Ich kaufe mir ein Printmagazin

Hunderttausende haben damit aufgehört. Ich habe es seit Jahren nicht mehr getan und hätte es auch auch weiterhin nicht gemacht. Aber wenn man etwas kritisieren will, dann sollte man es kennen. Also bin ich losgegangen und habe ein Printmagazin gekauft. Ein Horror?

Früher habe ich mir an jedem ersten Mittwoch im Monat noch vor der Schule die neue Gamestar besorgt. Das geschah nicht ohne Risiko, denn ich musste beim Umsteigen von einem Bus in den nächsten schnell sein. Brauchte ich länger als zwei Minuten, um den Trafikanten davon zu überzeugen, doch bitte die Morgenlieferung schnell auszupacken, kam ich zu spät in die Schule.

Als Student und freier Journalist ist man von dieser Sorge ja weitgehend befreit. Vielleicht fehlte deshalb der gewisse Kick, als ich diesmal in den kleine Laden gestapft bin. Ich sah mich um, fand die Zeitschriften immer noch am einst gewohnten Ort. Normalerweise werfe ich da keinen Blick mehr hin, gehe direkt weiter zu den internationalen Tageszeitungen. Ja, die Dinge ändern sich.

"7,35 Euro", sagte der Verkäufer, der nicht sicher war, ob dies schon die neueste Ausgabe war. Es stand zwar Juli 2008 darauf, war aber die Ausgabe 8/2008. Eine alte, fast schon liebgewonnene Skurrilität. Moment! 7,35 Euro?! Ich dachte, ich spinne! Für das Geld kann ich in der Mensa zwei Mal essen gehen. Es gab aber nur die Gamestar XL Ausgabe mit 2 DVDs, und um noch wo anders hin zu gehen war es gerade zu heiß. Ich nahm das Ding, obwohl mich die Vollversion nicht interessierte (Gothic 2 Gold habe ich ja bereits).

Die Titelseite war schrecklich überladen. Zweimal versicherte sie mir, dass auf den beiden DVDs (das bestätigte sie mir auch zwei Mal) drei Vollversionen drauf sind (zum Glück hat man nicht noch das Handbuch auf das Cover gedruckt). Vier Artikel werden angeteasert – zweimal stand EXKLUSIV dabei, einmal LANGZEIT-Test. Acht Videos und Demos wurden angepriesen, ich wurde an die neue HD-Videoqualität erinnert – wiederum zwei Mal. Ein Hardwaretest wurde angekündigt. Das "Ab 16"-Logo der USK lachte mir entgegen.

Alle Überschriften hatten auch noch einen Begleittext. Dahinter erahnte man mehr als man es sah das besonders originelle Motiv eines Render-Soldaten vor einem explodierenden Hintergrund.

Ja leck mich am Arsch, welches Genie hatte sich denn diese Reizüberflutung einfallen lassen?

Von all dem Zeug sprach mich zudem nur eine Sache an: Die Operation Flashpoint 2 Vorschau.

Ich schlug die erste Seite auf, suchte das Editorial. Aber einen persönlichen Einleitungstext gab es nicht. Das gesamte Gamestar-Team hatte jene drei Absätze unterschrieben, die mir hier versprachen, dass das Heft einen Deutschland-Schwerpunkt hätte. Geil daran: Auf dem Cover hatten die das nicht erwähnt.

Ich überblätterte zwei Seiten Werbung, das Inhaltsverzeichnis, wieder zwei Seiten Werbung, vier Seiten voll alten Newsmeldungen, die Gamestar-Ligaberichterstattung, wieder eine Seite Werbung. Dann überflog ich in Sekunden den zweiseitigen Terminkalender. Auf den nächsten vier Seiten wurden mir acht Previews entgegen geschmissen, eineinhalb Seiten davon waren Werbung. Dann kamen – wohl zur Abwechslung – zwei Seiten reine Werbung.

Das Heft begann irgendwie also erst auf Seite 24 mit der Operation Flashpoint 2-Preview, für die man bei der Gamestar zwar sieben Seiten übrig hatte, allerdings ohne einen einzigen echten Screenshot. Die Bilder kannte ich alle aus dem Internet, die entscheidenden Informationen konnte man in vier oder fünf Sätzen zusammenfassen.

Die Gamestar war zwar vor Ort, hatte das Spiel offensichtlich gesehen und die Redakteurin zimmerte daraus einen netten Artikel, als Leser brachte mir das aber nichts. Ich las in Wahrheit dasselbe wie in den News, die im Internet 15 Minuten nach der Ankündigung auf allen Seiten standen, verziert höchstens mit ein paar belanglosen Entwicklerzitaten.

Fast alle anderen interessanten Pre- und Reviews des Hefts gab es auch als Video auf der DVD. Mit denselben Informationen, denselben Beispielen – und derselben Qualität. Was als Text lustig zu lesen war, war auch als Video lustig anzusehen. Was hier spröde war, war dort nicht besser. Man sollte nicht verschweigen, dass die meisten Artikel wirklich gut geschreiben waren, andere beschränkten sich wiederum auf das berüchtigte Aufzählen von Detailfeatures – insgesamt gut, besser als auf guten, kostenfreien Internetportalen halt nicht.

Ich hatte mir vor dem Lesen des Hefts die DVD angesehen, deshalb konnte ich knapp die Hälfte des Hefts gleich ohne Bedenken überspringen. Etwas skurril: Die Artikel standen als Text im Heft, sie waren als Video auf der ersten DVD, und es gab sie als HD-Video noch einmal auf der dritten DVD. Man hätte sie ja eventuell noch auf eine beigelegte Klopapierrolle drucken können.

Auf dem zweiten Datenträger fand man zusätzlich noch einige aktuelle Trailer und Patches zu teilweise jahrealten Spielen. Insgesamt waren fünf Demos und drei Mods in der Ausgabe enthalten – es war nichts für mich dabei. Gut, da konnte die Gamestar wohl nicht viel dafür. Zig kleine Programme füllten den Rest des Platzes. Ich wusste nicht, wer die nun eigentlich brauchen könnte. Aber vielleicht schätzte ich die Lage da auch nur völlig falsch ein.

Die "getestete" Gamestar-Ausgabe hob sich vor allem da ab, wo die Redakteure originären Content erschaffen hatten. Das waren eben jene Artikel, die im Heft ganz hinten auf ein paar Seiten versteckt waren – und die es niemals auf die Titelseiten schafften: Eine Reportage über den 10tacle-Abstieg, das Making of von Crysis und die Texte über die Reflektion von Computerspielen in der Gesellschaft.

Da wurde dann ordentlicher Boulevard-Journalismus geliefert.

Eine Professorin für Game Design bepinselte drei Seiten lang die Spielerseelen mit einer Lobrede, wie wichtig und gut doch Spiele seien. Stimmte schon alles, es war aber durchaus etwas einseitig.

Ein anderer Artikel behandelte einen akademischen Streit um ein populärwissenschaftliches Buch über Computerspiele. Gutes Thema. Der Redakteur beschrieb den Kampf zwischen je einem positiv und einem negativ eingestellten Forscher. Die Freund-Feind-Erkennung war freilich etwas plump. Ein "freundlicher, älterer, ruhiger, umgänglicher Herr" auf der edlen Suche nach Wahrheit wurde von einem "hageren" und egoistischen Kriminologen mit "puritanischem Ernst" attackiert. Wie schon gesagt: Boulevard.

Aber all das war legitim. So funktionieren viele (erfolgreiche) Medien. Auch wenn man so etwas nicht mag, kann man sich wenigstens darüber unterhalten. Sowas kann man lesen, dazu kann man sich ein paar Gedanken machen.

Hingegen schaffen Printmagazine sich in meinen Augen mit all den Previews und Reviews heute keine Daseinsberechtigung mehr – es sei denn es wird ihnen wieder einmal etwas exklusiv und vorab zugeschanzt (aber selbst dann sind die Infos drei Minuten nach der Veröffentlichung in Internetforen – die wiederum auch die vier Seiten Leserbriefe unsinnig erscheinen lassen).

Ich schließe belehrend: Vielleicht werden einige Printmagazin-Macher all dies in einigen Jahren auch so sehen. Dann kaufe ich mir – vielleicht – auch mal wieder eine Gamestar.

Cool? Dann erzähl doch anderen davon! Danke! :)