Wirtschaftssimulationen haben in der Geschichte deutscher Spieleentwicklung schon immer eine große Rolle gespielt. Sei es nun Die Planer-Serie von Greenwood oder die Bundesliga Manager-Serie von Software 2000. Nur ist es um die Unternehmen dieser erfolgreichen Spiele in letzter Zeit arg ruhig geworden: Software 2000 ist pleite, Greenwood nachdem mittelmäßigen Far West nur noch eine Tochtergesellschaft von Phenomedia, deren weitere Existenz nachdem Börsenskandal um Bilanzfälschungen im Jahr 2002 auch nicht mehr sicher ist. Und auch Ascaron, der einzig verbliebene deutsche Entwickler der Goldenen Ära der Wirtschaftssimulationen, hat nicht erst seit heute Probleme mit seiner Finanzlage. Zuletzt wurden die Fans derer populären Anstoss-Serie durch ein verbuggtes "Anstoss 4" derb enttäuscht, Anstoss 4 Edition 03/04 soll nun wieder alles zum Guten kehren. Auch die Versuche des mittlerweile insolventen Publishers BlackStar, Fuß im Genre zu fassen, scheiterten, da die Produkte oftmals noch nicht mal mittelmäßig waren. Nun versucht sich mit Game Tycoon ein weiterer kleiner deutscher Entwickler dem deutschesten aller Genres wieder auf die Beine zu helfen. Mit unterdurchschnittlichem Erfolg, wie sich zeigen wird.
Am Anfang …
… stand bekanntlich die Idee. So geht es auch bei der Spieleentwicklung los. Bequem wird per Drag & Drop erst eine Engine festgelegt, wahlweise selbst entwickelt oder zugekauft, und dann wird dem Spiel ein Genre zugewiesen und dieses benannt. Danach legt man noch fest, wieviele Mitarbeiter sich mit dem "Baby" beschäftigen sollen, wie viele Tage das Bugfixing dauern wird, für welche Plattformen das Spiel erscheinen soll und in welchen Sprachen es übersetzt wird. Nun geht man mit dem fertigen Projekt in die Entwicklungsabteilung, wo man nun die einzelnen Mitarbeiter dem Projekt zuteilt. Am Anfang reicht es noch aus, wenn man 2 Programmierer, 1 Grafiker und 1 Komponisten für ein Projekt einsetzt. Im späteren Spielverlauf werden die Spiele nicht nur schöner sondern auch komplexer und so benötigt man leicht einen Stab aus 50 Entwicklern, um ein Projekt noch rechtzeitig fertig zu stellen. Dabei sollte man jedoch nie das Abgabedatum des Publishers verpassen, da es sonst hohe Vertragsstrafen zu zahlen gibt.
Um Entwickler für ein Spiel einzustellen, schaut man einfach am schwarzen Brett der Universität vorbei, wo sich fähige Studenten finden, die man entweder fest oder als freien Programmierer anstellt. Wobei letztere jederzeit kündbar sind, aber dafür mehr kosten. Ist das Spiel dann fertig entwickelt, geht’s mit dem mittlerweile erwachsenen Kind ab zur Produktion, wo man dann anfängt das Spiel in einer der Wertung entsprechenden Auflage zu produzieren. Auf die Preisgestaltung hat man übrigens keinen Einfluss, da diese vom Publisher übernommen wird. Je nach Finanzlage kann auch noch Werbung für das aktuelle Erzeugnis gemacht werden. Danach heißt es dann erst einmal abwarten, wie sich das Produkt verkauft, oder man widmet sich anderen Projekten, die sich zusätzlich in der Pipeline befinden. Denn anders als beim direkten Konkurrenten Software Tycoon von BlackStar können auch mehrere Projekte gleichzeitig entwickelt werden, auch wenn sich die Handhabung dadurch etwas erschwert. Sollte sich das fertige Produkt gut genug verkauft haben, kann man dadurch seine weiteren Projekte finanzieren oder man wagt sich an die Umsetzung einer teuren Fimlizenz oder gönnt sich selber etwas für sein Privatleben.
Das war alles?
Zwar mag der Spielablauf auf den ersten Blick recht komplex erscheinen, trotzdem kommt nach drei, vier Stunden Langeweile auf, da sich die Handgriffe quasi nie unterscheiden und man immer dasselbe macht. Auch die vom Endlosspiel spielerisch nicht abweichende Kampagne bietet nur kurzfristig Abwechslung, die die Aufgaben nicht über das übliche "Mache möglichst viel Geld in XX Jahren" oder "Entwickle in XX Jahren ein Spiel mit einer Wertung von mindestens XX Prozent" hinausgehen. Leider braucht auch die Bedienung etwas Einarbeitungszeit, da sich die Symbole nicht selbst per Quicktext-Einblendung erklären und man erst einmal über die Standbilder mit der Maus hinüberklicken muss. Bis man Alles entdeckt hat kann es dann schon einmal eine gute Stunde dauern. Zudem harkt die Maus in manchen Situation derart stark, dass nur ein nochmaliges Starten des Spiels hilft. Von diesen Schwächen abgesehen, ist die Steuerung sonst aber tadellos und geht gut von der Hand. Leider ist das Spiel wirtschaftssimulations-typisch im technischen Bereich kein Hochgenuss: schwach animierte, wenig detaillierte, dafür aber sauber gezeichnete Standbilder mochten zwar anno 1990, also zu Zeiten des seeligen Mad TV, noch als hübsch durchgehen, hauen heute aber keinen mehr vom Hocker. Genau so wenig wie der Sound, der hauptsächlich aus billiger Digimusik besteht, die einem schon nach zehn Minuten auf die Nerven geht.
Das dicke Ende kommt noch!
All diese Mängel sind noch verzeihbar, doch die richtig fetten Klöpse kommen im weiteren Spielverlauf auf einen zu. Zum einen die Statistiken: es ist zwar schön, dass man über die Menge der noch verfügbaren Spiele im Lager informiert wird, auch die Finanzstatistiken sind recht ausführlich. Nur haben diese keinen wirklichen Nutzen, da sie nicht in Echtzeit aktualisiert werden. So kann man zum Beispiel nicht ausrechnen, ob die Menge der produzierten Spiele noch für diesen Monat ausreicht, auch ist es nicht möglich abzuschätzen, ob die liquiden Mittel noch ausreichen, um diesen Monat zu überstehen, oder ob man doch lieber einen Kredit aufnehmen soll, so wird Game Tycoon teilweise zu einem richtigen Glücksspiel. Zum anderen haben die Entwickler nicht daran gedacht, die Zeit im Schnellvorlauf anzuhalten, wenn ein Spiel fertig ist oder ein Mitarbeiter krank wird. Zudem muss man andauernd nachschauen, ob ein Projekt schon in der Bugfixingphase ist und damit das ganze Team wieder frei verfügbar wird. Eine einfache Mitteilung hätte hier gereicht und schon könnte man sein gesamtes Team noch effizienter einsetzten und Urlaub hat dieses, nach Meinung der Entwickler, sowieso nicht verdient. Letzteren hatte die ganze Mannschaft von enjoy Entertainment aber wohl beim Bugfixing und so treten teilweise Abstürze auf oder das Spiel fängt selbst auf Highendrechnern an zu ruckeln. Des Weiteren ist es anscheinend egal, wie sehr man sich mit seinem Projekt abmüht. Selbst die besten Entwickler, die neueste Engine und die längste Bugfixingphase führen teilweise noch zu richtigen Gurken, wie das logisch begründbar sein soll, wird wohl für ewig ein Mysterium bleiben. Frust ist auf jeden Fall schon einmal vorprogrammiert.
Der Gedanke zählt
Es gibt aber dennoch ein paar kleine Lichtblicke: das Privatleben sorgt wenigstens für kurzzeitige Motivation und auch die Comicgrafik erfreut mit so manch einem Gag das Herz des Spieles, was aber nichts an ihrer wahren Qualität ändert. Die Tests der Magazine bauen wenigstens ein kleines bißchen Atmosphäre auf und die Charaktere haben einzelne Vor- und Nachteile, die zwar kaum Auswirkungen haben, aber immerhin ein nettes Gimmick darstellen. Insgesamt wurden allerdings viele gute Ansätze entweder aufgrund der mittelmäßigen Technik oder wegen der schludrigen Umsetzung zu Grund gerichtet, also doch keine Rettung in Sicht.
Was testen wir hier?
Zum Schluss möchten wir noch sagen, dass wir hier die auf Version 1.1 gepatchte Version von Game Tycoon gespielt und auch getestet haben. Bei der ursprünglichen Verkaufsversion tauchen an manchen Stellen Bugs auf, die ein Weiterspielen unmöglich machen. Außerdem ist in der alten Version der Nutzen der Publisher-Verträge noch geringer, da keine neuen zu den bestehenden hinzu kommen und man dadurch gezwungen wird, alte Spiele aus seinem Sortiement zu nehmen auch wenn diese noch gut laufen, nur damit man sein neues Spiel veröffentlichen kann. Auch verschwanden bei Version 1.0 noch komplette Lagerbestände und einige Komfortfunktionen fehlten gänzlich. Leider funktionieren die alten Spielstände mit der Version 1.1 nicht mehr, darum sollte vor dem ersten Spielen geupdatet werden, den rund 6 MB großen Patch kann man <a href="http://www.enjoy-e.de/download.php?filename=GT-Patch1.1.exe" target="_blank">hier</a> herunterladen.
Redaktionsintern kam es dank eines Missverständnisses zu einem kleinen Kampf um dieses Spiels. Allerdings konnte Flint das, was ihn da erwarten würde, wohl besser voraus berechnen als ich und zog sich freimütig zurück. Gut für ihn, schlecht für mich.
Klar, grottenschlecht ist Game Tycoon sicherlich nicht, aber die schludrige Umsetzung an sich recht guter Ideen, wie zum Beispiel die komplette Statistikabteilung, lassen mich doch arg an dem Können der Programmierer zweifeln. Allerdings denke nicht nur ich alleine so, auch im Support-Forum des Herstellers enjoy Entertainment finden sich viele User, die mit der Qualität, besonders dem Bugfixing, nicht einverstanden sind. Selbst der Patch auf die Version 1.1 behebt nicht alle Fehler.
P.S.: Der von ihnen erwähnte Geldcheat funktioniert übrigens nicht, lieber Entwickler… ;)