Eine Geschichte über das Mittelalter

Kaum eine geschichtliche Epoche als das Mittelalter ist von größerer Relevanz für das Rollenspielgenere. Ob nun mit fiktionalen Elementen angereichert oder eins zu eins transferiert, oft wird das Mittelalter als Referenz für Spieldesign, Hntergrundgeschichte, Charaktere oder gleich für das komplette Spiel genommen. Beschauliche, unberührte Landschaften, starke Heronen, wilde Krieger, idyllische Städe oder monströse Burgen, kein Zeitalter bietet anscheinend so eine gute Vorlage für ein Rollenspiel. Dazu kommt noch, dass die meisten klassischen Pen&Paper-Rollenspiele eben in dieser Epoche angesiedelt sind. Das Mittealter bezieht quasi eine Monopol-Stellung unter den Rollenspiel-Szenarios. Auch The Witcher macht da keine Ausnahme, aber dennoch eine Menge anders.

Darf ich vorstellen: mein Name ist Geralt von Rivien. Nein, das T am Ende meines Vornames ist kein Schreibfehler, das mag vielleicht komisch aussehen ist aber so. Nach einem aufreibenden Kampf wache ich leicht benommen auf der Trage von Unbekannten auf. Sie schienen mich jedoch zu kennen. Ihre Namen kann ich trotz intensiven Nachdenkens aber nicht erinnern. Dummerweisen sind mir nicht nur ihre Namen unbekannt, sodern auch der Rest meines bisherigen Lebens. Mühsam bewegt sich Geralts Rettungstrup vorwärts. Wir sehen ihn über saftig Wiesen und durch seichte Flüsse wandern, vorbei an malerischen Wäldern, wird die Landschaft von der Sonne in ein beschauliches Licht gesetzt. Vögel fliegen umher, das Wasser rauscht, wir erleben Wohlfühl-Mittelalter der besten Kategorie. Ihr solltet es genießen, so beschaulich wird The Witcher niemals wieder werden.

Was folgen wird ist eine sehr erwachsene Spielwelt. In The Witcher gibt es nie ein Gut oder Böse, es gibt nicht richtig oder falsch. Ihr müsst Entscheidungen treffen, meist dann wenn ihr es gar nicht erwartet und dementsprechend schlecht vorbereitet seid. Schon gleich zu Beginn im Tutorial habt ihr euch zu entscheiden: unterstützt ihr lieber eure Kämpfer im Hof gegen ein übermächtiges Ungeheuer oder haltet ihr einen Magier davon ab euer Labor zu durchwühlen. Jede Entscheidungen wird ihre Konsequenzen haben, welche sich später auf den Spielverlauf auswirken.

In Alt-Wyzima und im Umland hat die Pest die menschliche Bevöllerung dahin gerafft. Der noch nicht von der Pest heimgesuchte Teil von Wyzima hat sich komplett von der Außenwelt abgeschotten. Rein komme ich nur, wenn ich mir einen Passierschein besorge. Der Klerus des kleinen Dorfes vor Wyzima hat einen, gibt diesen aber nicht einfach heraus. Ich muss sein Vertrauen dafür gewinnen und ihm und seinen engeren Freunden helfen. Hagen Borg, ein zwielichtiger Kaufmann, habe ich versprochen auf seine Waren am Flussufer ein Auge zu werfen. Angeblich werden diese in der Nacht von Seeungeheuern verschleppt. Nur was sollten Seeungeheuer mit seinen Waren vorhaben? Trotz diese Zweifel lege ich mich auf die Lauer. Die See wird wirklich unruhig und so sehe ich mich wenige Sekunden später in einen Kampf verwickelt. Komischerweise kämpfe ich dabei nicht nur gegen Seeungeheuer, sondern auch gegen plötzlich auftauchende Elfen. Diese stehlen Hagen Borgs Waren um ihren Kampf gegen die Salamander zu finanzieren.

Hier stehe ich vor einem Dilemma: Auf der einen Seite habe ich geschworen, die Waren gegen jeden Feind zu verteidigen, auf der andere Seite bekämpfen die Elfen meinen Hauptfeind die Salamander. Die stecken hinter dem Attentat auf unsere Hexer-Siedlung. Dabei fällt mir ein, dass ich mich ja noch gar nicht richtig vorgestellt habe. Klar, meinen Namen kennt ihr schon. Ich bin also Geralt, ein Hexer. Hexer sind grob gesagt eine genetische Mutation. Diese Mutation hat zur Folge, dass ich über besondere Kräfte verfüge. Ich bin nicht nur übernatürlich stark, sondern bin auch in der Lage magische Formeln zu beschwören. So kann ich Gegner kurzzeitig lähmen, oder sie per Feuerball aus der Ferne bekämpfen. Da der Kampf bei uns Hexern eine lange Tradition hat, sind wir zudem in der Lage unsere drei Kampfstile (kräftiger Kampfstil gegen große Gegner, gewandter Kampfstil gegen kleinere Gegner und Gruppenkampfstil gegen mehrere Gegner) mit voranschreitender Erfahrung zu verbessern. Unser Hauptschwerpunkt liegt aber dennoch in unseren magischen und alchemistischen Fähigkeiten. Leider habe ich mit dem Verlust meines Gedächnisses auch mein komplettes Reportiore an Formeln für die verschiedensten Tränke verloren. Mir bleibt also nichts weiteres übrig, als mein Wissen durch den Kauf von Büchern und den Austausch mit anderen Alchemisten wieder aufzufrischen.

Ich habe mich übrigens dafür entschieden, die Elfen daran zu hindern, die Güter zu stehlen. Auf ihre Unterstützung kann ich nun nicht mehr vertrauen, dafür bin ich meinem Ziel aber ein Stück näher, endlich in die Stadt zu kommen. Hagen Borg hat sich für meine Treue erkenntlich gezeigt und ein gutes Wort beim hiesigen Geistlichen für mich eingelegt. Zwar sind noch nicht alle Einwohner des Dorfes von meinen Fähigkeiten überzeugt, das dürfte aber nur noch eine Frage der Zeit sein.

Wenig später befinde ich mich in der Stadt bzw. dessen Kerker. Irgendjemand scheint sein Problem damit zu haben, dass ich es bis hier her geschafft habe. Meine Recherche diesbezüglich muss ich aber erst einmal hinten anstellen, aktuell habe ich ein akuteres Problem zu lösen.

Mit einem der Wärter konnte ich einen Deal aushandeln. Ich werde nicht länger in dieser feuchten und modrigen Zelle gefangen sein, wenn ich eine angeblich grausame Bestie, die in den Abwasserkanälen von Wyzima haust, zur Strecke bringe. Ich begebe mich also in die miefigen und feuchten Katakombden um das Nest dieses Ungeheuers zu finden. Dort angekommen treffe ich auf einen jungen, aber durchaus fähigen Kämpfer, der mich bei meinem Kampf unterstützen möchte. Bereitwillig stimme ich zu und sichere mir damit auch noch die Unterstützung seines Ordens. Nun durchstreifen wir gemeinsam die dunklen Tunnel der Kanalisation und treffen dabei hier und da auf ein paar Wasserbestien, die sich aber nach wenigen Schwerthieben im ewigen Nirvana wiederfinden dürfen.

Bei der Bestie habe ich anfangs ein paar Probleme und werde böse überrascht. Ich versuche die Bestie auf Distanz zu halten. Ohne großen Erfolg. Kleine Helfer attakieren mich sofort und zwingen mich dazu, umzudenken. Von diesen eingekesselt, versuche ich zuerst noch zum Hauptgegner vorzudringen. Ich scheitere. Ich ziehe also mein Schwert, stelle mich auf einen Gruppenkampf ein und stürze mich auf die kleineren Wesen. Ein paar gekonte Hiebe und diese segnen das Zeitliche. Nun kann ich mich endlich um die Bestie kümmern. Ich hole zu einer Kombination von verschiedenen Schwertschlägen aus. Ein letzer Schrei ertönt, die Bestie geht zu Boden, sogar noch bevor ich zu einer Spezialattake ausholen konnte. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich nun schleunigst zum Kerker zurück kehren sollte, um meine Freiheit einzufordern.

Ich habe meine Freiheit und meine Sachen also wieder. Ein Blick in meinen Rucksack offenbart mir, dass diese Idiot von Wächter mein sauber geordnetes Inventar in einen Saustall verwandelt hat. Tränke befinden sich neben Schriftrollen, Essen und Trophäen irgendwelcher besiegter Gegner. Ordnung muss her, sonst finde ich in wichtigen Momenten nichts mehr in den Tiefen meines Rucksacks wieder. Die jüngsten Ereignisse haben mich ein wenig von meinem Ziel abgelengt. Ich muss endlich mit meinen Recherchen anfangen.

Der junge Bursche aus den Katakombden gab mir den Tipp, mich bei einem Privatdetektiven zu melden, der unweit des Eingangs zu den Abwasser-Kanälen sein Büro hat. Dort angekommen erfahre ich einige interessante Neuigkeiten. Mir wird aber auch klar, dass sich die Sache so einfach nicht aufklären lassen dürfte. Ich machte mich aber sogleich auf den Weg, um einen zwielichtigen Kaufmann zu befragen. Dieser könnte einige interessate Neuigkeiten für mich haben, soll aber sehr empfindlich sein. Jetzt bloß kein falsches Wort von sich geben, der gute Herr könnte sonst einschnappen und mir wichtige Informationen vorenthalten. Schon zu früheren Gegebenheiten habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, nicht sofort mit der Tür ins Haus zu fallen. Subtiles vorgehen ist hier gefragt. Schließlich muss man ja nicht jedem gleich unter die Nase binden, dass er mit einer skrupellosen Organisation Geschäfte macht.

Geralts Reisen werden noch viel weiter gehen. Er wird viele alte Bekannte treffen. Einige davon werden sich als echte Hilfe herausstellen, andere brauchen erst einmal dringend welche. Wichtig ist, dass ihr eure Entscheidungen gut überdenkt. Hätte ich zum Beispeil nicht dem Bruschen in den Kanälen gestattet mir zu helfen, würde ich nicht so einfach zum Hafen der Stadt kommen, sondern müsste erst einmal die Torwachen bestechen. Solche Situationen erlebt ihr im Spiel immer wieder. Wie im realen Leben haben eure Entscheidungen starke Auswirkungen auf euer Umfeld und auch darauf, wie euer Abenteuer weiter verlaufen wird. In The Witcher wird insgesamt eine sehr erwachsene Spielwelt konstruiert, fern ab von irgendwelchen Mittelalter-Klischees. Öfter stellt ihr dabei fest, dass die Wahrheit meist nur aus dem Querschnitt verschiedensten Meinungen unterschiedlicher Personen besteht. In den Gesprächen mit NPCs werden zudem Themen wie Randgruppendiskreminierung, die Übermacht der Kirche und die Existenzangst jedes einzelnen Menschen angesprochen.

The Witcher ist unterm Strich glaubwürdiger als Oblivion oder Gothic 3. Es werden mehr Anreize zum Weiterspielen geboten, die Geschichte verdichtet sich mit jeder weiteren Aufgabe. Immer wieder gilt es neue Fragen zu beantworten. Meist erwischt man sich dabei, wie man den Autosave vor einer wichtigen Entscheidung noch einmal lädt, nur um zu sehen wie die Geschichte auch anders hätte verlaufen können. Ihr solltet Geralts Reise sowieso am besten zeitgleich mit einem Freund spielen, nur um zu sehen, wie sich eure Geschichten in andere Richtungen entwickeln.

Mit zur dichten Atmosphäre trägt darüber hinaus die sehr gelungene und filmreife Präsentation bei. Gespräche werden dynamisch aus verschiedenen Kameraperspektiven gezeigt, Zwischensequenzen sind dramatisch geschnitten und auch sonst wird sehr viel Wert darauf gelegt, dem Spieler immer wieder neue Eyecather zu bieten. Trotz all dieses Lobs hat The Witcher natürlich auch Fehler. Die Ladezeiten zwischen den einzelnen Szenarien sind sehr lang und es wird nach jedem Ortswechsel neu geladen. Die Steuerung braucht auch ihre Zeit, bis sie leicht von der Hand geht. Nicht zuletzt die deutsche Synchronisation kann als echter Atmosphärekiller durchgehen. Das alles sind aber Kleinigkeiten betrachtet man die epischen Ausmaße dieses Titels, die vielen frischen Ideen und die liebevolle Art und Weise wie selbst Nebenquests aufwendig erzählt werden.

Wo Oblivion mit seiner 08/15-Kulisse anödete und Titel wie Gothic 3 durch viele unnötige Bugs fast in die Unspielbarkeit abdrifteten, da kann The Witcher begeistern. CD Projekt hat es geschafft eine dem Buch gerechte Umsetzung abzuliefern, die durch ihre erwachsene und authentische Spielkulisse sich angenehm vom Rollenspiel-Einheitsbrei abzugrenzen vermag. Liebhaber von Planscape Tornment dürften hier sicherlich ihre Freuden haben. 200 Stunden Spielspaß kann zwar auch The Wichter nicht bieten, dafür aber viele Aha-Momente…

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