Warren Spector: „Ich habe nichts gegen Sequels und Lizenzen“

Warren Spector ist beinahe jedem PC-Spieler ein Begriff, gehen doch Klassiker wie ‚System Shock‘, ‚Deus Ex‘ und ‚Ultima Underworld‘ zumindest zu großen Teilen auf seine Kappe. Nach dem Ende von Ion Storm und Spectors Abschied von Eidos ist es jedoch still um einen der wenigen verbliebenen Stars unter den Entwicklern geworden. Zeit, das zu ändern: Wir sprachen mit Spector über seine Eindrücke von der E3, die vor anderthalb Jahren gegründeten Junction Point Studios und Pläne für die Zukunft.

Hallo Warren, vielen Dank für deine Zeit. Lass uns anfangen mit: Warst du dieses Jahr auf der E3?

Ja, ich war da. Ich habe noch keine E3 verpasst.

Was waren deine Eindrücke? Gibt es Spiele, auf die du dich besonders freust?

Mein erster Eindruck war, dass alle in Sachen Grafik besser werden und es immer schwieriger wird, herauszufinden, welche Spiele überhaupt ein bisschen spielenswert sind. Mein zweiter Eindruck war: „Wow, unsere Animationen sind jetzt im Vergleich zu unseren Welten so schlecht.“ Wir MÜSSEN daran arbeiten.

Zu den Spielen, auf die ich mich besonders freue, zählt Assassin’s Creed, das für mich eigentlich das Spiel der Messe war. Tolle Charaktere, tolle Animationen, tolles Setting, und – basierend auf dem, was ich gesehen habe – zumindest die Chance auf ein wenig gutes Gameplay. Mass Effect und Mercenaries 2 von Bioware/Pandemic sahen cool aus. Das erste vor allem wegen seiner Charaktere, das zweite wegen seines offenen Gameplays. Spore beeindruckt mich auch weiterhin. Außerdem cool auf der E3 war Wii: Wenn Entwickler wirklich Spiele entwickeln, um den Controller auszunutzen, wird es rocken. Wenn sie aber nur versuchen, der Konsole altes Gameplay unterzuschieben, wird der Controller ein Problem sein. Also lass uns hoffen, dass die Entwickler es verstehen.

Überraschenderweise schien es dieses Jahr weniger Sequels zu geben – sogar EA versucht, neue Franchises zu erschaffen. Glaubst du, das ist ein Trend, der anhalten wird?

Ich hoffe, dass dieser Trend anhält! Ich habe nichts gegen Sequels und Lizenzen, aber, Mann, wir müssen Neues ausprobieren. Und ich stimme zu, dass es auf der E3 so wirkte, als würde die Leute beginnen, sich etwas zu trauen. Plattformwechsel resultieren oft darin, dass eine Reihe neuer Franchises veröffentlicht werden, und die derzeitige Wechselperiode scheint keine Ausnahme zu sein.

Wie auch auf der E3 zu sehen war, gibt es zwei sehr unterschiedliche Herangehensweisen an „Next-Gen-Gaming“: Microsofts und Sonys ist im Prinzip „Bessere Grafik bedeutet bessere Spiele“, während Nintendo an „Andere Steuerung bedeutet bessere Spiele“ glaubt. Welche ist richtig?

Keine der beiden ist „richtig“. Alles was zählt, sind die Inhalte. Die Plattform(en) mit dem besten Content – dem coolsten Gameplay, den besten Charakteren und Storys – wird gewinnen. Grafik ODER Interface überzubetonen wäre ein schwerwiegender Fehler.

Frag irgendwen in der Spieleindustrie, was der große Plan für die Zukunft ist, und beinahe jeder wird dir antworten: „Wir müssen den Casual Gamer erreichen.“ Stimmst du dem zu?

Eigentlich nicht. Ich glaube, wir müssen unsere Bandbreite an Inhalten erweitern, weil sich unser Publikum verändert. „Casual Gamer“ anzusprechen ist ein Teil davon. Aber genauso wichtig ist unser Bedürfnis, die „Hardcore Gamer“ (wie mich, um ehrlich zu sein) zu erreichen, die gelangweilt sind von Achterbahnen, Ballerorgien und Neuauflagen von Spielen, die ich seit zehn Jahren spiele.

Ist es möglich, Spiele zu entwickeln, die sowohl Hardcore als auch Casual Gamer ansprechen? Oder enden diese Versuche immer als Enttäuschung für eine oder sogar beide Gruppen?

Ich glaube, der Schlüssel ist es, ein Spiel zu machen, das ehrlich zu sich selbst ist – innerlich stimmig sowie sicher, was es ist und auf wen es abzielt. Zu versuchen, jedem zu gefallen, scheint ein sicherer Weg zu sein, niemandem zu gefallen. Ich glaube daran, Spiele zu machen, die du selbst spielen willst. Und dann darauf zu hoffen, dass es da draußen genug Leute wie dich gibt, die dich in deinem Bestreben unterstützen.

Braucht die Spieleindustrie vielleicht mehr „Stars“? Ich meine, wenn du nach Hollywood schaust (wie es viele in der Spieleindustrie tun), dann sagen die Leute da nicht: „Oh, guck, ein neuer Film von Dreamworks“, sondern „Cool, ein neuer Film von Steven Spielberg.“

Die Spieleindustrie benötigt Möglichkeiten für potentielle Spieler, herauszufinden, ob sie dein Spiel an Stelle der tausend anderen spielen wollen, die jedes Jahr herauskommen. Das können entweder respektierte Rezensenten sein, deren Arbeit konsequent genug ist, dass die Leser anhand eines Reviews einschätzen können, ob ihnen ein Spiel gefällt. Das kann eine Lizenz sein. Das kann ein Star-Entwickler sein, ein Synchronsprecher oder was auch immer. Spiele sind üblicherweise nicht mehr lange genug in den Ladenregalen, um über Mundpropaganda genug potentielle Spieler zu erreichen. Man braucht etwas, um Aufmerksamkeit zu erregen. Was das ist, ist egal. Berühmtheit ist nur ein Mittel zum Zweck.

Lass uns ein bisschen über deine Junction Point Studios reden. Das Unternehmen wurde vor ungefähr anderthalb Jahren gegründet, aber bisher ist es recht ruhig gewesen. Was habt ihr gemacht?

Bei JPS arbeiten derzeit ungefähr 20 Leute. Wir hatten angefangen, an einem ziemlich epischen Spiel mit einem hilfreichen Publisher zu arbeiten, aber ohne unsere eigene Schuld ist der Vertrag nach rund neun Monaten Arbeit geplatzt. Seitdem haben wir an etwas mit Valve gearbeitet (kann darüber nicht viel sagen), Konzepte für jemanden entwickelt (kann darüber leider überhaupt nichts sagen) und ein paar neue Spielideen entworfen. Wir sind reichlich beschäftigt.

Was genau ist dein Job bei JPS?

Ich frage mich selbst oft, was genau mein Job ist! Ich bin in all die kreativen Aspekte von Konzeptentwicklung und -planung involviert. Ich bewerte und nehme all die Implementationsarbeiten ab (auch wenn ich nichts davon mehr selbst mache). Ich verbringe derzeit viel Zeit mit dem Studiomanagement und Vertragsabschlüssen, was aber hoffentlich bald aufhört.

Wie schwierig ist es geworden, als unabhängiger Entwickler zu überleben? Zahlreiche renommierte Studios mussten in den letzten Jahren schließen, einst berühmte Designer wie Ron Gilbert reden öffentlich über ihren Frust…

Ein Start-Up zu gründen ist ohne jede Frage eine Achterbahnfahrt, das ist mal sicher! Ich kann aber nichts darüber sagen, ob es mehr oder weniger schwierig ist, als es früher war, weil das mein erster Versuch ist – aber es ist sehr, sehr schwierig. Weil wir nur ein Finanzierungsmodell in der Spielebranche haben – Publisher finanzieren und besitzen alles –, hängt es gewissermaßen von ihrer Gnade ab. Ich sehne mich nach einer Zeit, in der es andere Finanzierungsquellen sowie andere Wege gibt, ein Publikum zu erreichen. Es ist nicht so, dass ich Publisher hasse oder so. Es ist nur so, dass eine Branche mit nur einem Weg Entwicklung zu finanzieren und ein Publikum zu erreichen grundlegend kaputt wirkt.

Siehst du eine Lösung für dieses Problem? Es gibt ja beispielsweise einen kleinen Trend zur Onlinedistribution in Episodenform.

Wenn ich eine Lösung sähe, würde ich mich auf sie stürzen. Ich glaube, es gibt Möglichkeiten für filmähnliche Finanzierung, auch wenn diese Versuche noch in ihren Kinderschuhen stecken. Und ich glaube auf jeden Fall an episodischen Onlinecontent als großen Teil unserer Zukunft. Damit das passiert, braucht es aber einen bereits finanzkräftigen Entwickler oder eine Nicht-Publisher-Quelle zur Finanzierung. Und damit sind wir zurück bei dem Problem des Publisher-Only-Modells…

Mal etwas anderes: Die <a href=“http://www.junctionpoint.com“ target=“_blank“ class=“gross“>JPS-Website</a>> sagt: „Das Ziel des Unternehmens ist es, Geschichten nicht den Spielern zu erzählen, sondern mit ihnen.“ Kannst du näher ins Detail gehen? Was sollten Spiele anders machen, um den Spieler mehr in die Story einzubinden?

Wenn ich viel mehr ins Detail gehe, dann schreibe ich am Ende ein Buch. Lass mich nur das sagen: Der Schlüssel für mich ist es, nicht jeden Schritt der Spielerfahrung vorauszuplanen. Spieler auf Schienen zu stellen, ist verschwendete Zeit für mich, auch wenn es in einer emotional ansprechenden Erfahrung resultiert. Wenn wir Spielern eine Wahl anbieten KÖNNEN und wenn wir Spieler eine Entscheidung treffen lassen können, dann sollten wir das meiner Meinung nach immer tun. Und dann haben wir die Verflichtung, den Spielern die Konsequenzen ihrer Wahlen und Entscheidungen zu zeigen. Das Spiel sollte sich unterschiedlich entfalten – abhängig davon, wie du spielst und wie du Probleme löst. Aber, wie ich schon sagte, ist das Thema ein Buch wert und ich höre besser hier auf.

Die meisten Spiele, die du in der Vergangenheit gemacht hast, drehten sich ja darum, Entscheidungen zu treffen. Ist die Story jetzt also dein nächster Schwerpunkt oder gibt es andere Bereiche, die du besonders verbessern willst?

Nun, gemeinsames Geschichtenerzählen ist mein Ding, aber klar gibt es andere Sachen in Spielen, mit denen ich mich gerne beschäftigen würde. Oder, besser gesagt, es gibt neue Wege, eine Art Zusammenarbeit zu erreichen, die ich für so wichtig halte. Unsere Welten sind enttäuschend unterentwickelt in Bezug auf dynamische, interaktive Möglichkeiten. Wir bauen noch immer das Gegenstück zu Filmsets mit platten Charakteren und flacher Kulisse als Ersatz für echte Menschen und dreidimensionale Umgebungen. Ich würde mich liebend gerne mehr mit interaktiven Welten beschäftigen. Und der Zustand des Schauspiels in Spielen ist erbärmlich. Nicht nur die Sprachausgabe und sowas – unsere Charaktere sind erstaunlich wenig ausdrucksvoll. Wir können das besser hinbekommen. Und auf einer rein funktionellen Ebene sind unsere Menschenanimationen unglaublich traurig…

Um noch einmal zu den Entscheidungen zurückzukommen: Deus Ex ist noch immer das einzige Spiel, das mir einfällt, bei dem man wirklich entscheiden konnte, wie man eine Mission angeht. Warum ist das so?

Ich wünschte, ich wüsste, warum nicht mehr Leute den Spielern DX-ähnliche Entscheidungen anbieten. Es ist ohne Frage schwierig zustande zu bringen. Und so wie sich DX verkauft hat, könnte man auch argumentieren, dass die Spieler einfach mit lineareren Spielen zufrieden sind. Ich schätze, ich muss mich weiter abrackern und hoffen, dass die Welt mir folgt!

Eine Frage noch: Wann können wir eine offizielle Ankündigung von eurem ersten Spiel erwarten?

Dein Tipp wäre so gut wie meiner. Aber ich halte euch auf dem Laufenden!

Cool? Dann erzähl doch anderen davon! Danke! :)