Xbox 360, den Spielemarkt und Adventures.

Von dem Start der Xbox 360, Innovationen bei Spielen, das Potential von Xbox Live Arcade, Nintendos Revolution und warum Spieler heute nicht mehr über Wortspiele sondern über Headshots lachen.

Hallo Boris! Ich habe in der Zeit ein sehr interessantes Zitat von dir gelesen: "Die Einführung einer neuen Konsole ist der falsche Moment für Innovationen bei der Software." Ist es nicht eigentlich genau andersrum? Dass gerade die Hardcore-Spieler nicht immer das Gleiche sehen wollen?

Wenn dem so wäre, würden sich ja die innovativen Titel auch gut verkaufen. Tun sie aber leider nicht. Ein gutes Beispiel ist Katamari Damacy – auch als schon Millionen von Playstation 2 verkauft waren und alle Kritiker dieses innovative Spiel liebten, hat’s halt kein Kunde gekauft. Oder Eyetoy: Wäre das zum Launch der Playstation 2 gekommen, wäre es gnadenlos gefloppt. Wenn man mit Innovationen nur meint "Neue Features für bewährte Spielprinzipien" – das ist natürlich wichtig. Aber neue Spielprinzipien sind ein großes
Risiko und auf einer neuen Konsole einfach nicht darstellbar – und so war mein Zitat im Zusammenhang gemeint.

Ihr hattet bei der Xbox das Problem, nicht besonders viele Exklusivtitel zu haben. Es gab ‚Halo‘, ‚Project Gotham Racing‘ und ‚Jade Empire‘, aber nicht viel mehr, dass nicht auch für andere Plattformen erschienen wäre. Ist das etwas, das ihr auf der Xbox 360 ändern wollt? Wenn ja, wie?

Exklusiv-Titel sind eine feine Sache, aber manchmal eben auch unmöglich. Ein gutes Beispiel sind Sportspiele. Die Lizenzen für FIFA, NHL, NFL, NBA und so weiter sind so teuer, daß es sich nicht rechnet, ein Spiel Plattform-exklusiv zu machen. Ich glaube, statt reiner Exklusivität ist es vielleicht sinnvoll, einfach die beste Version zu liefern: Bessere Technik, einfachere Online-Features, und so weiter. Da ist Xbox 360 auf einem ziemlich guten Weg. Und die Titel von Microsoft bleiben logischerweise Xbox-exklusiv. Ziel ist es einfach, den Entwicklern die bestmögliche Plattform zu geben. Dann schreiben sie automatisch die besten oder gar exklusive Versionen für 360. Sich Exklusivität mit Geld an den Publisher zu erkaufen, wie es bei manchen Titeln gemunkelt wird, halte ich für eine dumme Idee.

Inzwischen sind ja erste Verkaufszahlen bzw. Chartplatzierungen für die Xbox 360 und ihre Spiele veröffentlicht worden. Auffällig ist dabei vor allem das Abschneiden in Japan: Wie erklärst du dir den miserablen Start?

Soll nicht patzig klingen, aber ich kenne den japanischen Markt nicht und ich verstehe die japanischen Spieler nicht, daher erlaube ich mir keine Analyse. Das Team in Japan wird analysieren, wie und warum sich die Konsole dort gut verkaufen läßt. Die Japaner reden mir auch nicht in die deutschen
Zahlen.

Auch in den anderen Territorien verlief nicht alles so, wie gewünscht: Warum verkauft sich zum Beispiel ein Exklusivtitel wie ‚Project Gotham Racing 3‘ in den USA deutlich schlechter als ein ‚Need for Speed: Most Wanted‘, das nun für wirklich jede Konsole und noch dazu den PC erschienen ist?

Gleiche Antwort: Ich kenn den amerikanischen Markt nicht. Need for Speed ist aber einfach eine tolle Franchise und das Spiel ist halt in 10 Sekunden vermittelbar: Illegale Straßenrennen und hau vor der Polizei ab. PGR3 ist abgehobener – es dauert deutlich länger um Dinge wie Kudos zu erklären. Um zu Frage Eins zurückzukommen: PGR3 ist da vielleicht das innovativere Spiel…

Reden wir noch ein bisschen über die neue Konsolengeneration im Allgemeinen. Epics Mark Rein hat vor kurzem sinngemäß gesagt, nur die Grafik werde bei
der neuen Konsolen zählen. Reicht es wirklich aus, im Prinzip die gleichen Spiele wie vor ein paar Jahren nur mit besserer Grafik zu machen?

Nein, natürlich nicht. Nur wenn man die gleichen Kunden wie mit der letzten Konsole ansprechen will. Wir wollen aber, daß noch mehr Leute Videospiele spielen. Das geht nicht nur mit Grafik – dazu braucht es andere Spieletypen, andere Inhalte, andere Vermarktungsformen. Mark Rein kommt vielleicht zu sehr
aus der PC-Welt – da geht es ja im Augenblick in der Regel immer nur um technische Verbesserungen der drei großen Spieltypen: Ego-Shooter, RTS und, äh, Ego-Shooter. Es gibt einen Punkt, auf den ich zurückkommen muß: Im ersten Jahr einer Konsole, da braucht man die Technikkracher, um Spieler der noch aktuellen Generation zum Umstieg zu bewegen. Ab Jahr Zwei oder Drei braucht man auch die innovativen neuen Sachen um neue Kunden reinzuholen. Gears of War ist in dem Sinne ein sehr guter Jahr-Eins-Titel.

Wenn man sich derzeit in Foren umschaut, dann sind es vor allem Spiele wie ‚Geometry Wars‘ oder ‚Wik: Fable of Souls‘, welche die Spieler begeistern – Xbox Live Arcade scheint dafür eine wirklich gute Plattform zu sein. Siehst du langfristig die Chance auf guten Nachschub? Nicht zuletzt für die Indie-Szene könnte Xbox Live Arcade ja ein hervorragender Einstieg ins Geschäft sein.

Genau das ist ja der Plan. Schön, daß er aufgeht. Es war natürlich ein Risiko, ob man mit den "kleinen" Spielen nicht doch das Launchpublikum abschreckt. Deswegen sind nicht auch schlagartig hundert Spiele im System. Jetzt, wo das Konzept tatsächlich funktioniert, wird in den nächsten Monaten verstärkt Nachschub für Live Arcade anrollen – über zwanzig Publisher wollen Titel da rein stellen, von Emulation alter Arcade-Automaten bis hin zu feinen,
kleinen Projekten, die sonst nie einen Weg in die Regale finden würden. Im Prinzip ist Live Arcade ja nichts anderes als Shareware für die Konsole: Demo umsonst, Vollversion zum fairen, kleinen Preis. Dieses Geschäftsmodell ist auf dem PC irgendwann abgestorben, weil id Software zum rein kommerziellen Laden wurde und zu viele andere Anbieter sich um den Kuchen drängelten. Um so einen Zusammenbruch zu verhindern, muß man glaube ich die Zahl der Spiele auf Live Arcade auch begrenzen. Wenn im Menü tausend Titel zu Auswahl stehen, werden neunhundert davon wahrscheinlich nie einen Kunden sehen.

Microsoft und Sony gehen ja recht ähnlich an die neue Konsolengeneration heran, während Nintendo mit der Revolution einen ganz anderen Weg einschlägt. Und zumindest bei dem DS scheint der Verzicht auf High-End-Grafik zu Gunsten von spielerischen Innovationen zu funktionieren. Ist die Rev eine "Gefahr" für die Xbox 360?

Alles, was die Branche bereichert, ist doch keine Gefahr. Wenn Nintendo es schafft, mehr Menschen für Videospiele zu begeistern: um so besser. Dann gewinnen am Ende alle Marktteilnehmer. Revolution wird umgekehrt weder Playstation noch Xbox aus dem Geschäft drängen, eben weil es bestimmte Sachen nicht
kann, die viele Spieler haben wollen. Ich bin gespannt darauf, wie das Revolution-Konzept sich in der Praxis bewährt.

Sprechen wir noch ein bisschen über dich: Du bist jetzt seit rund 20 Jahren in der Spielebranche tätig. Verliert man da nicht irgendwann die Lust an Spielen? Gerade nach einer so langen Zeit könnte ich mir vorstellen, dass es einfach langweilig wird, zum x-ten mal ein gewöhnliches Rennspiel zu spielen.

Ich hatte so eine Phase Ende 1996, als ich bei PC Player ausgestiegen und zu Microsoft gegangen bin, um dort irgendwann mal bei Office 2008 zu ergrauen. Ist ja "dank" Xbox nix draus geworden. Ich gebe zu, daß mich der PC Spielemarkt ein wenig nervt. Dort ist es eine reine Technikhatz geworden, bei der meistens der Spieler auf der Strecke bleibt. Ich bin zum Beispiel reiner Notebook-Besitzer (Vorsicht, Werbung: natürlich ein Tablet PC), kann nur alle
zwei bis drei Jahre die Geräte upgraden. Da macht es keinen Spaß, sich brandaktuelle Spiele zu kaufen. Spiele, insbesondere auf Konsolen, begeistern mich aber schon wieder. PGR3 ist nicht das x-te Rennspiel, es ist alleine wegen der Optik ein echtes
Erlebnis für mich. Es ist im Augenblick eher frustrierend, daß ich wegen Job und Familie so selten zum echten Spielen komme. Dementsprechend lausig ist mein Gamerscore auf Xbox Live. Letztes Jahr habe ich nicht zuletzt wegen vieler Geschäftsreisen wahrscheinlich mehr am Nintendo DS als an Xbox und Xbox 360
zusammen gespielt.

Womit dich die meisten Spieler in Verbindung bringen, ist die Übersetzung der LucasArts-Adventures. Seitdem hat sich der Spielemarkt ziemlich verändert. Wie erklärst du dir, dass Adventures heutzutage kaum noch gefragt sind?

Anfang der achtziger Jahre, ohne 3D und die Rechnerleistung dahinter, war Action halt mit Sprite-Shootern ein sehr begrenztes Gebiet. Es war die Blütezeit der Adventures, weil das grafisch beeindruckende Spiele waren. Die Computer sind jetzt hundertmal schneller, aber was nutzt das dem Adventure-Spieler? Monkey Island war damals die einzige Möglichkeit, einen hübschen Dschungel auf den Bildschirm zu bekommen. Heute rendert Far Cry eine
komplette, interaktive Dschungel-Landschaft. Umgekehrt ist die Technik aber immer noch nicht so weit, synthetische Schauspieler auf den Schirm zu bekommen.

Man stelle sich mal vor, in sagen wir zehn Jahren, wenn in Spiele synthetische Personen integriert werden können, mit denen man ungeskriptete Dialoge führen kann. So wie damals in den Textadventures. Schwupps, schon kann ich beispielsweise ein tolles Krimi-Adventure machen, bei dem Zeugen befragt werden müssen. Und das können auch "normale" Menschen spielen. So was wär ein Durchbruch. Die Technik heute bevorzugt nun mal die schnelle Action, bei der Plastikmenschen und rein geskriptete Ereignissketten nicht unbedingt stören.

Ich habe mich vor kurzem mit Steve Ince (ehemals Revolution Software) unterhalten, der sagte, heutige Spiele ließen den Spaß vermissen und wir müssten
wieder zu Spielen wie ‚Monkey Island‘ zurückkommen. Auf der anderen Seite meint beispielsweise ein Charles Cecil, heute würde niemand mehr 40 Euro für ein
humorvolles Spiel ausgeben. Werden lustige Spiele nicht mehr verlangt?

Es ist ja nicht so, daß die Spieler nicht mehr lachen. Sie lachen nur nicht mehr über Wortspiele, sondern über Headshots. OK, das war gemein. Aber ein guter Teil des Spielspaßes ist von den reinen Single-Player-Erlebnissen des Adventures in die Welt des "Social Gamings", des Miteinander-Spielens, abgewandert. Wenn man es datieren will, würde ich sagen, mit dem Release von "Doom" hat sich das Kundenempfinden gewandelt. Multiplayer, egal ob offline
oder online, bestimmt das Spielgeschehen. Und in Gemeinschaft amüsiert man sich nicht über die Witze auf dem Bildschirm, sondern über die Leistung der anderen Spieler. Ein zweiter Aspekt ist sicher, daß Action und Humor sich nicht gut miteinander vertragen, höchstens im Kino, weil man da nicht lenken muß.
Ein Halo, bei dem man laufend lachen muß, funktioniert von der Spielmechanik her nicht. Lachen bedeutet willentlich die Kontrolle aufzugeben und sei es auch nur für eine Sekunde. Das paßt nicht zu Actionspielen. Aber ich bin sicher, der Humor kommt wieder, sobald es vermehrt Spiele gibt, bei denen die
Interaktion runtergefahren wird.

Zu guter Letzt: Du betreibst seit einer Weile ein Blog, <a href="http://www.dreisechzig.net/wp" target="_blank" class="gross">www.dreisechzig.net</a>, und hast mehrfach betont, dass Microsoft damit nichts zu tun hat. Auf
der anderen Seite warst du aber vor dem Launch die Anlaufstelle Nummer eins, wenn man Neues über die Xbox 360 suchte. Siehst du dein Blog als Informationsquelle, als versteckte Form der PR – oder wirklich einfach nur als eine Art Tagebuch?

Es ist mein Blick auf die Medienwelt, Bücher, Filme und Musik. Es ist manchmal auch ein Blick auf die Spielewelt, aber in der Regel halte ich mich sehr zurück, denn fast alle Firmen oder Produkte, über die ich was Böses schreiben könnte, sind auf der anderen Seite meine Geschäftspartner, mit denen ich am nächsten Tag über Releases auf Xbox 360 reden muß. Und es ist mein Ventil dafür, all die Emails mit technischen Fragen, die ich kriege (meine Email-Adresse ist ja kein Geheimnis) vorrausschauend zu beantworten. Meine Kollegen und insbesondere meine Chefs sind manchmal auch irritiert, was sich auf
dreisechzig.net so alles findet. Aber auch als reines Tagebuch betrachtet: Ich verbringe nun mal bis zu sechzig Stunden die Woche mit Xbox, das muß sich zwangsläufig auch dort niederschlagen. Ich bin überzeugt vom Produkt 360, daher mag der eine oder andere meine Privatmeinung als PR interpretieren. Die
Alternative wäre aber doch nur, den Mund zu halten, und dazu war ich zu lange Redakteur, um nicht doch gelesen werden zu wollen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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