virtuell erfolgreiches Österreich, Ehrenrettung ist angesagt. Die Installation klappt problemfrei, wer mag darf sogar englische, spanische und diverse andere Sprachversionen installieren und sich am dazu passenden Originalkommentar erquicken. Kaum ist der Fortschrittsbalken bei 100% angekommen und PES6 damit startklar, stoße ich schon auf die erste Altlast. Im Konfigurationsmenü für die Steuerung werden für die Tasten keine Aktionen angezeigt. Hier präsentiert sich seit Pro Evo 3 schlicht und unnütz ein PS2 Gamepad. Im Handbuch findet sich ebenso nur die Zuordnung von Button-Abbild zur Standard-Parametereinstellung. Damit bleibt dem geneigten Spieler nur noch das Herumprobieren im Spiel, oder das Wühlen nach den detailierten Controllereinstellungen in den hoch komplexen Menüs des Spieles..
Wobei ich damit beim zweiten Schwachpunkt wäre. Die Menüführung gleicht der PS2 Version und ist ein Folterinstrument erster Güte. Mit endlosen Verschachtelungen und teilweise sehr unlogischer Anordnung macht man es dem Benutzer sehr schwer, dorthin zu kommen wo er eigentlich hin will, wenn er sich nicht mit oberflächlichen Änderungen begnügen will. Auch das ist nichts Neues – leider! Glücklicherweise war ich vorbereitet und hatte einen Screenshot meiner PES5-Konfiguration angelegt. So steht dem ersten Match nichts mehr im Wege.
Etwas später geht es auch schon ab ins Stadion zur Begegnung Österreich-Spanien. Um es kurz zu fassen, es endete mit einem null zu vier Debakel und ich stelle fest, dass sich Pro Evo immer noch erschreckend realistisch spielt. Und auch anders. Deutlich indirekter ist nun das Verhältnis von Spieler zu Ball, es wirkt ein wenig als hätte man Anleihe an der legendären Kick Off Reihe genommen. Für Schüsse braucht man nun viel besseres Timing und eine halbwegs gute Position, sonst semmelt man die Wuchtel schon einmal Richtung Cornerwimpel. An diesem Punkt möchte ich allen Reviews widersprechen, die behaupten, das Gameplay wäre langsamer geworden. Ich sehe das anders. Langsamer wurden nur Pässe auf kurze Distanz, und das in manchen Situationen etwas zu extrem. Es bedarf dafür viel mehr schnellem Kombinationsspiel, um wirklich im Strafraum zu freien Schußpositionen zu kommen. Wer da nicht schnell schaltet, kann höchstens aus der zweiten Reihe gefährlich werden. Es mag sein, dass durch die neue Spieldynamik weniger Strafraumszenen entstehen, der Spielfluss ist trotzdem ein intensiverer als im Vorgänger.
Nachdem mich die Spanier also verputzt haben, begebe ich mich in den Trainingsmodus. Der wurde deutlich erweitert und macht damit richtig Sinn. Bei mannigfaltigen Übungen in drei verschiedenen Schwierigkeitsstufen erlernt man das virtuelle Kickerhandwerk. Siehe da, die zweite Partie endet schon mit einem torlosen Remis – und das im höchsten Schwierigkeitsgrad. An diesem Punkt muss ich der Fairness halber erwähnen, das dieses Ergebnis nur durch Glück zustande gekommen ist, denn zwei Stangenschüssen und diversen tollen Chancen der Iberer hatte ich lediglich einen knapp verfehlten Kopfball entgegenzusetzen. Bis man sich an die neue, noch indirektere Ballkontrolle wirklich gewöhnt hat, vergeht schon einige Zeit.
Der anfängliche Frust durch die spielerischen Neuerungen wich bald einer gewissen Euphorie, den Ball wieder gut unter Kontrolle zu haben. Je nach eigener Mannschaft und Gegner können die Partien verschiedenste Entwicklungen nehmen, kein Tor gleicht dem anderen, das meiste passiert im Mittelfeld – wie in der Wirklichkeit halt. Ob druckvolles Spiel aus dem Mittelfeld oder lange Bälle aus der Abwehr, wer mag kann Aufstellung und Taktik bis ins winzigste Detail verändern. Trotzdem bin ich nicht rundum zufrieden. Wie bereits erwähnt, sind manche Kurzpässe lächerlich schwach, und das führt gegebenenfalls zu Gegnerintervention samt Treffer. Dazu gesellen sich relativ viele, unberechenbare Abpraller aus Flanken und dergleichen sowie eigenartige Torhüter. So ein Goalie ist im wirklichen Leben auch nie hundertprozentig fehlerfrei, warum er aber manche Kracher aus zehn Metern mühelos fangen kann, während er langsame Schüsse aus 25 Metern abprallen lässt, muss man mir erst noch erklären. Um zurück zum Positiven zu gelangen: Der Schiri unterbricht die Partie nun viel seltener, zeigt dafür aber häufiger einen bunten Karton. Damit wurde ein großer Kritikpunkt von PES 5 ausgemerzt, in dem viele Matches regelrecht zerpfiffen wurden.
Der Umfang des Spieles ist durchaus zufriedenstellend. Mit mannigfaltigen Cups auf Länder- und Klubebene, einer eigenen International Challenge, der bekannten Master League sowie Ligen- und Freundschaftsspielen stehen dem Fußballfan alle Wege offen. Ebenso komfortabel wie atmosphärisch geben sich die Ingamefeatures. Schiriaktionen gibts öfters in der Nahansicht, Abseitsszenen werden brav aufgelöst und gefährliche Schüsse gibt es zum Teil direkt in einem kurzen Replay oder in der Zusammenfassung zur Halbzeit und zu Spielende. Gespielt werden kann bei Tag und Nacht, bei klarem Wetter, aber auch in strömendem Regen oder Schneefall. Witterungsbedingt ergeben sich nicht nur optische Schmankerl, wie wegspritzendes Wasser am nassen Rasen, sondern auch Effekte auf das Spiel. Während man bei wolkenlosem Himmel ohne Probleme flache, weite Pässe spielen kann, wird der Ball im Regen deutlich gebremst und bleibt auf halber Strecke liegen. Zudem leidet die Genauigkeit des Passspiels und die Kicker rutschen leichter aus. Wer will, kann den Spieler nauch noch realistische Ermüdungserscheinungen und Verletzungen angedeihen lassen, die während Cup oder Ligasaison durchaus Auswirkungen auf die Startformationen haben. Dazu addieren sich ebenfalls bekannte Features wie Stadion- und Ballauswahl. Neben vielen fiktiven Arenen sind auch einige Originalnachbauten dabei. Noch nicht genug? Wer sein Spiel analysieren will, findet alle möglichen Statistiken und Aufzeichnungen in einem eigenen Menüpunkt, grafisch übersichtlich aufbereitet.
Lizenzenthusiasten sind weiterhin besser bei FIFA aufgehoben. Konami konnte zwar sein Datenpaket vergrössern, insgesamt gibt es aber immer noch zu viele namhafte Klubs und Länder mit anonymisierten Spielern. Fanpatches sind in Arbeit, und umfassen neben aktuellen Kadern unter anderem neue Bälle, Trikots, Schuhe, Werte und sogar ganze Stadien und Bewerbe.
Grafisch gab es nur wenig Fortschritt zum Vorgänger. Die Stadien sehen etwas besser aus, und die Spieler ein wenig detaillierter. Es gibt es neue Animationen, die wie gewohnt flüssig ins Bewegungsspektrum übergehen. Dafür gibt das Publikum einen glatten Atmosphäremalus, denn allzu oft nimmt man nur eine statische Tapete war, die zudem hässlicher ist, als es die Publikumsdarstellung der Vorsaison ohnehin bereits war. Unverständlich ist mir auch, warum man wieder von der PS2 portiert hat, anstatt sich zumindest in puncto Optik eine Scheibe von der Xbox360 Version abzuschneiden, denn die sieht prächtig aus. Aber sei es drum, trotz der Defizite bringt PES 6 das Fußballfeeling gut rüber. Das liegt nicht zuletzt am guten Sound, der Ingame für Stadionfeeling sorgt, wenn auch maximal in Stereoqualität. Nach Unterstützung für 5.1 Systeme und dergleichen sucht man vergeblich. In den Menüs dudelt gewohnt belanglose Fahrstuhlmusik daher. Gewohnter Standard bei Fußballsimulationen ist natürlich die sprachliche Begleitung. Wer sich zuerst den deutschen Kommentar antut,wird ihn aberbald wieder ausschalten. Zwar bieten Wolf Fuß und Hansi Küpper eine routiniertere Leistung als im Vorjahr, auf Dauer werden die Sprüche aber sehr oft wiederholt und damit eintönig. Hier empfiehlt es sich, auf den englischen Kommentar umzustellen, der das Spielgeschehen deutlich spritziger untermalt.
Ah ja, da war noch was wichtiges: Der Onlinemodus! "Messen Sie sich online mit PS2 Spielern" verspricht mir die Verpackung großspurig. Ich melde mich also flugs an, und will mich sodann online mit Konsolen und PC-Zockern duellieren und vielleicht auch 2-gegen-2 spielen. Zwei Stunden darauf bin ich um die peinvolle Erfahrung klüger, das besser sein zu lassen. Zwischen dem Fortschreiten in den Onlinemenüs vergehen unglaublich lange Ladezeiten. In einer davon schaffte es mein Wasserkocher immerhin, mir genug Flüssigkeit für eine Tasse Instantkaffee aufzubrodeln. In der nachfolgenden war besagtes Gefäß dann schon wieder leer. Wer tatsächlich die Geduld aufbringt, sich bis in einen Spielraum vorzuarbeiten und dann anzutreten, der wird mit einem erstaunlich flüssigen Online-Erlebnis belohnt, dass die verlaggten Partien aus Teil 5 vergessen macht. Wenigstens so lange, bis das Spiel urplötzlich mit einer Disconnect-Meldung abbricht. Dies passiert ab und an einfach mitten im Spiel, vorzugsweise aber direkt nach der Pause. Woran es liegt, weiß keiner. Offiziell gibt Konami dem Fanansturm die Schuld, wir werden ja sehen ob sich diese Situation in naher Zukunft bessert oder ein Patch fürs Spiel erscheint. Fast eine Stunde an reiner Spielzeit habe ich online verbracht, doch fertig spielen konnte ich bis dahin keine einzige Partie. Das ist mehr als ärgerlich.
Pro Evolution Soccer 6 hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck bei mir. Zum Einen schleppt das Spiel immer noch unnötige Altlasten mit sich herum (Stichwort: Controllerkonfiguration), hat immer noch eine sadistische Menüführung samt Düdelmusik und statische Zuseher, andererseits bleibt es das realistischste Fußballerlebnis, das man am PC bis dato haben kann. Das neue Spielsystem braucht auch bei erfahrenen Spielern ein wenig Einarbeitungszeit, wer den ersten Frust aber einmal überwunden hat, wird einem wahren Fußballfest belohnt. Gegenüber dem Realismus dieser Reihe wirkt EA’s FIFA wie Tischfußball. Schlimm ist allerdings die momentane Situation im Onlinemodus, hier sollte schleunigst eine Lösung her, will man nicht wertvollen Boden auf den Konkurrenten verlieren, der spielerisch heuer ein wenig aufgeschlossen hat. Aufgeschlossen heisst aber nicht aufgeholt, daher heisst die alte und neue Referenz des PC-Fußballs Pro Evolution Soccer!
Unter den erwähnten Umständen erreicht Pro Evolution Soccer 6 acht von zehn Punkten, sobald Konami den Onlinemodus flott gemacht hat, darf man sich getrost einen weiteren dazu denken.
Georg Pichler war früher fester Redakteur bei Rebell.at, und wurde dann Hauptverantwortlicher der Pro Evolution Soccer Sektion der Electronic Sports League (ESL). Wir bedanken uns für seinen Gastartikel.