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GTA San Andreas im Test – Homies for life

Wir schreiben das Jahr 1978. Computer können bereits seit einiger Zeit simple Spiele berechnen, die Reaktionsschnelligkeit von den Benutzern einforden. Kleiner Sprung ins Jahr 2005, genauer gesagt in ein Spiel, das in den frühen 90ern angesiedelt ist und vermutlich zu den größten Hype-Produktionen des Spielebusiness zu zählen ist: GTA: San Andreas. Den Zusammenhang zwischen dem Anfang und dem Ende dieser Einleitung will ich euch in den folgenden Zeilen näherbringen…

Homies, Bitches, Eses…

Im Jahre 1992 im fiktiven Bundesstaat San Andreas. Nach vielen Monden der Abwesenheit kehrt Carl Johnson wegen der Beerdigung seiner Mutter wieder nach Hause zurück. Zurück in seine Straße, zu seinen Homies, die ihn für sein Verschwinden aber hauptsächlich verabscheuen. Schnell gerät „CJ“ in die Klauen von korrupten Polizisten und muss erkennen, dass sich viel verändert hat. Seine Gang hat an Macht verloren, stattdessen beherrschen Drogendealer die Straßen. Er muss sich daran machen, den Respekt seiner Leute und die Straßen von Los Santos zurück zu erobern. Dabei hat die Story von GTA: San Andreas einige Seitenäste spendiert bekommen, welche über die 08/15-Straßengang-Geschichte hinwegtäuschen. So freundet sich CJ zum Beispiel mit einigen Latinos an und muss erkennen, dass die viel gepriesene Loyalität unter Homies in diesen Tagen das Klopapier nicht mehr wert ist, mit dem man sie sich in den Arsch stecken kann.

Ihr stört euch daran, dass ich in diesem Artikel bereits zwei Mal das Wort „Homie“ verwendet habe? Dann braucht ihr eigentlich nicht weiter zu lesen, denn GTA: San Andreas schmeisst vor allem anfangs mit sprachverwursteten Ausdrücken um sich, dass es einem die Latschen auszieht. „Yo Homie!“, „Du musst zu deinen Homies stehn, Homie“, „Bro, du bist jetzt wieder ein Homie“ – Homie, Homie, Homie. Frauen heißen eigentlich grundsätzlich nur Baby oder Bitch. Die Sprachausgabe wurde übrigens nicht übersetzt – Untertitel lesen ist angesagt. Auch wenn ihr gutes Englisch sprecht, ist das von Nöten, denn dank dem sehr extremen Slang verstehen Normalsterbliche nur jedes 23. Wort.

Eingesperrt in der Freiheit

Wie oft wurde mir jetzt bereits begeistert über die „grenzenlose Freiheit“ der GTA-Titel berichtet? Ich hab es nicht gezählt, und ich muss beim neuesten Teil der Serie immer öfter den Kopf darüber schütteln. GTA: San Andreas bietet genau genommen keine Freiheiten. Klar, man kann viel machen. Es warten Taximissionen, Krankenwagenfahrten, Polizeieinsätze; wer will kann Huren zu sich ins Auto steigen lassen, Drogendealer verprügeln, Straßenrennen fahren oder bei diversen Contests mitmachen. Im späteren Spielverlauf lernt man Flugzeuge zu fliegen und kann Beziehungen zu Frauen aufbauen. Ein Rollenspiel-ähnliches System verbessert Werte wie Kraft, Energie, Kondition und Fahrfähigkeiten, und lässt uns immer mehr KI-Sidekicks mit zum nächsten Bandenkrieg nehmen. An Abwechslung mangelt es dem Spiel nicht.

Aber Freiheit in Spielen ist etwas anderes. Freiheit bedeutet Missionen unterschiedlich beenden zu können – oder zumindest nicht Raketen auf eine Person abzufeuern, um dann zu erkennen, dass sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht sterben kann, und man sich erst eine nervige Verfolgungsjagd durch die halbe Stadt mit ihr liefern muss, bevor der Trigger zum Töten aktiviert wird. Freiheit bedeutet auch, dass ich die Geschichte beeinflussen kann. Aber all das kann ich in San Andreas nicht. Diese vielgerühmte Freiheit ist nicht als eine mäßig gelungene Illusion, aus der man immer wieder herausgerissen wird, wenn man an ihre Grenzen stosst.

Bisse in der Tastatur

Und jetzt öffne ich gleich auch noch die Büchse der Pandora: viele Aufträge und Minispielchen in GTA: San Andreas sind Mist. Ich finde einfach im Jahr 2005 nichts Tolles mehr daran, meinen Charakter aufzutrainieren, indem ich so schnell wie möglich einige Tasten hämmere. Stealth-Missionen sind halbgar und dementsprechend langweilig. Es ist absolut nicht mehr zeitgemäß, im richtigen Augenblick auf einen bestimmten Knopf hämmern zu müssen um in (für mich übrigens uninteressanten) Lowrider-Missionen das Auto springen zu lassen. Als Gangster vom Dienst interessiert es mich nicht, ebenso ablaufende Tanzeinlagen zu absolvieren, um an einen Truck zu kommen, wenn ich mir ebensogut den Weg freiballern könnte. Anstatt mich bei Straßenrennen einfach von einem Punkt zum anderen zu schicken, und mir selbst zu überlassen Abkürzungen und den schnellstmöglichen Weg zu finden, lassen mich die Entwickler Checkpoints abfahren.

GTA: San Andreas gilt unverständlicherweise als ein Game für moderne Spieler, und es nervt mich trotzdem mit Designmängeln und Gameplay die schon jahrelang kritisiert werden oder überholt sind. Damit sind jetzt nicht nur die zahlreichen Gähn-Einsätze gemeint, sondern beispielsweise auch das Speichersystem. Gerade wenn mir das blöde Spiel alle paar Spielstunden mal grundlos abstürzt, wäre es mir recht, einfach schnellspeichern zu können. Stattdessen gilt es nach jeder Mission minutenlang durch die Stadt zu gondeln, um in meinem Haus speichern zu können. Zum Glück kann man sich im Spielverlauf mehrere Hütten kaufen, in denen man dann seine mühsam erspielten Fortschritte sichern kann. Warum mühsam? Weil man dank des durchwachsenem Missionsdesigns (und fehlender Speicherfunktion) viele nervige Einsätze oftmals machen muss – sei es wegen dem eigenen Unvermögen, oder weil ein kleiner Bug ein erfolgreiches Abschließen verhindert. Kleines Beispiel: In einer Mission muss man mit einem schwer zu steuernden Quad-Bike einige Gauner verfolgen und fertig machen. Weil ich mir mit dem Gefährt etwas schwer tat, musste ich die Mission schon drei Mal wiederholen, da ich immer an derselben Stelle in einen Fluss stürzte. Beim vierten Mal hatte ich das dann endlich geschafft, und es galt nur noch zwei Halunken zu vernichten, da bleibt der eine mit seinem Gefährt in einer Mauer hängen. Bis ich den dann endlich gefunden und erledigt hatte, war der andere aber so weit weg, dass der Einsatz als verloren galt. Hass kommt auf, vor allem weil man (wie immer) jedes mal wieder bis ganz zurück an den Anfang der Mission fahren muss, um sie neu zu starten. Besonders ärgerlich ist es während eines Einsatzes zu sterben, das kostet nämlich nicht nur Geld, sondern auch alle Waffen die man besitzt.

Die guten Seiten

Bevor ich mich hier vollkommen in Rage über ein an sich trotzdem gutes Spiel schreibe: GTA: San Andreas hat natürlich auch viele gute Seiten. Da wären etwa einige sehr gelungene Missionen, wie jene in der man einer ganzen Armee der Russenmafia entkommt und von einem verrückt gewordenen Truck-Fahrer verfolgt wird. Hier werden in der Spielgrafik auch Höhepunkte cineastisch toll rüber gebracht – wenn etwa der Lastwagen mitsamt Anhänger – über mir auf meinem Motorrad – in Zeitlupe das Geländer einer Brücke durchbricht und knapp hinter mir landet. Klasse ist auch der Soundtrack. Die zwölf Radiosender haben von Ozzy Osborne über Dr. Dre, Depeche Mode und Tom Petty bis hin zu Guns N‘ Roses so vieles im Angebot, dass man damit vermutlich zwölf andere Spiele vertonen könnte. Hinzu kommen lustige Moderationen, geniale Talk-Radioshows und zynische Werbesendungen (sinngemäß z.B.: Seien sie gute Eltern, lassen sie ihre Kinder nicht auf gefährlichen Fahrrädern sterben, kaufen sie ihnen ein Auto.). Überhaupt ist der Humor ein großes Plus des Spiels: wenn Moderatoren eines Alternativ-Senders sich darüber freuen so anders zu sein, bleibt ein Schmunzeln einfach nicht aus.

Auch ist positiv zu vermerken, dass uns Rockstar in der riesigen Spielwelt zum Glück nicht mit Werbung überhäuft. Im Gegenteil, statt ein weiterer Teil der Marketingstrategie großer Konzerne zu werden, pflastern die Entwickler die Stadt mit Pseudo-Werbung zu (etwa mit riesigen Zigarretten-Plakaten für die Marke „Homies Sharp“). Damit schwimmt man (noch?) gegen einen sich gerade abzeichnenden Trend der Spielewerbung. Danke!

Mäuse, die an der Wand kleben

Weniger gut ist die technische Umsetzung der PC-Version. Vor allem mit der Maus-Tastatur-Steuerung bin ich nicht ganz warm geworden, aber auch mit der Grafik bin ich nicht ganz zufrieden. Nicht falsch verstehen: Über weite Teile sieht das Spiel gut aus, es hat sogar seine sehr guten Momente. Dann aber findet man sich in eher tristen Szenen wieder und ärgert sich über Enginefehler (etwa wenn man gegen eine unsichtbare Wand fährt, weil das Spiel die Stelle noch nicht fertig berechnet hat). Über die schon vorhin angesprochenen Abstürze freut man sich natürlich auch nicht.

Unabhängig von der PC-Version hat das Spiel auch so noch seine kleineren Mängel. Da wären zum Beispiel die KI-Schwächen. Ob man nun feindliche Gangster der Reihe nach abknallen kann, weil sie nicht kapieren, dass ich hinter einer Ecke nur darauf warte, ihnen die Rübe wegzublasen, oder ob meine eigenen Leute zu blöd sind mir über eine Treppe nachzulaufen – ruhmreich programmiert hat man da im Hause Rockstar nicht gerade.

Aber hier leben? Nein danke

Die drei (abwechslungsreichen) Städte in San Andreas sind riesig und wirken auf den ersten Blick lebendig. Bei genauerer Betrachtung, steckt da aber nicht viel dahinter. Natürlich, an jeder Straßenecke laufen Passanten herum, überall fahren computergesteuerte Autos (die, wenn man sie anfährt, teilweise aggressiv reagieren und einen in den Straßengraben drängen wollen), aber die sind mir so egal wie der berühmte Sack Reis in China.

Wenn man nicht gerade eine Mission gestartet hat, gibt es keine NPCs in der Stadt. Für die Story wichtige Personen haben ebensowenig einen eigenen Tagesablauf wie die 08/15-Leute auf der Straße. Die Leute rennen einfach nur rum. Es wird den meisten Spielern egal sein, aber die Welt von GTA: San Andreas stinkt im Vergleich zu Vorzeige-Titeln wie Gothic 2 ab. Klingt wie Erbsenzählerei, aber schon vor fast sechs Jahren hatten die virtuellen Menschen in Ultima 9 eigene Tagesrythmen, ist das in einer Mörderproduktion von 2005 also zuviel verlangt?

Bevor ich es vergesse: GTA: San Andreas hat eine der schönsten Verpackungen, die ich in den vergangenen Jahren gesehen habe. Im Pappschuber sind ein 80-seitiges gebundenes Handbuch, ein großes Poster (auf der Rückseite ist eine Landkarte) und natürlich das Wichtigste: die DVD mit dem Spiel. Da hat man was für sein Geld.

Ich habe mir lange überlegt, was ich San Andreas für eine Wertung geben soll, deswegen hab ich mir für den Test auch extra viel Zeit gelassen. Ein wenig Angst hat man vor der Vergabe einer solchen Note für solch ein Hype-Spiel auch. „Bin ich zu kritisch?“, fragte ich mich, wenn ich andere Tests ansah. Im Endeffekt ist es ein gutes Spiel und wer sich mit den im Text angesprochenen Mängeln nicht abgestoßen fühlt, kann beruhigt zugreifen. Ich wollte aber niemandem vorheucheln, dass man es hier mit einem perfekten Spiel zu tun hat, mit dem jeder glücklich wird. Das ist GTA: San Andreas mit Sicherheit nicht. Mitten in meinen Selbstzweifeln ist es mir dann gekommen: Diese beschriebenen Fehler gibt es, ich habe sie für mich entdeckt, sie haben mich unheimlich genervt und es sind nicht gerade wenige. Und darum ist es am Ende eine gute Wertung geworden, mit der ich mir aber sicher nicht nur Freunde mache. Die Bürde eines Kritikers eben…

78/100