Derzeit werkelt 4HEAD fleißig an der Fertigstellung des Nachfolgers der seinerzeit populären mittelalterlichen Wirtschaftssimulation ’Die Gilde’. Laut Eigenwerbung soll ’Die Gilde 2’ aber nicht eine weitere WiSim werden, sondern nichts weniger als die erste Lebenssimulation im packenden Ambiente des europäischen Mittelalters gepaart mit waschechten Rollenspiel-Elementen. Grund genug für uns also, einmal genauer bei Lars Martensen von 4HEAD nachzufragen, was da auf uns zukommt.
Hallo Lars! Dieses Jahr werden die dürstenden Fans mit einem ’Die Gilde’-Nachfolger beglückt. Geht das Konzept von ’Die Gilde 2’ in eine andere Richtung oder wollt ihr euch damit an den beachtlichen Erfolg des Vorgänger halten?
Hallo Stephan! Nun, das grundlegende Konzept geht in keine andere Richtung als dies im Ursprungsspiel der Fall war. Das heißt, Die Gilde 2 ist erneut ein Spiel, das seine Motivation für den Spieler aus der Bündelung der verschiedenen Spielelemente gewinnt: Handel, Intrigen, Politik, Rollenspiel und Lebenssimulation. Dieser Mix hat bei Die Gilde 1 gut funktioniert; warum also sollten wir uns nicht den Gefallen tun, bei Gilde 2 die gleichen Zutaten zu mixen?
Gleichwohl gibt es natürlich einige markante Veränderungen – nicht so sehr hinsichtlich der Gameplay-Elemente, sehr wohl aber in Bezug auf die Spielmechanik. Hier sind mit „kompletter“ Echtzeit im Gegensatz zum Runden-/Echtzeitkonzept des Vorgängers deutliche Fortschritte erzielt, was sich speziell im flüssigeren Multiplayerspiel zeigt.
Apropos Spielkonzept: Nicht wenige Nachfolger von einst sehr erfolgreichen Titeln aus Deutschland der jüngeren Vergangenheit wurden der internationalen Vermarktbarkeit wegen auf mehr Massentauglichkeit hin ausgerichtet. In der Regel zu Lasten der Originalität und Kreativität. Müssen wir diese Tendenz auch bei ’Die Gilde 2’ befürchten?
Es ist nun einmal so, dass die Entwicklung hochwertiger Titel heute das zwei- bis vierfache dessen kostet, was vor fünf Jahren investiert werden musste. Man kann sich der betriebswirtschaftlichen Wirklichkeit nicht verschließen und glauben, ein Titel, der eine siebenstellige Entwicklungssumme kostet und noch dazu nicht auf mehreren Plattformen entwickelt wird, würde seine Entwicklungskosten einspielen, wenn er, übertrieben gesagt, seinen Fokus zu sehr auf die Vorlieben (oder auch Leidensfähigkeit, Stichwort Interface [lacht] ) innerhalb der deutschsprachigen Territorien legt.
Damit meine ich, dass Gilde 1 hinsichtlich der Steuerung und der lediglich textlichen Visualisierung vieler Ereignisse durchaus noch sehr „deutsch“ war. Diese beiden Aspekte haben wir, neben einigen anderen, in der Tat für Gilde 2 nachhaltig überarbeitet. Insofern ist das Spiel nun „massentauglicher“. Aber ich kann gut damit leben, wenn jemand auf Anhieb mit der Steuerung zurecht kommt, weil diese üblichen Strategiespielen nunmehr recht ähnlich ist.
Wie können wir uns ’Die Gilde 2’ als Lebenssimulation vorstellen? Als eine Art ’Sims’ des Mittelalters? War das Arbeitsleben damals wirklich so aufregend?
Vielleicht kann man Gilde 2 ein wenig als Sims im Mittelalter beschreiben, wenn man jemandem das Spiel erklärt, der den Vorgänger nicht kennt. Tatsächlich ist es jedoch ein recht einzigartiges Spielkonzept mit Elementen von Lebenssimulation, aber natürlich ebenso RPG, Handel, Politik und Strategie – ganz wie der Vorgänger eben. Ein Beispiel mag das verdeutlichen:
Bei Gilde 2 liest man kein Buch aus reinem Selbstzweck, sondern, um beispielsweise seine rhetorischen Fähigkeiten zu steigern und dann seinen Gegner vor Gericht leichter zu einer Kerkerstrafe verurteilen zu können. Ist der Gegner dann im Kerker dahingeschieden, wirbt man vielleicht sogar um die reiche Witwe seines Opponenten und führt sie im Jahr darauf zum Altar.
Ob das Arbeitsleben aufregend war, kann ich nicht beantworten. Vermutlich eher anstrengend. Aber es macht (im Spiel) schon Spaß, seinen Bauern bei Aussaht oder Ernte zuzuschauen und seine Besitztümer zu hegen und zu pflegen. Und für den Spaß hat man ja immer noch seine Schergen, Diebe und Räuber…
In welchen Punkten unterscheidet sich denn der Nachfolger hinsichtlich des Broterwerbs? Gibt es bisher noch nicht behandelte Berufe des Mittelalters im Spiel?
Broterwerb trifft es in der Tat. Wir haben den Wirtschaftszweig der Lebensmittelversorgung mit Bauernhöfen und Bäckereien eingeführt. Einige Berufe aus Gilde 1 sind zusammengelegt worden wie etwa Alchimist und Parfumeur, andere gestrichen worden, da sie weniger unterhaltsam waren, etwa der Steinmetz. Wieder andere wie das Bankhaus sind nun städtische Gebäude. Es werden zunächst insgesamt zehn Berufe spielbar sein.
Bezugnehmend auf die Erfahrungen, die ihr und die Spieler mit dem ersten Teil gemacht haben: Flossen dadurch angeregt Veränderungen und Anpassungen an das allgemeine Gameplay des Sequels in die Entwicklung mit ein?
Natürlich haben wir die Reaktionen und Erfahrungen sowohl innerhalb des Teams als auch diejenigen der Community verfolgt. Wenn die Entwicklung eines so komplexen Titel wie Gilde 2 ein Wunschkonzert wäre, hätten wir gerne zum Beispiel 25 Berufe eingebaut, wären dann aber vermutlich erst Ende 2008 mit der Entwicklung fertig. Ich denke, die wichtigsten Anregungen, die wir uns zu Herzen genommen haben, beziehen sich auf die Bugfreiheit und die Lauffähigkeit im Multiplayermodus. Denn hier hatte Gilde 1 ja bekanntlich seine Schwächen.
Früher wurde der Nachwuchs einer Dynastie oft auch bis ins Erwachsenenalter einfach solange ins Abseits gestellt, bis der Hauptcharakter das Zeitliche segnete. Ihr sprecht bei ’Die Gilde 2’ von bis zu drei gleichzeitig spielbaren Charakteren einer Familie. Wie helft ihr dem Spieler, dabei nicht den Überblick zu verlieren?
Maßgeblich helfen wir durch das neu gestaltete User-Interface. Aber wer es nicht mag, mit drei Charakteren in seiner Party zu spielen, lässt einen oder gar zwei Slots einfach frei. Der Spieler kann dann sogar alle gewonnenen Erfahrungspunkte in die Entwicklung seines Lieblingscharakters stecken.
Gilde 2 macht allerdings nicht viel Federlesen, wenn es darum geht, jemanden aus dem Weg zu räumen. Eine Hinrichtung, ein tödliches Duell, all das kann in Gilde 2 deutlich schneller geschehen als es in Gilde 1 der Fall war. Im Vorgänger gab es so viele gemeine Möglichkeiten, da man aber nur einen Charakter gespielt hat, mussten wir das Spiel so ballancen, dass es nur sehr schwer möglich war, einen Gegner „nachhaltig“ aus dem Weg zu schaffen. Dies wollten wir in Gilde 2 ändern. Daher gibt es nun eine Party, die sich aus den Mitgliedern der eigenen Dynastie rekrutiert. Ein weiterer Grund für die Party wird aus der nächsten Antwort ersichtlich.
Ihr sprecht ja auch von Rollenspiel-Elementen. Welche sind das denn? Gibt es etwa daneben noch eine vom Spieler zu durchlebende Hintergrundgeschichte?
RPG-Elemente sind in Form von Charakterklassen, Talenten und Spezialfähigkeiten (Perks) vorhanden. Im Vorgänger gab es ja lediglich Berufe; in Gilde 2 wählt man für jeden Charakter eine von vier möglichen Charakterklassen. Jede Klasse erlaubt es dann, einige Berufe auszuüben. Außerdem bestimmt die Wahl der Klasse, welche der zehn Talente sich leichter (für weniger Erfahrungspunkte), normal oder schwerer steigern lassen.
Hat man sich beispielsweise für die Patron-Klasse entschieden, so kann man Bauernhöfe, Bäckereien und Wirtshäuser spielen. (Hier macht es dann Sinn, mehrere Mitglieder in der Party zu haben, damit man auch andere Wirtschaftszweige in derselben Partie spielen kann.) Da ein Patron aber in der Regel kein Wissenschaftler ist, gilt etwa für das Talent „Geheimwissen“, dass es schwer zu steigern ist. Die „Konstitution“ dagegen kann der Patron dank harter Arbeit und frischer Luft (zumindest auf den Feldern) leicht steigern.
Beim Aufstieg in bestimmte Stufen – ein Charakter kann maximal Stufe zehn erreichen – darf sich der Spieler Spezialfähigkeiten aussuchen, die den Charakter weiter individualisieren. So sorgt er etwa als „Mentor“ dafür, dass seine Angestellten schneller Erfahrung sammeln und „leveln“ oder becirct als „Kama Sutra Meister“ das andere Geschlecht nachhaltiger.
Bekanntlich sollen ja jetzt wirklich existierende Nachbarstädte den Handel sowie Angebot und Nachfrage authentischer simulieren. Welche neuen Möglichkeiten hat der Spieler, wenn er bei seinen Geschäften und Betrieben nicht mehr nur auf die Heimatstadt festgelegt wird?
Der Spieler kann im- und exportieren und in verschiedenen Ortschaften können unterschiedliche Steuersätze gelten. Preise bilden sich nach der tatsächlichen Verfügbarkeit und Nachfrage von Gütern. Exportiert man Brote in ein armes Dorf in einer Gegend, in welcher es keine Landwirtschaft gibt, so wird man gute Gewinne machen. Auf seinem teuren Rinderbraten wird man dort hingegen vermutlich sitzen bleiben, den sollte man besser in einer reichen Stadt verkaufen, denn dort geben sich die Bürger mit einfachem Brot nicht zufrieden. Für den Spieler gilt es also, die Bedürfnisse der Einwohner zu befriedigen. Dazu muss er Güter-Angebot, -Nachfrage, Steuersätze, geografische Lage sowie den Reichtum von Dörfern und Städten berücksichtigen.
Darf der Bauherr endlich nach eigenen Wünschen sein Domizil oder Produktionsstätten in der Stadt platzieren?
Grundsätzlich ja. In Gilde 1 gab es fest definierte Bauplätze, was etwas unflexibel war. In Gilde 2 gibt es Baugebiete. Das sind große Flächen, auf die mehrere Gebäude passen. Innerhalb eines solchen Baugebiets kann der Spieler frei entscheiden, wo er bauen möchte. Lediglich die Front eines Gebäudes muss sich an einer „Kante“ des Bausgebiets ausrichten. Dies bietet in der Praxis jedoch eine deutlich höhere Flexibilität als es in Gilde 1 der Fall war.
Gerade für eine Handelssimulation des Mittelalters wäre der Seehandel und die Hanse eine authentische Bereicherung. Jedoch ist der Handel zur See bisher nicht für ’Die Gilde 2’ geplant. Aber dürfen wir für diese Möglichkeit vielleicht auf ein Add-on hoffen?
Ja, hoffen dürft Ihr. Im Ernst, ich kann dazu noch nichts sagen.
Vor allem der Online-Multiplayer-Modus des Vorgängers war wohl mit Abstand eines der schwierigsten in den Griff zu bekommenden Spielelemente. Das war angesichts der sich sehr interessanten bietenden Möglichkeiten eigentlich sehr schade. Was hat man daraus für die ’Gilde 2’ gelernt?
Eine ganze Menge. Der MP-Modus läuft bereits seit Monaten stabiler als dies in Gilde 1 je der Fall war. Wir arbeiten außerdem mit einer externen Lösung, so dass es dieses Mal sicher keine tour de force wird, eine Multiplayerpartie zu spielen.
Möchtet ihr unseren Lesern abschließend noch etwas zum Entwicklungsstand und Release von ’Die Gilde 2’ mitteilen?
Wollen schon, aber… Also, Gilde 2 gedeiht prima, wir befinden uns sozusagen in der Endphase. Das Spiel wird im dritten Quartal veröffentlicht, sollte zwischendurch nicht die Welt untergehen. Und um gar keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Gemeint ist das dritte Quartal 2006. ;-)
Lars, vielen Dank für dieses Gespräch.