Was waren wir nicht enttäuscht? Da schien endlich einmal ein echter Konkurrent für EA’s Platzhirsch FIFA zu erwachsen, und dann machten eine schlampige Umsetzung von PC-unerfahrenen Japanern alles zunichte. Zeitlupengebolze bei Strafraumsituationen, fehlende Multiplayermodi (von Hotseat mal abgesehen) und last but not least ein unübersichtliches Interface. Nach zwei Patches ging PES3 bei 16-Meter-Aktionen nicht mehr in die Knie, die anderen Mängel blieben jedoch. Darum konnte sich FIFA 2004, trotz des unrealistischeren Spielgefühls, dank nachgeliefertem und gut funktionierendem Direct IP Modus und mehr Benutzerfreundlichkeit relativ mühelos als Platzhirsch halten. Mit Pro Evolution Soccer 4 soll sich das nun ändern…
Eines vorweg, die hier getestete Version ist mit dem Patch 1.10 versehen, da vorher durchgehende Partien per Direct IP Modus nicht möglich waren – ein entsprechender Wertungsabzug erfolgte.
Wiederholungstäter und andere Japaner
Wer sich schon beim Vorgänger über das Abbild eines PS2 Controllers (anstatt Aktionsbeschreibungen) in den Steuerungsoptionen ärgerte, darf selbiges Spielchen nun noch einmal spielen. Kenner der PS2 Version wird es zwar nicht sonderlich jucken, wer die Standardbelegung des PS2 Pads aber nicht kennt, darf erstmal rumprobieren oder nach Hilfe googlen. Beim Anblick dieser Wiederholungstat baute sich bei mir ein gewisses Gefühl des Unbehagens auf, und kurz nach dem Spielstart wurden meine Vorahnungen traurigerweise bestätigt.
Die Beschwerden über das unnötig komplizierte Spielmenü prallten von Konami anscheinend ab wie ein x-beliebiger Gummiball von einer x-beliebigen Betonmauer. Im Klartext: Wer sich nicht gross mit den Spezialfunktionen von PES4 befasst, und auch nicht viel mit Aufstellungen und Taktiken herumspielt, mag einigermassen klarkommen. Allen anderen steht eine wahre Odyssee durch ein heillos verschachteltes und obendrein auch unansehnliches Menüsystem bevor. Gleich zu Anfang also schon ein schweres Foul, ich war gespannt wie es weitergehen würde.
Erfolg will erlitten sein
Für alle Opfer des Schulsystems, die von der letzten PISA Studie so gnadenlos aufgedeckt wurden, "erlitten" ist eine Form des Verbes "leiden", und dient dazu meine Qualen im Interface-Irrgarten eines von Japanern entwickelten Fussballspiels näher zu umschreiben. Wer also die Ausdauer besitzt, die ein Spieletester von je her haben muss, darf getrost einen herabwerfenden Blick auf das kanadische Konkurrenzprodukt von EA Sports werfen.
Hat man sich nämlich einmal zurecht gefunden (don’t try this at home, und wenn, dann nur mit Beruhigungspillen), darf man sich mit einer schier endlosen Vielfalt an Taktik-, Strategie-, und Aufstellungsoptionen vergnügen. Platziere ich Beckham einen halben Meter weiter vorne? Lass ich Zidane beim Kontern nach Aussen wechseln? Heisst mein neunter Elfmeterschütze Ronaldo? In der Hinsicht lässt PES4 keinerlei Wünsche offen, alle angeführten Fragen lassen sich im Detail ausarbeiten. Doch wie gesagt, selbst dem Minotaurus höchstpersönlich hätte ich dieses Menü nicht zugemutet
Das riecht nach Rasen!
Jaja, reichlich billig von mir, den Slogan der PES4 Homepage zu klauen. Aber es passt halt so schön, da geht man auch mal einen Kompromiss ein. Grafisch konnte Konami wirklich ein wenig gutmachen, jedoch ist FIFA 2005 im Detail und in Sachen Präsentation immer noch ein Quentchen vorraus. Selbiges gilt auch für die akustische Kulisse, der EA Titel bringt das Gefühl eines Hexenkessels von Bernabeo einfach realistischer rüber. Schlecht schneidet Konami’s Machwerk in dieser Hinsicht trotzdem nicht ab.
Die kanadische Konkurrenz hat gegenüber dem Japan-Import auch einen weiteren Vorteil, der längerfristig aber keiner ist. Mit über 3000 Originalnamen, Konterfeis sowie den kompletten Bundesligen aus Spanien, Italien und Holland bietet Pro Evo Soccer zwar schon eine Menge Lizenzmaterial, trotzdem bleiben vor allem im Bereich der Nationalmannschaften viele Teams mit Fantasienamen bestückt. In FIFA 2005 hingegen findet man ausschließlich Originalnamen. Das macht aber nix!
Denn PES4 ist relativ leicht modbar, daher gibt es jetzt schon in zahlreichen Foren sogenannte Superpatches, die nicht nur (Team-)Namen, sondern auch Schuhe, Banden, Bälle, Stadionmusik etc. auf den aktuellen Stand bringen. Damit können auch unsere bayerischen Freunde mit dem FC Bayern München, anstatt mit einer Mannschaft namens "Rekordmeister" (samt verkorkster Spielernamen) auflaufen.
Ivo, laufen!
Geht es nach allen Komplikationen einmal richtig los am grünen Rasen, entfaltet Pro Evolution Soccer 4 endlich seine wahre Stärke. Und die liegt da wo sie am wichtigsten ist, nämlich am Platz. Da wird gepasst, getackelt, geflankt und gedribbelt was das Zeug hält. Und zwar nicht mit simplem Direktspiel a’la FIFA, sondern mit Hirn. Es ist zwar theoretisch möglich, die letzten 3 Abwehrspieler mit seinem eigenen Kicker zu überwinden, dass eine solche Aktion aber glückt kommt nicht allzu oft vor. Mit intelligentem Spiel kommt man in jedem Fall einfacher zum Ziel, und zu den schöneren Toren, denn mit taktischem Gespür ein Loch in die Abwehr zu reissen, per Lochpass den Ball nach vorne und mit einem Lupfer über den herausrennenden Keeper ins Tor zu befördern, ist einfach spektakulärer als ein nach unzähligen Versuchen geglücktes Dribbling durch die halbe Defensive, nicht zuletzt dank der göttlichen Animationen.
Totale Grünschnäbel können – sollten sie dessen bedürfen und nebenbei ein paar PES Points sammeln wollen – ein Training absolvieren, das mit verschiedenen Disziplinen den Umgang mit der Steuerung schult.
Drei, zwo, eins, meins!
Der nächste geklaute Spruch, aber wieder einmal bot er sich förmlich an. Denn nicht nur im Training, auch in den Ligen – darunter auch das Herzstück des Spiels, die Master League – lassen sich PES Points erspielen. Mit denen lassen sich allerhand praktische Dinge anstellen: Von der Freischaltung eines höheren Schwierigkeitsgrades, Spielerwerteverbesserung, Spielertransfer und vielen anderen Sachen, ist alles möglich. Das hat man auch übelst nötig, denn die Konkurrenz schläft nicht. Egal ob in den nationalen Ligen (wo die Teams nicht mit gleichen Stärken starten), oder in der Master League (in der man sich aus einer Liga mit lauter gleich guten Teams zwei Tabellen höher kämpfen muss).
PES goes Online
Die Freude war riesig, als Mitte des Jahres endgültig feststand, dass der vierte Teil der Pro Evolution Soccer Reihe neben einem Netzwerkmdous auch online spielbar sein wird. Doch umso grösser war die Enttäuschung über selbigen nach Erscheinen des Spieles. Ungepatch verlor der Client andauernd die Verbindung zum Spiel, und der hostende Spieler konnte ohne ernsthafter Gegenwehr Tor um Tor schiessen. Glücklicherweise wurde das Problem zwei Tage später mit dem Patch 1.10 behoben, auch die horrenden Lags verbesserten sich ein wenig.
Dennoch ist auch die derzeitige Situation alles andere als zufriedenstellend. Nur über Abgleich von Bildschirmauflösung, Einstellung auf das Stadion Clubhouse und Abdrehen des Kommentars können einigermassen akzeptable Spielbedingungen hergestellt werden. Trotzdem hat der Client in den meisten Fällen die sprichwörtliche Popokarte gezogen, hinkt er dem Spielgeschehen doch deutlich mehr als eine Sekunde hinterher – die ESL (Electronic Sports League) hat daraufhin mit einer Regeländerung auf Hin- und Rückspiel reagiert.
In diesem Punkt hat EA’s Konkurrenztitel also einen deutlichen Vorteil das DirectIP Duelle übers Internet in FIFA 2005 ziemlich flüssig ablaufen. Aber zumindest der Netzwerkmodus funktioniert auch bei Pro Evo ganz passabel, ohne weiterem Nachbessern werden Onlinematches als Client trotzdem eine Qual bleiben.
Licht und Schatten geben sich in Pro Evolution Soccer 4 oft die Klinke in die Hand. Ist man zuersteinmal verärgert über das vermurkste Interface, freut man sich umso mehr über das spielerische Feuerwerk – nur um nach der ersten DirectIP Partie als Client wieder entgeistert zu sein. Grafisch ist PES nicht mehr weit von FIFA entfernt, in Spielbarkeit und Animationsqualität kann die Konkurrenz sogar deutlich übertrumpft werden. In soundtechnischen Fragen hat wiederum EA’s Titel etwas mehr zu bieten. Das alles bedeutet nicht, dass PES4 in diesen Kategorien schlecht wäre – im Gegenteil – es heisst nur, dass es halt noch besser ginge.
Wieder einmal sind es vor allem technische Mängel, die PES4 viele Wertungspunkte kosten. Die Menüführung ist noch verkraftbar, dass aber der Onlinemodus trotz Patch 1.10 noch immer ohne Ende Lags für den Client bringt, ist hingegen unverzeihlich. Für mich jedenfalls, aber wer will schon ständig per Hotseat oder LAN daddeln, wenn man doch im Internet viel mehr potentielle Gegner findet. Wenn Konami die bestehenden Probleme mit einem weiteren Patch löst, ist PES4 für mich endgültig Meister, aber derzeit dürfen sich beide Games den Teller teilen.