Sherlock Holmes ist für seine Kombinationsgabe und sein hervorragendes logisches Denkvermögen im London des 19. Jahrhunderts berühmt. Diesen beiden Gaben verdankt es Holmes nicht zuletzt, dass die gehobenen Gesellschaft Londons ihn und seinen treue Begleiter Dr. Watson zu Bällen, Feiern und sonstigen Festlichkeiten einlädt. Auch Sir Bromsbies Einladung anlässlich des 18. Geburtstags seiner Tochter Lavinia konnte Holmes nur aufgrund seines exzellenten Rufes erhaschen. Jedoch verläuft der Abend alles andere als feierlich…
Kaum lässt sich Holmes, der von Watsons ständigem Nachfragen sichtlich gelangweilt ist, dazu hinreißen ein paar Schlussfolgerungen bezüglich des den beiden unbekannten Gastgebers zum Besten zu geben, erscheint dieser auch schon auf der Bühne. Jedoch nur, um diese nach ein paar Worten wieder also toter Mann zu verlassen. Holmes Schlussfolgerung, nach der Sir. Bromsby wohl nicht sehr viele Freunde sein Eigen nennt, scheint sich somit zu bestätigen…
Dumm nur, dass unser Meisterdetektiv danach vor einem Haufen unerklärlicher Fragen steht. Um diese zu klären macht ihr euch sodann auf, den guten Doktor durch das Anwesen des Verstorbenen auf der Suche nach Beweisen zu dirigieren. Dabei lässt der Gang Holmes durchaus ein paar Fragen zu seiner sexuellen Orientierung aufkommen. Wirkt dieser doch meisten arg steif und verkrampft. Es kann natürlich auch sein, dass die Lügensuppe, welche ihm der ein oder andere nicht ganz so edle General da versucht aufzutischen, dem Armen einen ordentlichen Stuhlgang verpasst hat, den er nun verzweifelt versucht mangels Zeit zum Besuch eines stillen Örtchens zu unterdrücken.
Nun aber genug des Rätselratens, schließlich haben wir hier einen Mordfall zu klären. Damit Holmes in den zig mit perfekter englischer Stimme gesprochenen Dialogen und den meistens per Lupe oder Klebeband gefundenen Beweisen nicht die Übersicht verliert, steht ihm sein tapferer Kollege Dr. Watson zur Seite. Dieser zeichnet praktischerweise nicht nur jedes Gespräch in seinem Journal auf, sondern stellt manchmal auch die entscheidenden Fragen, die unserem Meisterdetektiv in seinen dunkleren Momenten die Erleuchtung bringen. Meistens geschieht dieses übrigens, ohne das unser leicht tollpatschig wirkender Helfer eine Ahnung davon hat, wie sehr er Holmes geholfen hat.
Hilfe habt ihr am Anfang auch bitter nötig. Zwar findet ihr in Bromsbies authentisch nachgebauten und detailliert gerenderten Gemächern genügend Beweise, um jedem CSI-Detektiv eine zwölfmonatige Dauerlatte zu verpassen, doch habt ihr sonst keinerlei Anhaltspunkte. Da auch die genauere Untersuchung in Holmes kleinem Labor, welches nach heutigen Maßstäben eher einem besseren Chemiebaukasten gleicht, nicht sofort die komplette DNA oder zumindest nur einen Fingerabdruck des Täters liefern, steht ihr des Öfteren wie der Ochs vorm Scheunentor.
Zum Öffnen diese Tores solltet ihr euch sodann möglichst aufmerksam und geduldig im dreckigen London des 19. Jahrhunderts umsehen. Meist zückt Herr Holmes mit freundlicher Unterstützung des guten Dr. Watson die Lupe, um nach Beweisen zu suchen. Im Extremfall hilft manchmal aber nur noch ein gut geplantes Verhör. Sowieso scheint der gute Herr Holmes eine echte Laberbacke zu sein. Faselt er, gemeinsam mit Watson, für ein Adventure doch auffällig viel in der Gegend herum. Wirklich weiter bringen euch dabei leider die wenigsten Gespräche. Anders war dies jedoch in den dutzend Romanvorlagen auch nicht. Warum sollten es dann die Entwickler Frogware euch armseeligen PC-Waschlappen vorm heimischen PC-Bildschirm leichter machen?
Damit ihr nach diesen harten Worten jetzt dennoch einen Kaufgrund für das am 18.11. dieses schönen Jahres in deutscher Sprache erscheinende Adventure habt, bleibt zum Schluss nur noch zu sagen, dass euch mit Sherlock Holmes: Das Geheimnis des silbernen Ohrrings ein Point’n’Click-Adventure der klassischen Machart erwartet. Dieses kann vor allem durch seine vielschichtigen Charaktere, eine hoffentlich gute deutsche Synchronisation – die englische kam der Perfektion schon sehr nahe – und eine spannende und abwechslungsreiche Geschichte begeistern.
Holmes Ausflug ins kalte, düstere London ist nichts für Gelegenheits-Rätsler. Wer nicht die Geduld aufbringen kann, sich durch Watsons akribisch geführt Journal zu kämpfen, nur um nach einem kleinen Hinweis zu suchen, der sollte einen große Bogen um Sherlock Holmes: Das Geheimnis des silbernen Ohrrings
Alle anderen erwartet eine spannende Geschichte im authentischen und mit sehr viel Liebe zum Detail nachgebildeten London kurz vor der Jahrhundertwende vom 19. auf das 20. Jahrhundert. Passend dazu fiel die in unserer Preview noch englische Sprachausgabe sehr passend aus. So wurde jeder Charakter überzeugend gesprochen, sogar die einzelnen Dialekte verschiedener sozialer Schichten wurden berücksichtig. Weniger gut gefielen mir indes die etwas hölzernen Animationen und die hohe Absturzgefahr des Programms bei besonders anspruchsvollen Rätseln.
Letzterer Punkt sollte in der dt. Verkaufsversion hoffentlich ausgemerzt sein, denn sonst dürfte neben Dr. Watson die Quicksave-Taste bald zu eurem besten Freund gehören.
Ersteindruck: gut bis sehr gut