Über Retro-Lust und Retro-Frust

Wer sich heute am Strategieumsektor umsieht, der wird sehr bald feststellen, dass es kaum mehr Oldschoolspiele gibt. Oldschool, das sind in diesem Bezug die schönen moderneren, 2D-Spiele, die den Spieler zumeist auf ein isometrisches Schlachtfeld schicken, auf dem sich Pixelmännchen bekriegen. Doch diese Zeiten scheinen vorbei, nachdem selbst Rundenstrategie-Evergreens wie Civilization den Sprung in die dritte Dimension gemacht haben. Doch Vertex4 stellt sich dem entgegen, und liefert mit SunAge ein 2D-RTS der klassischen Sorte.

Klassische Sorte?
Wenn man heute in 3D Schlachten austrägt, so wird man neben der oft etwas umständlichen Steuerung nur allzu oft mit Unmengen an Optionen erschlagen. Egal ob dies nun ausufernde Techtrees, Rollenspielelemente oder einfach irre viel Einheitenfeatures sind – als Preis für zeitgemäße Grafik zahlt man oft längere Einarbeitungszeit. SunAge geht nicht nur in visueller Hinsicht eine Epoche zurück, sondern auch in spielerischer: Formationen in dem Sinne gibt es nicht, die Einheitenanzahl ist überschaubar, die Spielmechanik leicht begreifbar und das Feeling retro. Doch auch ein paar moderne Elemente fehlen dem Spiel nicht, den immerhin leistet man sich Kommandoeinheiten zur Verstärkung der eigenen Truppen, Infanterie wird in Gruppen und nicht einzeln produziert, und viele Einheiten bietet eine Alternativfunktion für den taktischen Tiefgang.

Hilfe, die Aliens kommen
SunAge erzählt eine Geschichte aus der Zukunft, in der die Menschheit (firmierende als die „Federals“) wiederholt von einer extraterrestrischen Bedrohung namens „Raak-Zun“ heimgesucht wird. Dem nicht genug gilt es auch noch auf die Spur einer Verschwörung in Kreisen der Militärs zu kommen, und auch eine dritte Partei namens „Sentinels“ taucht auf. All das ist zum einen aufbereitet in Ingame-Zwischensequenzen, die aus ein paar geskripteten Bewegungen, eingeblendeten Akteurportraits und Schwenks auf der Karte bestehen, als auch in gesprochenen und untertexteten Comicstrips zwischen den Aufträgen. Trotz ihrer extrem ausgelutschten Grundlage (Aliens versus Menschen) scheint sie zu einer der originelleren Hintergrundstories aus dem Sci-Fi Genre zu sein.

Hilfe, das Missionsdesign kommt
„Scheint?“, wird sich der geneigte Leser nun möglicherweise fragen. „Ja hat er denn SunAge nicht ausgespielt, oder wie?“, wird er hinterherschicken. Ganz recht, der Autor dieses Artikels hat das Ende des Spieles nicht gesehen. Der Grund: Totalfrust, basierend auf dem teils katastrophalen Missionsdesign dieses Spieles. Tatsächlich hat es auch noch andere kleinere Schwächen, wie etwa kleinere Bugs und mitunter unhandliche Bedienung, doch das alles wäre für sich ohne weiteres verschmerzbar. Zu sehr auf die Geduld drückt dagegen der Ablauf der Missionen auf den monströsen Karten.

Beispiel gefällig? Wie auch in so manchen anderen Spielen müssen zur Verteilung des Stroms auf die eigenen Gebäude Türme errichtet werden. Das wäre innerhalb eines begrenzteren Gebietes, sprich der eigenen Basis und ihrer Peripherie kein großes Problem. Leider nur gibt es oft (weil entweder als einzig sinnvolle Alternative zu quer über die Karten fahrenden Sammelvehikeln, oder weil von der Mission vorgeschrieben) die Notwendigkeit, weit weg von der Heimat Gebäude zu errichten. Und damit oft genug den Zwang, mit den eben genannten Transmittern eine Leitung aufzustellen. Das ist einmal in Ordnung, als Lerneffekt, wiederholt sich aber ewig. Genauso wie „lösche alle Gegner in der Gegend aus“ Order, die nicht zuletzt dank der ziemlich dumpfen KI frustrieren.

Geplante Ödnis
Die Missionen sind von vorne bis hinten durchgeplant. Das wäre eigentlich nichts Schlechtes, wäre es denn mit ein bisschen Grips passiert. So aber findet man, wenn man die Karten etwas erforscht, oft sorglos herumstehende Einheiten des Gegners, die sich aus der Ferne ohne Widerstand terminieren lassen ohne in Deckung zu gehen oder ihrerseits zurückzufeuern. Das passiert sogar zwangsläufig, da das Spiel sich mit seinen Anweisungen mitunter sehr zurückhalt, und man irgendwelche Orte suchen muss, ohne eine Ahnung zu haben, wie diese eigentlich Aussehen oder wo in etwa sie sich befinden. Eine sehr lange Federalmission zu Beginn schickt mich zum „Tunnel Exit“, um diesen von Gegnern zu befreien. Hineingekommen in das Tunnelsystem ist die eigene Truppe über eine Liftplattform, derer noch zwei andere herumstehen. Die erweisen sich jedoch nicht als der gesuchte Ausgang, sondern erst ein undefinierbares Muster am Boden, das am anderen Ende der Map liegt, tut es. Solche Design- und Anleitungsfehler ziehen das Spiel unnötig in die Länge.

Lichtblicke
Obwohl das Spiel nunmehr dreimal gepatched wurde, erweist sich auch die KI der eigenen Leute als mäßig schlau. Oft reicht es nicht, einen Gegner zwecks Angriff zu markieren, nein, man muss seinen Trupp erst manuell in Reichweite bringen, wo er dann ohnehin automatisch zu feuern beginnt. All die erwähnten Fehler führen zu einer sehr zähen Anfangsphase, und schlagen sich auch in späteren Aufträgen aufs Gemüt.

Doch SunAge hat auch seine guten Seiten: Die 2D-Grafik ist sehr schön anzusehen, und wird nur durch einige wenige, hakelige Animationen getrübt. Überall finden sich liebevolle Details, und speziell Lichteffekte wurden sehr sorgsam eingebunden. So darf man spätestens beim Einsatz von Atomwaffen von sehr spektakulären Bildern sprechen, die da über den Monitor flimmern. Trotzdem erweist sich SunAge als recht hardwareschonend und dürfte auch auf betagteren Rechnern flüssig laufen. Die Sounduntermalung hört sich meist passend an, die Sprachausgabe wirkt professionell, lediglich die Hintergrundmusik fällt da etwa aus dem Rahmen, in der Hitze des Gefechts aber auch nicht weiter auf.

Der Multiplayermodus des Vertex4-Machwerks bietet Internet- und LAN-Partien, und von letzteren kann ich sagen, dass sie recht flüssig funktionieren, bei großen Einheitenaufläufen aber mitunter ein wenig laggen bzw. ruckeln. Da man es nicht mit den ewig gleichen Aufträgen zu tun hat, sondern es im Free-for-All Modus oder 2 vs. 2 um alles oder nichts geht, sind diese doch deutlich spaßiger als viele Missionen.

Fazit
Ich habe mich auf SunAge gefreut, eben auch weil es ein 2D-Spiel ist. Noch mehr, weil es grafisch in die Kerbe von C&C: Tiberian Sun schlägt, und dieses meiner Ansicht nach an Liebe zum Detail übertrifft. Der Vergleich mit einem viele Jahre älteren Spiel ist freilich nur schwer möglich. Das ändert aber nichts daran, dass der betagte dritte Teil der Command & Conquer-Reihe in den nicht-technischen Belangen einfach besser hält. Die Steuerung ist eingängiger, die Missionen fordernder und weniger dröge, und ergo gibt es auch weniger Durchhänger. Möglicherweise zeigt sich auch da der Unterschied zwischen den damaligen Veteranen der Westwood Studios und dem kleinen Team von Vertex4 – ich weiß es nicht. Letztlich ist SunAge kein schlechtes Spiel, aber auch keine Offenbarung.

Es hätte aber so etwas wie eine kleine Renaissance der 2D-Strategie werden können, und diese Chance hat es mit unnötigen Unzulänglichkeiten geradezu leichtfertig verspielt.

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