Ich bin weiter vorgedrungen in die Weiten Argaans. Entdeckt habe ich nicht nur neue Gegner und Quests, sondern auch Gutes, Schlechtes und Zwiespältiges in Sachen Gothic. Die Frage „Wie viel Gothic steckt eigentlich in Arcania?“ ist jetzt teilweise beantwortet. Ich schreibe Tag 3 im Arcania-Tagebuch.
Und sie kämpfen doch
Ach was habe ich mich geärgert, das ich so ziemlich alles Ungetier ohne großartiger Herausforderung ins Jenseits befördern konnte. Dann war ich endlich (vorerst) erlöst von der Gegend rund um die Taverne „Zur gespaltenen Jungfrau“. Ein fieser Vergiftungsplan öffnete mir das Tor ins Banditenlager – zwischen mir und dem Weg nach Stewark standen nur noch dessen Bewohner.
Und was war das? Huch! Gefährliche Gegner!. Nicht nur, dass die Brückenbesetzer gleich zu viert anrückten, nein, sie wussten auch auf mich einzudreschen. So ein Kampf wird wesentlich problematischer, wenn die (ohnehin starken) Gegner sich nicht nur auf ihre langsamen Powerschläge beschränken. Es galt also die gute, alte Gothic-Taktik anzuwenden. Nämlich erstmal die Beine in die Hand zu nehmen und zwischendurch immer einen einzelnen Gegner zu beackern.
Da hatte ich eben ein wenig Lust am Kämpfen auf Argaan verspürt, und schon machte mir das Spiel wieder einen Strich durch die Rechnung. Nach einer kurzen Flucht meinerseits machten drei der vier Schurken kehrt, der Vierte – ein Bogenschütze – aber blieb seelenruhig in meiner Nähe und probierte eine Fernakupunktur an mir. Bis er sich ziemlich wehr- und chancenlos niedersäbeln ließ. Die restliche Bande war dann schon ein wenig leichter zu knacken, aber immer noch eine Konfrontation mit hohem Risiko.
So stelle ich mir das vor. Abzüglich der Selbstaufopferung des Fernkämpfers natürlich. Aber warum muss ich erst in den höchsten Schwierigkeitsgrad schalten, um in gefahr zu geraten? Wenigstens konnte ich schnell ein Muster erkennen, denn alle seit dem auf mich zukommenden Kämpfe waren deutlich schwerer zu meistern, als in den ein bis zwei Stunden (je nach Aufmerksamkeit auf Nebenquests) davor. Lediglich einzelne Bösewichte waren weiterhin zu dämlich, mir einen ordentlichen Fight zu liefern.
Alte Stärken…
So zog ich also nach Stewark, eine auf eine Anhöhe gebaute Küstenstadt. Diese erinnert ein wenig an Khorinis aus Gothic 2 und Cathalon aus Two Worlds, präsentiert sich als solche aber durchaus stimmig. Mit Gorn, einem Söldner der sich nun bei der dortigen Stadtwache betätigt, trifft man auch auf einen Bekannten aus früheren Teilen der Serie. Um ans eigentliche Ziel zu kommen, benötigt man eine Audienz beim Baron, die man natürlich so einfach nicht bekommt. Nebenbei muss Diego gerettet werden und auch so mancher Bewohner der Stadt offeriert eine nette Belohnung für die Lösung seiner Problemchen.
In Stewark und dessen weitläufigen Umland spielt Arcania erstmals seine Stärken aus. Grafisch sind Stadt und Umgebung sehr gelungen, und die dazugehörigen Quests und Geschichten sind prinzipiell, was man sich eben von einem Gothic erwartet. Besonders interessant ist meiner Ansicht nach die Neudeutung der Götter von einem Kuriositätenhändler und Gelehrten. Sind die himmlischen Verfüger der Spielwelt in Gothic 1-3 noch relativ deutlich in Gut und Böse getrennt, versucht man in Arcania offenbar ein verworrenes Bild zu zeichnen. Ich bin gespannt, inwieweit dies noch Einfluss auf den Fortlauf des Spiels nehmen wird.
…und neue Schwächen
Nach dem das Spiel von mir jetzt auch mal – verdienterweise – gelobt wurde, muss ich dann doch wieder nörgeln- Zum Einen ist die schreiberische Qualität mancher Dialoge mehr als bedenklich – so fragt ein Händler, der mich das erste mal gesehen hat, einfach ob ich nicht sein Lehrling sein möchte. In diesen Momenten wirkt das Setting wieder halbgar und rüttelt an der einsetzenden Atmosphäre. Zum Anderen – und dafür sollte man Spellbound durch das Dorf watschen – hat der Schritt Richtung Mainstream-RPG diverse Rollenspielelemente gekillt. Davon einige, die bisher wichtiger Bestandteil des Spielgefühls waren.
Steigt man im Level auf, erspart man sich nun die Suche nach einem Lehrer. Das Aufsuchen eines Mentors und auch das Auftreiben einer entsprechenden Lehrgebühr war natürlich mühselig. Doch verlieh es dem Spiel diesen gewissen Touch, der die Welt eine spur glaubwürdiger machte. Das Geklicke auf Plus- und Minuszeichen in einem äusserst simplen Fertigkeitenbaum (der seinen Namen nicht verdient) ist dagegen ein Abtörner. Andere RPGs hätte ich dafür freilich weniger gegeisselt, aber wenn man sich schon an ein neues Gothic macht…
Kurz gesagt: Spellbound hätte besser am „Tutorensystem“ herumgefeilt, anstatt es durch 08/15-Auflevelei zu ersetzen. Der Simplizität zum Opfer gefallen sind so nämlich nicht nur Kampf- und Magieskills. Statt erstmal den Umgang mit einer Spitzhacke zu lernen, kann man von Anfang an in jedem Stollen fröhlich herumschürfen. Schmieden hingegen scheint überhaupt nicht mehr möglich zu sein. In Betten kann man sich zwar hineinlegen, Schlafen – zur Zeitüberbrückung und Regeneration – ist aber nicht möglich.
Die Freiheit, die ich meine
Neueinsteiger mögen all das vielleicht auch nicht vermissen. Für Gothic-Veteranen, zu denen ich mich zähle, sind derlei Umbauten aber sowas wie Freiheitsberaubung.
Generell lenkt Arcania den Spieler in viel starrere Bahnen. Unliebsame NPCs konnte ich vormals einfach verprügeln, mit allen Vorteilen, Nachteilen und Konsequenzen. Mitten im Ort eine Waffe zu lange gezogen zu halten oder gar eine Stadtwache anzugreifen hatte die Konfrontation mit deren Amtskollegen zu Folge. Ebenso wie einen schlechten Ruf, den es wieder auszubügeln galt.
Im vierten Teil von Gothic darf nur Dresche kriegen, wer vom Spiel dafür vorgesehen ist. In pöbelnde Stadtbewohner und andere Nervensägen kann man zwar Pfeile stecken (siehe Bild), eine Reaktion ruft dies aber nicht hervor. Draufhauen nutzt ebenfalsl nichts, denn man knüppelt einfach durch sie durch.
Summa summarum ergibt sich so eine grafisch schöne Welt, der es an einigen, wichtigen Ecken aber an Leben mangelt. Das Abenteuer gibt sich offener, als es ist. Und ich fürchte, das sind Verfehlungen, die im Laufe des Spiels nicht ausgebügelt werden können, weil sie immanenter Teil des selbigen sind.
Möglicherweise tun sich dafür neue Stärken auf, die ich noch zu finden hoffe.