Maulhalten, verdammt, haltet endlichs Maul!

Was muss passiert sein, wenn Honk vor Verzweiflung seinen Kopf fortwährend gegen de Tischplatte haut und dabei anfängt wirres Zeug zu palabern? Genau, Herr Schaffer und Herr Kelch haben das Wort als geeignetes Kommunikationsmittel entdeckt und pflegen es nun, davon regen Gebrauch zu machen. Damit Honk beim zweiten Teil unseres Specials auch wieder mit von der Partie ist, bedurfte es dann auch nur an cirka 3 Kilogramm Gummibärchen als Bestechungsmittel. Also, auf in den Kampf um Kunst, Kitsch, Kommerz und Katastrophen…

Honk: Ende des Jahres gabs in Übersee die Diskussion ob Spiele Kunst sind. Wie sehen wir Rebellen das?

Tom: Nein sind sie nicht. Sie sind Kultur, aber nicht Kunst. Dafür mangelt es auch 2005 noch am Elementarsten. Spiele erwecken keine tiefen Emotionen, erzeugen keine neuen Diskussionen – ja, nicht einmal kritisch sind sie. Der Ansatz von Deus Ex wurde nicht weiterverfolgt. Sie – oder zumindest die überwältigende Mehrheit von ihnen – erfüllen in meinen nicht einmal die Kriterien für einen weitgefassten Kunstbegriff.

Konrad: Seien wir mal ehrlich. 90 Prozent aller Spiele werden produziert um zu unterhalten. Hierbei geht es darum, den Spieler an den Bildschirm zu fesseln. Dafür wird auf immer spektakuläre Effekte und realitätsnähere Wirklichkeitsabbildungen gesetzt. Alles Mittel, die keinen künstlerischen Anspruch in sich bergen.

Ich würde aber nicht so weit gehen, Spielen etwas Künstlerisches von vorne herein abzusprechen. Selbst ein inhaltlich flacher Titel wie GTA: San Andreas hat eine gewisse gesellschaftliche und auch grafische Ästhetik, weswegen in ihm auch künsterlische Aspekte zum Ausdruck gebracht werden. Nur sind solche Titel halt die Ausnahme. In den meisten Titeln geht es um Entertainment pur. Bezeichnenderweise wird doch gerade bei der Hintergrundgeschichte oft und gerne gespart.

Aber wo will man denn bitteschön einen künstlerischen Ansatz finden, wenns hier nicht am leichtesten wäre? In einer guten Story könnten leicht Elemente untergebracht werden, die selbst einen WW2-Shooter einen Hauch „Kunst“ unterjubeln könnten. Aber darum gehts den meisten bei Computer- und Videospielen einfach nicht. Man geht ja auch nicht in einen Michael-Bay-Film um etwas über die Diskriminierung von ehtnischen Minderheiten zu erfahren.

Tom: GTA und Kunst? In welcher Form? Definieren wir Kunst mal darüber, dass etwas bewegen muss um Kunst zu sein. Außer bei der alten Gewalt-Debatte, die auch eher Marketing-Mittel als künstlerische Provokation ist, wird über Spiele nicht geredet. Alles was in Richtung Kunst geht, bleibt in den Kinderschuhen stecken. Das mag vielleicht ganz gut so sein, aber mich würde ein Spiel das mich in irgendeiner Weise tatsächlich zum Nachdenken bewegt oder berührt schon einmal interessieren. Was wenn die Handlungen in Black & White weiter reichende Konsequenzen hätten? Oder wenn die Spielfiguren die man da durch die Gegend wirbelt mehr als nur anonyme Dorfbewohner wären? Wenn ich mir Kunstwerke ansehe, dann kommentieren viele davon die Ereignisse ihrer Zeit. Welches Spiel tut das schon?

Gewisse Aspekte an Spielen sind künstlerisch angehaucht – die Games selber haben keinen Anspruch darauf.

Konrad: Greifen wir doch einmal dein Kunstverständnis auf. Für dich kommentieren viele Kunstwerke die Zeit in der sie entstanden sind. Kurz: sie sind zeitgenössisch. Im gewissen Sinne ist GTA: San Andreas auch zeitgenössisch. Es spiegelt nunmal die große Popularität der afro-amerikanischen Kultur, hier besonders des HipHop samt seinen Ausläufern, im Alltagsleben vieler Jugendlicher wieder.

Extra hierfür haben sich die Entwickler ihre Version des Ghetto-Lebens fingiert. Aus dieser Fiktion entstand dann unter Einbeziehung von Fakten und auch von eigenen Meinungen ein virtuelles Replikat des Ghettolebens. Es wurde also etwas konstruiert was so in der Wirklichkeit nicht existiert, aber dennoch einen gewissen Wirklichkeitsbezug herstellt.

Wir befinden uns hier also fern jeglicher Fiktion, sondern erhalten bei GTA: San Andreas ein zeitgenössiches Bild der Jugendkultur im Jahr 2005. Hierbei fällt übrigens besonders auf, dass GTA halt nicht darauf abziehlt, die Umgebung besonders wirklichkeitsgetreu wiederzugeben, sondern klar im Vordergrund steht, eine authentische kleine Welt darzustellen. In dieser Welt werden sich durch die Darstellung einzelner Charaktere sogar Wertungen und Ansichten der Designer im Spiel wiederspiegeln. All dies sind künstlerische Anstäze, wenn auch nicht vollends ausformuliert. Wie schon gesagt, ein künstlerisches Spiel gibt es so noch nicht und dürfte es vorerst auch nicht geben. Hierfür müssten erst die Vorraussetzungen geschaffen werden.

Tom: Viel zu weit hergeholt und hintennach hineininterpretiert. GTA: San Andreas soll hip sein, darum ist es im Gangster-Setting angesiedelt und strotzt dabei nur so vor lauter Klischees. Das ist keine Wertung über das Spiel, aber mehr ist da einfach nicht. Als Orwell seine Animal Farm schrieb, wollte er damit gewisse Dinge sagen und darstellen. Das will Rockstar nicht. Du legst das Buch zur Seite und überlest, wen er mit welchem Vieh gemeint hat, warum er gewisse Dinge so formuliert hat und ob das Ganze auch tatsächlich wahr ist. Du hörst auf GTA zu spielen und weißt, dass du nichts für dein Hirn getan hast – außer es zu unterhalten. Klar, wenn ich will kann ich auch dem Muster auf meinem Klopapier künstlerische Großartigkeit andichten.

Konrad: Für dich ist GTA: San Andreas vielleicht ein hippes Kunstprodukt einer repetertiv arbeitenden Industrie. Für mich hat es künstlerische Ansätze. Für den nächsten ist das komplett nichtig und ein anderer sieht z.B. Fahrenheit als virtuelles Kunstwerk an. Um es mit den Worten von Larry Flint zu sagen: „Meinungen sind wie Arschlöcher, jeder hat eins.“

Wir können beide nicht mit Gewissheit sagen, ob sich die Designer von GTA: San Andreas etwas bei der Gestaltung ihrer Spielwelt gedacht haben oder nicht. Genau so wenig kann man dies aber auch bei Orwell und zig anderen Künstlern sagen. Man vermutet es nur. Es ist halt sehr auffällig, dass GTA: San Andreas sehr mit Klischees spielt. Sein Vorgänger GTA: Vice City tut diese ebenso und entsagt sich dabei noch jeglichen Trends. Was wiederum meine Vermutung untermauern würde. Ob etwas als Kunst betrachtet wird oder nicht hängt also stark von der Perspektive ab, aus der man es betrachtet, weswegen eine weitere Diskussion an dieser Stelle sinnlos wäre.

Tom: Der Trend ist GTA selbst. Aber kommen wir von dem Beispiel ein wenig ab. Überlegen wir uns kurz, was Spiele von anderen Medien unterscheidet. Das Gemälde stellt dar, das Buch beschreibt, die Musik erzählt (in gewisser Weise tun natürlich alle alles), das Spiel unterscheidet sich dadurch, dass es interaktiv ist – es reagiert. Also sollten die spielerischen Aktionen das sein, was es zu Kunst werden lässt (was ansatzweise ja doch passiert, aber kann man etwas Halbherziges zur Kunst erklären, bloß weil es nichts gibt, das es sehr gut macht?). Oder es muss die anderen Aspekte die es bietet (Bild, Ton, Szenario, Geschichte) so gut umsetzen, dass es sich in diesen Disziplinen mit anerkannten Kunstwerken messen kann. Aber das ist auch nur ein weiterer theoretischer Ansatz. Vermutlich scheitert es wirklich daran, dass eigentlich keine Sau weiß, was Kunst ist. Ich stelle mir nur die Frage, wer würde LEGO oder DKT als Kunst bezeichnen? Die meisten Computerspiele gehen doch in ihrer Substanz über diese banalen Spiele nicht hinaus.

Konrad: Computerspiele waren damals als banale Unterhaltung erdacht wurden und sind es bis heute größtenteils geblieben. Deswegen lässt sich der Kunstbezug ja auch so schwer herstellen. Aber genug davon für dieses Special, 2005 hatte ja noch mehr zu bieten.

Honk: Genau verdammt! Ich will auch nochmal was sagen. Rebell hat das nächste Thema aus erster Reihe miterlebt, denn der Artikel der zur Diskussion führte, erschien hier bei uns. Ron Gilbert hat die Spielepresse scharf attackiert. Habt ihr ihm nur eure Plattform geborgt, oder steht ihr schon auch hinter dem, was er gesagt hat?

Tom: Es ist nicht schwer zu erraten, ich bin da schon ein Stück weit auf seiner Seite. Die Spielepresse – egal ob Print- oder Online-, Hobby- oder Kommerzmagazin – hat diverse Probleme, die hier sicher den Rahmen sprengen würden. In meinen Augen fehlt sowohl die Fairness in der Berichterstattung, als auch das nötige Bewusstsein dafür, was man mit seinen Texten überhaupt tut. Gerade der vollkommen unreflektierte Hype zur Xbox 360 war ein erschreckendes Beispiel, wie willenlos man der Marketingmaschinerie großer Konzerne ausgeliefert ist. Da wurde jede Pressemeldung, jeder Furz, jedes Bild bejubelt – keiner hat nach Dingen gefragt.

Die Themen die Ron behandelt haben will, sind wieder eine andere Sache. Klar, mich würden die alle interessieren, aber die breite Masse wohl nicht. Andererseits stelt sich die Frage, ob der Konsument eines Spielemagazins nicht sowieso schon ein wenig Hardcoregamer sein muss. Wenn die meisten Leute Magazine wegen der Vollversion auf der DVD kaufen, oder die meisten Visits auf einer Spieleseite bei den Downloads, Cheats und Screenshots generiert werden, dann sehe ich das irgendwie mit einem seltsamen Gefühl.

Konrad: Guter Spielejournalismus, der mehr macht als Spiele zu bewerten, sie vorzustellen und über ein paar allgemeine Themen, die irgendwie im Bezug zu Spielen stehen, zu berichten, ist schlicht und ergreifend nur schwer realisierbar.

Es liegt an vielen Faktoren. Zu viele um sie hier alle aufzuzählen. Aber ein Magazin, das am Markt überleben will, muss vor allem eins bieten: Masse. Überall wird mit noch größeren Datenträgern, noch längeren Testberichten, einem noch umfangreicheren Hardwareteil, noch höher aufgelösten Videos, noch mehr Seiten Heftumfang und noch mehr Vollversionen und Demos geworben. Niemals damit, kritisch Hintergründe zu beleuchten oder neue Wege im Bereich Spielejournalismus zu beschreiten. Alleine schon die Tatsache, jedes einzelne Spiel mit einer genauen Prozentwertung beurteilen zu können, zeigt eindeutig wie fixiert dieses Medium auf Zahlen, Fakten und schieren Umfang ist.

Ron Gilbert spricht einige dieser Punkte an, geht für meinen Geschmack aber teilweise viel zu sehr unter die Gürtellinie und macht manchmal eher den Eindruck eines gelangweilten Entwicklerpromies, der nicht mehr genügend Aufmerksamkeit erhält. Die Kernaussagen kann man aber (meistens) so stehen lassen.

Tom: Ich glaube nicht, dass Ron jetzt verlangt, dass alle Magazine nur noch so etwas machen. Ich frage mich, wäre ein stückweiser Einsatz wirklich nicht machbar? Ron fragt zum Beispiel, ob hinter der Sam & Max 2-Einstellung nicht etwas Interessantes stecken könnte. Wenn ja, dann wäre eine kleine Aufdeckerstory machbar. Da tut man natürlich vielleicht auch mal jemandem weh. Aber ich habe mich auch immer gefragt, warum LucasArts auf die Idee, dass Adventures sich nicht verkaufen, tatsächlich erst wenige Monate vor dem Release gekommen ist. Oder warum wird nirgendwo hinterfragt, warum WalMart und Media Markt vermutlich mehr Macht über den Erfolg eines Spiels haben, als Gamespot.com und Krawall.de? Ich war heute bei Libro und hab im Regal nicht weniger als vier Exemplare von Sven kommt gefunden, Psychonauts war nur ein Mal ganz versteckt zu finden. Wen wundert dann noch das kommerzielle Misserfolg?

Was mir übrigens gar nicht gefällt ist, dass ich dieses „gelangweilter Entwickler“-Argument wirklich oft gehört habe. Das erinnert mich an die alte Taktik aus Gerichtsfilmen, dass man einfach den Zeugen attackiert, wenn man gegen seine Aussagen nichts wirkliches vorbringen kann. Im Endeffekt können wir uns aber wohl darauf einigen, dass diese ganze Sache ein schwieriges und heikles Thema ist.

Honk: Ok Männer, wir kommen jetzt dann langsam zum Ende. Wir hatten die Spiele, die Systeme, die Presse, die Kunst, Rebell.at, die Gangster und die Psychos, die Indies und die Giganten – kommen wir zum Spärlichen: Zockerfrauen. Habt ihr 2005 welche getroffen?

Konrad: War klar, das fällt jezt aber eindeutig unter die Rubrik „Wir hatten da noch ein Special zu füllen“. Da labern wir beiden Dumbos uns hier den Mund fusselig, Spiele anders zu betrachten und weg vom Massenmarkt zu gehen und was macht Honk? Packt das dickste Klischee auf den Tisch und macht unsere Pionierarbeit komplett zu nichte ;) Nächste Frage bitte!

Tom: Von den ersten fünf Frauen die mir einfallen, weiß ich von vieren, dass sie gerne ab und zu Konsole oder PC zum Spielen anschalten. (Ich find es unfassbar, dass wir diese Frage ohne billigen Frauenwitz überstanden haben.)

Honk: Die Leute lesen immer gerne schlechte Dinge. Drum frag ich euch zum Abschluss ganz einfach nach euren absoluten Horrorerlebnissen im Jahr 2005. Was möchtet ihr nie mehr erleben müssen?

Konrad: Unfertige, absolut verbuggte Testmuster als Vollversion verkauft bekommen. Das fand ich dieses Jahr vor allem bei Bet on Soldier nicht gerade amüsant. Anscheinend hatten die Entwickler aber noch genügend Humor übrig, um uns den wahrscheinlich größten Patch aller Zeiten zu schenken.

Sonst will ich nie wieder so ein lahmes und innovationsarmes Jahr wie dieses sehen. 2006 solls krachen, ich will fette Innovationen, noch nie dagewesene Spielspaßraketen und endlich einen Jahrsvorrat an Kuchendesserts von Bauer.

Ich weiß, ich sollte aufhören, immer diese kleinen weißen Pillen zu schlucken. Wir werden zwar jede Menge Innovationen das erste Mal wirklich konsequent umgesetzt sehen. Leider handelt es sich dabei um Pixel Shader 3.0, Parallax Mapping und wie die anderen grafischen Spielerein heißen, die zwar nett aussehen, aber leider nicht die fehlenden Story-Autoren ersetzen.

Aber vielleicht wird 2006 auch alles anders, mal sehen…

Tom: Für mich gab es eigentlich überraschenderweise kein herausragendes Negativ-Spielerlebnis. Darum ist das Negativste für mich eigentlich etwas, das für andere das Beste ist: World of WarCraft. Ich bin sehr nachdenklich geworden, wie viele Leute das Spiel zu sehr in seinen Bann zieht. Ich habe Freunde und Bekannte, die wirkliche Probleme damit bekommen haben. Bei aller Begeisterung für Blizzards Meisterstück (das ja nicht wirklich der Urheber des Problems ist) – das gefällt mir nicht. Ich halte nicht viel von der Skandalisierung von Computerspielen im Zusammenhang mit Gewalt, aber die Sucht ist ein Thema dem sich die Spielergemeinde gerade von MMORPGs ganz sicher stellen muss. Es sind auch die Leute gefragt, die selbst nicht betroffen sind, wenn sie im Spiel merken, dass manche davon nicht mehr loskommen.

Aber jetzt wo du mich erinnert hast: Bet on Soldier war wirklich grauenhaft verbugt…


Lest auch den ersten Teil unseres Gesprächs.

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