Etwas niedergeschlagen schleiche ich in die Bar und setze mich an die Theke. "Hey, dich kenn ich doch! Bist du nicht der Typ von Freeport 7?". Gut, dass der Barkeeper mich daran erinnert, ich hatte ja schon fast vergessen, dass mir vor wenigen Tagen eine ganze Raumstation um die Ohren geflogen ist. Ich bin einer der wenigen Überlebenden – ich bin Trent. Und was mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz klar ist: die ganze Sache formiert sich zu einer riesigen Sauerei, und schon bald bin ich der letzte lebende Überlebende…
Allzu große Teile der Geschichte sollen nicht verraten werden, nur soviel: Wer Verschwörungen mag wird Freelancer lieben. Von der ersten Sekunde an zieht einen die Story des Weltraumspiels in seinen Bann und lässt dann nicht so schnell wieder los. Was ich nach den ersten Spielstunden nur zu vermuten beginne, bewahrheitet sich schneller als mir lieb ist: die Regierung hat was gegen mich. Ihr wolltet schon immer mal der Staatsfeind Nummer 1 sein? In Freelancer habt ihr die Chance dazu.
Zu Beginn aber sind die Jungs noch auf meiner Seite. In der anfangs angesprochenen Bar heuern wir gleich bei einer leckeren Polizeibeamtin namens Juni an, die uns während der Story tapfer zur Seite steht. Die ersten Aufträge sind schnell erledigt und mein Gelbörserl beginnt sich langsam mit Credits zu füllen. So schnell wie möglich tausche ich mein besseres "Raumruderboot" gegen ein echtes Männerschiff ein und bestücke das sogleich mit einigen Waffensystemen.
Und die benötigt man im Laufe des Spiels auch, denn nur sehr selten geht es friedlich zur Sache. Skrupellose Kopfgeldjäger, gehorsame Polizeipatroullien und haufenweise anderes Gesocks will Trent an den Kragen. Aber nicht nur ihm, beim Flug durch das All findet man immer wieder Gefechte zwischen Mitgliedern der zahlreichen Fraktionen. Auch Warenkonvois und Polizeieskorten lassen die Spielwelt äußerst lebendig erscheinen. Besonders atmosphärisch ist es den Funkverkehr von anderen Schiffe oder Stationen abzuhören, auch wenn sich die etwas zu wenigen Sprachsamples bald wiederholen. Außerdem ist es sehr nützlich von dieser Möglichkeit und dem integrierten Schiffscanner Gebrauch zu machen. Vor allem wenn man als Pirat sein Unwesen treibt …
Zwischen den Storymissionen muss man immer wieder Zufallsaufträge erledigen die im Normalfall auf das Zerlegen einer bestimmten Gruppe von Gegnern hinauslaufen. Auf Dauer werden diese Schießereien etwas eintönig, wirklich störend sind sie aber nicht.
Apropos Ballern: Freelancer ist sicher keine Vollblutsimulation. Das beginnt schon bei der Steuerung, die keinen Joystick sondern die Maus als Werkzeug nutzt, und endet bei den Schiffen. Zwar gibt es zahlreiche Schiffstypen und in Daten wie der Panzerung oder den verfügbaren Waffenslots unterscheiden sich diese durchaus, allein schon die für alle Schiffe gleiche Geschwindigkeit trimmt die Schlachten aber ein wenig in das Actiongenre. Eine Flucht ist oft so gut wie unmöglich. Schade ist auch, dass die Cockpit-Ansichten der Weltraum-Vehikel nicht besonders liebevoll gestaltet worden sind.
Die bereits angesprochene Maussteuerung war seit jeher eines der Features auf welches die Entwickler besonders stolz waren. Was viele lange skeptisch betrachtet haben ist, dass der Joystick komplett außen vor gelassen wird. Trotzdem gibt es in diesem Punkt nichts zu meckern. Freelancer geht locker von der Hand und schon nach wenigen Minuten hat man alles perfekt im Griff. Sowohl Einsteiger als auch fortgeschrittene Zocker dürften ihre Freude mit den zwei verschiedenen Methoden haben. Per Free Look-Modus oder unter Anwendung der Maustaste lässt sich euer Schiff steuern.
Der Einstieg wird euch grundlegend sehr leicht gemacht. Der Schwierigkeitsgrad steigt aber mit der Dauer des Spiels ordentlich an. Im späteren Verlauf hat man es plötzlich mit dutzenden Schiffen und zahlreichen unsympatischen Raketen zu tun. Zum Glück gibt es hilfreiche Ausrüstungsgegenstände für euer Schiff. Mit Raketenablenksystemen hält man sich die feindlichen Geschosse vom Hals, Schildbatterien und Nanobots stehen zur schnellen Reparatur der Schäden zur Verfügung falls es doch einmal zu einem Treffer kommt. Besonders schmerzliche Einschüsse sieht man auch an eurem Schiff. Nach einer ordentlichen Schlacht fehlt schon mal ein Großteil des linken Flügels.
Wenn ihr eine Gruppe von Schiffen angreift beeinflusst ihr damit das Verhalten der gesamten Spielwelt euch gegenüber. Ausschlaggebend dafür ist das Parteiensystem. Die unzähligen verschiedenen Fraktionen mögen sich untereinander oft nicht so besonders. Frei nach dem Motto "Der Feind meiner Feinde ist mein Freund" werden hier Sympathiepunkte vergeben. Die Zufallsmissionen absolviert ihr übrigens im Auftrag dieser Parteien.
Zwischen den Aufträgen dockt man immer wieder auf Planeten, Basen oder großen Schiffen an und sucht dort Bars auf. Neben Gerüchte verbreitenden Barkeepern und neuen Jobs findet man dort auch Personen die einen gegen entsprechendes Bargeld bei einer bestimmten Gruppierung beliebter machen. Natürlich auf Kosten der Sympathiewerte bei anderen Fraktionen.
Auf lange Sicht nicht besonders motivierend aber zwischendurch auch ganz nett ist es, sich einem friedlicheren Dasein hinzugeben und ein wenig zu handeln. Dazu verfrachtet ihr einfach ein paar Waren zu niedriegsten Preisen in euren übergroßen Kofferraum und seht zu wo man das Zeug teuer absetzen kann.
Bei Freelancer begeistert einfach die enorme Vielfalt der Möglichkeiten die einem gegeben werden. Einfach nur herumfliegen und Feinde ins Nirvana zu schicken macht zwischendurch genauso viel Spaß wie eine Mission zu absolvieren, ein wenig zu handeln, euer Schiff aufrüsten oder fremde Transporter zu begleiten bzw. anzugreifen.
Unterstützt wird dieses Spielprinzip von einem gelungenen Sound, einer sehr ordentlichen englischen Sprachausgabe und einer netten grafischen Präsentation. Klar, die lange Entwicklungszeit geht nicht spurlos an dem Spiel vorüber, aber im Grunde ist die Optik zeitgemäß und durchaus hübsch anzusehen. Leider treten in der US-Verkaufsversion diversen Berichten zufolge immer wieder Probleme mit der Soundkompatibilität auf. Mehr als kurze Aussetzer der Effekte haben wir aber über die gesamte Dauer des Tests selbst nicht bemerkt. Nicht klar ist auch, ob das in der deutschen Version (Release: 8. Mai) bereits behoben sein wird.
Wer alles wissenswerte über die Geschehnisse in den Systemen wissen will sollte auch den Newsdienst nicht entgehen lassen. Dort wird man über akutelle Ereignisse auf dem Laufenden gehalten, wenn beispielsweise irgendwelche wichtigen Persönlichkeiten gestorben sind oder eine Station angegriffen wurde. Manchmal hat man auch selber seine Griffel im Spiel.
Äußerst empfehlenswert ist auch der Multiplayermodus. Spielt man immer auf demselben Server, dann werden dort die Daten des Spielers gespeichert und man verbessert seinen Charakter immer weiter. Ein leichter MMORPG-Touch – aber natürlich vollkommen kostenfrei. Einen echten Cooperative-Modus der das Nachspielen der Story erlaubt findet man zwar leider nicht, die Möglichkeiten sind aber auch ohne einen solchen sehr vielfältig und machen über lange Zeit Spaß. Von Beginn an dürfen alle Bereiche betreten werden, wer sich einfach nur einmal das Universum ansehen will kann ja ein Spiel starten.
Ich bin Trent! Ja, ich bin es wirklich! Seit langem habe ich mich in einem Spiel nicht mehr so großartig vergnügt wie in Freelancer. Digital Anvil hat zwar leider gegenüber dem ursprünglichen Konzept vieles geändert, trotzdem bietet das Game alles was das Herz begehrt. Etwas zu kurz kommt nur der Handelspart und kurioserweise der Simulationsanteil. Warum alle Schiffe gleich schnell durch den schicken Weltraum tuckern ist mir ein Rätsel. Das Spiel ist aber trotzdem zu komplex um eine "Verbannung" in das Actiongenre zu rechtfertigen.
Meine Befürchtung: Freelancer ist deswegen vermutlich nicht die erhoffte Rettung des Simulationsgenres. Ganz sicher ist es aber ein enorm grandioses (um nicht "geiles" zu sagen) Spiel das in keiner Sammlung fehlen darf. Dafür gibt es verdientermaßen unseren Award.