Final Fantasy lässt grüßen!

Ein sonniger Morgen bricht an, als ich meine Augen öffne. Dieser Ort ist zauberhaft schön – fast zu schön um wahr zu sein. Mein kleiner Zeltplatz ist umgeben von vor grün strotzenden Bäumen und der Duft von frischen Blumen steigt mir in die Nase. Ich erinnere mich an den gestrigen Abend zurück – wir hatten unglaubliches Glück. Ich und meine Freunde haben einen richtig dicken Fang gemacht, eine Truhe voller Goldmünzen konnten wir einem fetten Händler abnehmen und er konnte uns in der Dunkelheit nicht einmal erkennen. Wir alle haben ausgesorgt und können unser Räuberdasein beenden. Was werde ich mir alles kaufen können von dem Geld? Ein kleines Häuschen am Stadtrand von Grenegar – vielleicht einen kleinen Laden eröffnen, damit ich in Zukunft mein Geld auf ehrlichem Wege verdienen kann?

Es wird Zeit, mein Zelt zu verlassen und, begleitet von den wärmenden Strahlen der Morgensonne, zu meinen Freunden zu schlendern. Sicher haben sie schon Feuer gemacht und vielleicht kann ich noch etwas zu Essen bekommen wenn ich mich beeile.

Seltsam, wieso sehe ich nur einen der vier am Feuer sitzen? Wieso macht er so ein langes Gesicht? Wie kann man mit so viel Geld in der Tasche nur so eine depressive Grimasse schneiden? Wo sind die anderen? Wo ist die Truhe? Weg? Das kann nicht sein! Nein!

Diese kleine Geschichte ist der Anfang von Neverend aus Sicht des Feenwesens Agaven, dessen Part ihr im Spiel übernehmen dürft. Zu fünft hatten sie einen Haufen Gold geklaut, aber zwei Bandenmitglieder haben den Rest verraten und sind über Nacht mit der Beute abgehauen. Der Rest sucht nun nicht mit vereinten Kräften nach den Verrätern, sondern beginnt, sich gegenseitig zu beschuldigen – Habgier und Neid wie im echten Leben.

Neverend versetzt euch in eine klassische Fantasywelt, vom Stil her vergleichbar mit Final Fantasy 7, nur lange nicht derartig umfangreich wie das, für damalige Verhältnisse, geniale RPG von Square. In Städten und an speziellen Orten ist die Grafik vorgerendert und oft atemberaubend schön, während ihr euch, wenn ihr diese Orte verlasst um wo anders hinzugehen, auf einer Art Weltkarte bewegt, die in schmuckem 3D gehalten ist.

Auf dieser Karte kommt es andauernd zu zufälligen Kämpfen. Ihr bewegt euch irgendwo hin und alle zehn Sekunden, kommt es zum Kampf mit Wegelagerern, Wölfen, Geistern und was-weis-ich-noch was. Die Kämpfe sind in Runden unterteilt. Jeder Beteiligte hat eine gewisse Menge an Aktionspunkten und kann damit zum Beispiel zaubern, stechen, schlagen oder Heiltränke trinken. Stress kommt keiner auf. Ihr könnt sorgfältig überlegen, was ihr tun möchtet und dann zusehen, wie eure Fee die gewählte Aktion durchführt. Leider müsst ihr durch dieses System auch dabei zusehen, wie euch eure Gegner verprügeln, weil sie gerade an der Reihe sind. Die Kämpfe sind ansprechend gestaltet. Es gibt viele verschiedene Gegner, die Auswahl an Waffen und Zaubersprüchen, die ihr einsetzen könnt, ist groß und vor allem könnt ihr eure Waffenfertigkeiten durch Level-Ups auch perfektioneren um noch bessere Schlagtechniken bei einem der vielen Lehrer in der Welt von Neverend erlenen zu können.

Das alles ist ein großartiges System und birgt viele Möglichkeiten, Abwechslung und damit auch Spielspaß. Es gibt nur einen Wermutstropfen: Die Kämpfe auf der Weltkarte finden viel zu oft statt. Wenn ihr zum Beispiel von eurem anfänglichem Räuberlager zur nächstgelegenen Stadt laufen wollt dauert das, 30 Sekunden, aber nachdem es mindestens alle fünf Sekunden einen Zufallskampf geben wird, kostet euch das zehn bis fünfzehn Minuten. Das ist spielflusshemmend und ein sehr negativer Aspekt an Neverend.

Das Gameplay ist genretypisch. Ihr erledigt Aufträge und tötet Monster, dafür gibt es dann Erfahrungspunkte, die ihr in Charakterattribute wie Stärke, Intelligenz und Wahrnehmung investieren könnt. Das Zaubersystem funktioniert mit Schriftrollen und Runen. Ihr könnt mit speziellen Schriftrollen einmalig einen Zauber wirken, oder mit anderen Schriften erfahren, welche Runen ihr einsetzen müsst, um an das dauerhafte Wissen des Zaubers zu kommen. Runen könnt ihr kaufen, oder bei toten Monstern abstauben. Nachdem das Inventar eures Charakters unlimitiert ist, könnt ihr mehr Runen als ein LKW mit 40 Tonnen Nutzlast mitschleppen. Trotzdem muss man für einige Zauber ziemlich lange nach der richtigen Kombination an Runen suchen.

Auch wenn die Grafik technisch nicht am neuestem Stand ist und nicht einmal die Auflösung den eigenen Bedürfnissen anpassbar ist, kann man sehen, dass Mayhem jeden Ort mit großer Sorgfalt erschaffen hat. Alles wirkt wunderschön und irgendwie schaffen es vorgerenderten, starren Bilder, ein Gefühl von Leben zu vermitteln. Das viele Grün und die oft imposanten Bauten, die die Landschaft schmücken, sind beeindruckend und erschaffen eine tolle Atmosphäre, die Neverend einzigartig macht. Die Musik unterstreicht diese Atmosphäre noch. Obwohl hier nicht mit irgendwelchen Orchestern gearbeitet wurde, sind die Musikstücke großartig und haben Stil. Neverend bietet eine Atmosphäre, die in letzter Zeit nur von wenigen Spielen geschaffen werden konnte. Auch die Synchronisation ist sehr gut gelungen, spielt aber nur eine untergeordnete Rolle. Gesprochene Texte sind im Spiel nur vorhanden, wenn man der Hauptstoryline folgt, ansonsten gibt es nur schriftliche Konversationen.

Neverend kostet, verglichen mit anderen Titeln, ein Butterbrot von 22,90 und kann euch geschätzte zehn Stunden am Bildschirm fesseln, sofern ihr niemals auf die Idee kommt, Multitasking zu versuchen. Das hat nämlich einen Absturz zur Folge. In der Basisversion war das Spiel generell noch etwas instabil, seit Patch 1.1, der nur 294 Kilobyte hat und somit sogar für 56K-Modemuser kein Problem sein dürfte, hat sich das stark gebessert.

Dass Mayhem fähig ist, ein atmosphärisch so tolles Spiel zu fabrizieren, beeindruckt mich. Mit Shadow Vault haben sie eigentlich nur ein lebloses Stück Programmcode, der eine schlechte Kopie der Fallout-Reihe zu sein versuchte, geliefert. Hier merkt man einfach, dass das slowakische Team mit Herz und Begeisterung bei der Sache war und wusste, was es tat. Mit den Zufallskämpfen haben sie aber stark übertrieben und genau das ist es auch, was Neverend nur für hartgesottene Final Fantasy-Fans empfehlenswert macht. Ohne eine Minimap zu haben, irrt man ganz schön lange auf der Weltkarte durch die Gegend und diese lange Zeit wird durch einen kleinen Zufallskampf alle fünf Sekunden sehr stark von Abwechslung geprägt. Böse Zungen würde auch behaupten, dass diese Menge an Abwechslung reicht um ziemliche Hassgefühle für das Kampfsystem zu entwickeln. Dabei wäre es doch sogar gut ausbalanciert. Hilft aber nix wenn es alle fünf Sekunden kracht. Trotz diesem bösen Manko ist Neverend sein Geld wert, da der Stil und das Gameplay für einen alten SNES-RPG-Spieler wie mich einfach genial sind.

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