50 Stunden in Xenoblade Chronicles X: Warum die Größe doch zählt

Als der Zähler die 50 Stunden überschreitet, steht meine Party gerade in der weiten Wüstenlandschaft von Oblivia, einem Teil des Planeten Mira. Vor meinem Avatar befindet sich ein gewaltiges Saurier/Laufvogel-Mischwesen. Komme ich ihm zu nahe, greift es an, aber im Moment bin ich noch außerhalb seiner Sichtweite. Nun habe ich die Wahl – umgehe ich das Riesenviech? Versuche ich mein Glück im Kampf? Oder steige ich in meinen Mech und brate dem Monster eins mit der Laserkeule über? Vom gesamten Planeten Mira habe ich laut Übersichtskarte zu diesem Zeitpunkt übrigens ganze 29,9 Prozent erforscht. Xenoblade Chronicles X ist also offenbar das, worauf Rollenspielfans auf der Wii U sehr, sehr lange gewartet haben – Futter für wochenlange Erkundungstouren. Aber der Reihe nach.

In Sachen Geschichte gewinnt Xenoblade Chronicles X keinen Originalitätspreis. Der Nachfolger von Xenoblade Chronicles (Wii) hat mit seinem Vorgänger storytechnisch nichts gemeinsam, Kenner des ersten Teils werden aber dennoch schnell vertraute Elemente entdecken. Nach einer gewaltigen Schlacht zwischen zwei verfeindeten Alienvölkern hat es ein kleiner Teil der Menschheit geschafft, von der zerstörten Erde zu fliehen und neuen Lebensraum zu suchen. Mehr oder weniger freiwillig landen die entkommenen Menschen auf dem Planeten Mira, und der hat es in sich. An dieser Stelle möchte ich nicht mehr verraten, denn der eine oder andere Plot-Twist kommt schon noch vor, aber ansonsten bietet Xenoblade Chronicles X gehobene Standardkost in Sachen Erzählkunst. Der eigentliche Star des Spiels ist nämlich Mira selbst.

Aufgeteilt in fünf Kontinente bietet die Flora und Fauna des Planeten so ziemlich alles, was man sich vorstellen kann, und noch ein bisschen mehr. Von winzigen Käfern bis hin zu haushohen Pavianverschnitten begegnet einem nach dem erstmaligen Verlassen der zentralen Stadt gleich mal in den ersten zehn Minuten ein schöner Querschnitt. Und hier passieren auch die ersten Wow-Erlebnisse – wer nicht den Mund aufreißen muss, wenn einem an einem glasklaren See mit üppiger Vegetation rundherum ein knapp wolkenkratzerhoher Brontosaurier über den Weg läuft, dem ist wohl nicht mehr zu helfen.

Von Dschungel über Wüste bis hin zu lavadurchzogener Kraterlandschaft – auf Mira ist viel zu finden, und es sieht für Wii U-Verhältnisse großartig aus. Klar, in Sachen Texturen z.B. kann Xenoblade Chronicles X nicht mit den ganz großen Namen wie The Witcher 3 mithalten, und auch die Animationen (vor allem zu sehen an den Gesichtern der Charaktere) wirken, als hätten sie ein paar Jahre auf dem Buckel. Aber das macht die Landschaft mit der Atmosphäre mehr als wett. Die Dschungellandschaft Noctilum verwandelt sich in der Nacht in ein sternenbeschienenes Paradies, in der Wüstenregion Oblivia bekomme ich als Spieler schon vom Hinsehen Durst, so echt wirkt die dargestellte Hitze, und die Kraterlandschaft Cauldros ist genauso lebensfeindlich und bedrohlich, wie sie auf den ersten Blick scheint.

Primordia ist das erste Gebiet, das ihr mit eurer Party erkundigt.
Primordia ist das erste Gebiet, das ihr mit eurer Party erkundet .(Wallpaper)

Xenoblade Chronicles X macht es einem gerade zu Beginn nicht unbedingt leicht, es zu mögen. Ich glaube selbst kaum, was ich hier schreibe – aber das ist das erste Nintendo-exklusive Spiel, bei dem ich mir wünsche, es würde mich mehr an die Hand nehmen und nicht weniger. Sämtliche Buttons am Gamepad sind belegt, teilweise doppelt, dazu kommt noch die Übersichtskarte am Touchscreen, die ebenfalls auf Eingaben reagiert. Zu allem Überfluss sind die Texte am Bildschirm winzig dargestellt, was aber schlicht und einfach an der großen Menge liegt, die jederzeit eingeblendet sein muss. Die ersten Kämpfe verwandeln sich so in ein unübersichtliches Chaos, nur langsam und mit Hilfe der umfangreichen Bedienungsanleitung bekommt man langsam ein Gefühl, wie der Gegner am besten anzugehen ist. Dazu kommen noch unzählige Statuswerte, Klassen, Ausrüstung und ganze 17 mögliche Partygefährten, die es zu rekrutieren gibt – vom Multiplayermodus mal ganz abgesehen, denn auch in Sachen Onlinefunktionen bietet Xenoblade Chronicles X so einiges.

Stellenweise fühlt es sich dann auch an wie ein MMORPG – wer will, begegnet anderen Spielern und tut sich mit ihnen zusammen, das Spiel lässt sich aber auch komplett offline und alleine bestreiten, je nach Geschmack. Ein weiterer Punkt, der an World of Warcraft und Co erinnert, sind die Quests – abseits der Hauptstory wartet vor allem Standardkost, die sich hauptsächlich auf „Sammle 10 X“ oder „Töte X böse Tiere“ beschränkt. Als direkte Folge lebt Xenoblade Chronicles X vor allem vom Jäger- und Sammlertrieb, aber wer damit kein Problem hat, der bekommt eines der besten Spielerlebnisse in diesem Punkt der letzten Jahre geboten. Bis jedes Fitzelchen von Mira erkundet, jedes Monster katalogisiert und der Avatar in jeder Klasse das Maximum erreicht hat, können ohne zu übertreiben hunderte Spielstunden vergehen.

So schön kann Natur sein - Nacht im Gebiet Noctilum.
So schön kann Natur sein – Nacht im Gebiet Noctilum. (Wallpaper)

Ein Element möchte ich noch extra erwähnen: Nach schätzungsweise 25-40 Spielstunden, je nach Spielweise, verwandelt sich Xenoblade Chronicles X in eine komplett andere Erfahrung. Denn dann kann sich die Party endlich in die riesigen Mechs, genannt „Skells“ schwingen, und diese verändern das Erlebnis von Grund auf. Wo man vorher den Planeten mühsam zu Fuß erkundet hat, läuft (oder später sogar fliegt!) man ab diesem Zeitpunkt mit seinem Skell durch die Gegend. Vormals unbesiegbare Riesengegner sind so plötzlich zu knacken, vormals unerreichbare Gebiete lassen sich fliegend erschließen. Wahrscheinlich, um die Balance nicht völlig zu zerstören, haben die Entwickler den Skells einen Treibstoffvorrat verpasst, der laufend weniger wird. Und zu leicht wird Xenoblade Chronicles X auch an Bord eines meterhohen Kampfanzugs nicht.

Zusammengefasst bietet Xenoblade Chronicles X nicht ganz das, was sich Wii U-Besitzer erhofft haben. Diverse Schwächen wie die maue Story, die teils angestaubte Grafik oder das einfallslose Questsystem verhindern, dass der Titel in die Rollenspielgeschichte eingeht. Die Grundlagen wären aber da, denn sogar mit diesen Mankos bietet Xenoblade Chronicles X Spielefutter für dutzende, wenn nicht sogar hunderte Stunden – vorausgesetzt, man bringt Entdeckungsfreude und Sammelwut mit. Dann bietet sich einem eine der beeindruckendsten Spielwelten, die es in letzter Zeit auf eine Konsole geschafft haben. In Anbetracht der so gut wie nicht vorhandenen Konkurrenz auf der Wii U ist Xenoblade Chronicles X also ein Pflichtkauf für BesitzerInnen der Konsole. Erwähnt sollte auf alle Fälle noch werden, dass Xenoblade Chronicles X ein JPRG ist, wie es im Buche steht. Wer mit Charakteren mit großen Kulleraugen und Schuluniformen oder kleinen runden Plüschwesen prinzipiell nichts anfangen kann, wird sich schwer tun.

Das Monster, das ich zu Beginn des Berichts erwähnt habe, musste übrigens daran glauben. Meine Party hat sich in ihre Skells geschwungen und es nach einem zähen Kampf zu Boden gerungen. Ich konnte nicht widerstehen – denn wie oft sieht man als Spieler schon, wie sein Charakter in einem Mech mit einer riesigen Energiesense ausholt und diese einem drei Meter hohen Sauriervogel über den Kopf zieht?

Danke an Martin Hammerl für diese Rezension zu Xenoblade Chronicles X. Das Spiel ist hier für Wii U erhältlich (Partnerlink).

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