Erste Schritte in Turbines neuem MMORPG

Ich kann nicht gerade behaupten, je ein eingefleischter ‚Pen & Paper‘-Purist gewesen zu sein. Meine beschränkte Phantasie brauchte wenigstens ein hartes Spielbrett und bunte Figuren, um meinen Geist in eine Fantasy-Welt entschwinden zu lassen. Trotzdem habe ich immer neidisch den Geschichten von bekennenden ‚Dungeons & Dragons‘-Rollenspielern gelauscht, die – ausgestattet mit relativ wenigen materiellen Mitteln, jedoch mit einem kompletten Regelwerk für alle möglichen Ereignisse – gegen den Dungeon Master in die Schlacht zogen. Während schon seit vielen Jahren unzählige Videogames-Umsetzungen mal mehr, mal weniger erfolgreich für Dungeon-Feeling auch auf dem Monitor sorgten, erscheint im März mit ‚Dungeons & Dragons Online: Stormreach‘ die erste MMORPG-Umsetzung des ‚D&D‘-Universums. Für den MMORPG-OPA war im Rahmen des US-Beta-Tests ein Antrittsbesuch zu Vorschauzwecken natürlich Pflicht.

Transmutation
Das für die Entwicklung verantwortliche Studio Turbine hat mit Sicherheit keinen leichten Job bei der Umsetzung des ’Dungeons & Dragons’-Universums. Neben der Entscheidung für das passende Regelwerk, in diesem Fall die aktuelle Ausgabe 3.5, stellte sich darüber hinaus die Frage, welche der ’D&D’-Welten für das Online-Rollenspiel die Grundlage bieten soll. Die Wahl fiel auf das neue ’Eberron’. Unlängst schwieriger gestaltete sich während der Entwicklungsarbeit die Umsetzung des komplizierten Regelwerks. Dieses war ja eigentlich ursprünglich auf die ‚Pen & Paper‘-Abenteuer perfekt zugeschnittenen. Während die Umsetzung der bisher fünf spielbaren Völker wie Menschen, Elfen, Halblinge, Zwerge und die Warforged sowie die neun ’D&D’-Klassen offenbar problemlos implementiert werden konnten, ließ man sich eigens für die Zauberkundigen eine Abweichung von der Norm einfallen: Zauberpunkte als Alternative zu einer begrenzten Zahl von Sprüchen pro Tag. Beim Punkt PvP blieb man den Regeln wieder treu: Kämpfe zwischen Spielern wird es nicht geben.

In einem MMORPG hätten die Originalregeln in dieser Hinsicht bedeutet, dass die Party während eines längeren Aufenthalts im Dungeon plötzlich ohne zaubernde Mitglieder dastehen könnte. Und mit Nichtstun macht man sich keine Freunde. Wie sich dieses System in der aktuellen Beta-Praxis erweist und wie es mich teilweise zur Weißglut getrieben hat, dazu gleich mehr. Die große Frage, die sich mir als Besucher der Online-Umsetzung schon jetzt stellt, ist aber: Wie genau muss oder darf man ein MMORPG getreu dem ‚Pen & Paper‘-Vorbild umsetzen, damit es auch noch ‚D&D‘-Neulingen Spaß macht?

Nichts für Angsthasen
Nach reichlich viel Text bezüglich der Auswahl der geeigneten Attribute, Skills und rassenspezifischen Besonderheiten sowie den im Vergleich dazu sehr mageren Gestaltungsmöglichkeiten des äußeren Erscheinungsbildes des Helden geht es los. Wie in jedem anderen beliebigen MMORPG bevölkern NPCs und Shops das Stadtbild, bei denen Ausrüstung erstanden und lukrative Aufträge erworben werden können. Besonders als abgebrannter Neuling erweisen sich spezielle Sammler-NPCs als prächtige Hilfe. Die von Monstern eingesackten seltenen Gegenstände können bei ihnen gegen wertvolle Waffen, Rüstungen oder die ansonsten sehr schwierig aufzutreibenden Tränke eingetauscht werden. Die ersten Abenteuer führen den angehenden Helden in die Hauptstadt Stormreach, in dessen Untergrund jedes nur erdenkliche Untier sein Unwesen treibt. Für das Erledigen der Brut gibt es übrigens keine Erfahrungspunkte, sondern nur für das Abschließen der Abenteuer. Sehr positiv übrigens: In Schatztruhen sind reservierte Belohnungen für jedes Gruppen-Mitglied vorhanden.

Wechselbad der Gefühle
Von Anfang bis Ende einer jeden Quest durfte ich nahezu jedes menschenmögliche Gefühl von Glücklichsein, über beinahe Herzinfarkte vor Gruseln, bis hin zu gestandenen Wutanfällen erleben. Standesgemäß spielen sich jedenfalls die mir bis jetzt bekannt gewordenen Quests in Verließen, Gruften und feuchten Gemäuern ab, die in der optischen Gestaltung ihre Zugehörigkeit zu ’Dungeons & Dragons’ alle Ehre machen. Sogar an den klassischen Dungeon Master, dem Geschichtenerzähler und Eingeweihten in die Vorgänge des Bösen, wurde gedacht, wenn dieser an markanten Punkten dem Spieler Hinweise auf bevorstehende Ereignisse gibt. Holzt man sich in eigentlich allen vergleichbaren Online-Rollenspielen ziemlich hirnlos durch die Monsterhorden, werden hier die Kämpfe nicht selten durch Rätselaufgaben oder die Suche nach einem Geheimraum ergänzt. So floss in einer Quest zum Beispiel nur durch die richtige Anordnung von Steinplatten die Energie an die richtigen Stellen, wodurch es möglich war, sich die begehrte Schriftrolle zu grabschen. Nicht selten bleiben Wege versperrt, bis man den passenden Schalter findet. Es sollte also möglich sein, endlich gute, alte Rollenspielelemente demnächst in einem MMORPG wiederzufinden.

Zäher Heldenalltag
Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg. Leider betreibt Turbine bei ’Dungeons & Dragons Online’ aktuell eine Politik, die ich in großen Teilen nicht nachvollziehen kann. Denn ohne abenteuerlustige Freunde lag mein armer Zwerg ziemlich oft einsam und halbverblutet im Dungeon herum, da es das ’D&D’-Regelwerk verbietet, sich von selbst zu regenerieren und Tränke Mangelware bzw. sauteuer sind. Regelwerk hin oder her, aber was bitte schön soll der glücklose Held machen, wenn er einmal alleine unterwegs sein will, keinen der äußerst selten und teuer aufzureibenden Tränke im Beutel hat oder den verfluchten Rest-Shrine zum nötigen Zeitpunkt wieder nicht erreichen konnte? Noch ärgerlicher wird die Sache, wenn einem Magiekundigen der Mana-Saft ausgeht und er hilflos von einer Horde Kobolde verfolgt wird. Wer hat schon Lust tief in einer Instanz jedes Mal den weiten Weg zur Taverne zurückzulegen, um sich wieder zu erfrischen? Das alles wäre immer noch nicht so schlimm, würde der Schwierigkeitsgrad für Solo-Abenteuer aktuell nicht exorbitant hoch sein und deshalb unverschämt die eigenen Ressourcen verbraucht. Ein Dungeon kann ziemlich lang sein und dessen Bewohner haben bis dato keine großen Mühen damit, an den Knochen des Helden zu nagen.

Zwanghaft am Original festhalten?
Ganz anders das Spiel in der Gruppe: Häufig hatte Turbine auf die taktischen Möglichkeiten des Kampfes in einer Abenteuer-Party hingewiesen. Dies trifft im Wesentlichen tatsächlich zu. Ehemals im Alleingang unmöglich zu schaffende Quests werden in einer guten Gruppe plötzlich spielend lösbar. Endlich kann man darüber hinaus die eben angesprochenen Elemente aus klassischen Rollenspielen genießen: Schurken erkennen Fallen und kundschaften die vor der Gruppe lauernde Finsternis aus, gepanzerte Nahkämpfer gehen dem modrigen Ungeziefer an die Gurgel, während hinter ihnen Magier ein Höllenfeuer entfachen. Insgesamt habe ich den starken Eindruck, als wolle man bei ’Dungeons & Dragons Online’ erstmals einen Zwang zum Gruppenspiel gleich zu Beginn des Charakterlebens einführen, wie es im klassischen ’D&D’ eben üblich ist.

Eigentlich sollte man Turbines Ansatz des taktischen Zusammenspiels in ausgewogenen Gruppen begrüßen. Doch wie wird die Realität aussehen? Nicht jeder von uns zählt zur Kategorie Hardcore-Gamer, der Wert auf Perfektion legt. Beginnt das andernorts zeitraubende Endgame bei ’Dungeons & Dragons Online’ also schon am Anfang? Es kann nicht einfach vorausgesetzt werden, dass später in der Praxis immer nur Idealbedingungen herrschen und Gruppen wie Mitspieler dafür jederzeit zur Verfügung stehen. Was soll der Spieler anstellen, wenn das wieder nicht der Fall ist? Warten und Dämchendrehen? Da außerdem die Charakterentwicklung – derzeit zehn Level unterteilt in mehrere Ränge – insgesamt sehr zäh verläuft, ist ein Solospiel beim Stand der Dinge sowieso nicht zu empfehlen. Ich hoffe nur, Entwickler Turbine hat noch ein Einsehen und lässt sich hier freundlichere Lösungen auch für den einsamen Helden einfallen. Denn wie die ansonsten von den Freiheiten in anderen MMORPGs verwöhnten Spieler nach Release auf diese Tendenz reagieren werden, dürfte eine der interessantesten Fragen über die Akzeptanz dieses Online-Rollenspiels werden.

Die Zeit drängt
Auf Turbine wartet noch einiges an Arbeit, wenn das Entwicklerstudio den außerordentlich hohen Erwartungen an ein ’Dungeons & Dragons Online’ gerecht werden will. Grundsätzlich stimmt die Atmosphäre, das MMORPG strotzt nämlich vor Rollenspiel-Potential und die Quests erweisen sich als erfrischend und – verglichen mit dem Standard-Gemetzel anderer Online-Rollenspiele – als durchaus abwechslungsreich. Es trifft außerdem zu, dass Turbine streng mit den ’D&D’-Regeln arbeitet, was die Fans freuen dürfte. Aber bei aller Regeltreue: Die umständlichen Arten der Regenerationsmöglichkeiten sowie die langatmige Charakterentwicklung machen das Onlinespiel zur Zeit sehr schnell zu einem ziemlich zähen Kaugummi. Wenn ich ein unbedingt ein ordentlich organisiertes Gruppenspiel will, kann ich auch das ‚Pen & Paper‘-Original spielen. In einem Online-Rollenspiel dürfte es sich jedoch fatal auf den Spielspaß auswirken, sobald der strahlende Held aufgrund der Schwierigkeit solo kein Land mehr sieht. Ich hoffe inständig, dass sich Turbine zu diesen Punkten noch den einen oder anderen ernsthaften Gedanken bis zum Release im März macht.

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