Analyse: Und am Ende gibt es Kuchen

Das Adventure ist tot.« Obwohl nicht ganz zutreffend, kann man diese Behauptung regelmäßig irgendwo an den Toilettenwänden des Internets lesen. Nähme man mal an, es wäre so, so müsste man dem Adventure zumindest zugestehen, seinen Organspendeausweis vor dem Ableben sorgfältig ausgefüllt zu haben, denn auf der Jagd nach spannenden und vielschichtigen Dialogen, Charakteren und Geschichten werden wir heute auch in anderen Genres fündig. Nur die Rätsel, die schien bis vor kurzem keiner mehr lieb zu haben. Nun kommt Portal, besteht zu neunzig Prozent aus Rätseln und macht trotzdem mehr Spaß als jedes andere Adventure der letzten Zeit. Merkwürdig.

Achtung: Das Produkt kann Spuren von Spoilern enthalten, insbesondere minimale Andeutungen zu Sam & Max: Season 1 und Portal sowie ein größerer Hinweis auf Hotel Dusk. Das erste Rätsel aus Jack Keane wird komplett seziert.

Zugegeben, Portal ist vom klassischen Adventure so weit weg, dass man es kaum wiedererkennt. Nichtsdestotrotz basiert sein Spielspaß überwiegend auf gelungenen Knobelaufgaben. Ein Ansatz, der bei heutigen Vertretern klassischer Adventures kaum noch zu funktionieren scheint: Ob Sam & Max, Hotel Dusk oder Jack Keane, sie alle enthalten Rätsel, die den Spielfluss stark bremsen oder teilweise sogar ganz zum Erliegen bringen. Worin liegt der Unterschied? Was macht ein gutes Rätsel aus? Fragen wir the Queen of Adventures: (nein, nicht Roberta Williams, die andere)

A good puzzle should give the player responses to partial successes, should provide lots of feedback, should be interactive enough that it’s worth toying with until the secret reveals itself. – (Emily Short)

partial successes

Gleich zu Spielbeginn finden wir uns in Jack Keane in einer kuriosen Situation wieder. Wir stehen auf dem Dach des Uhrturms des Big Ben und wollen uns mit einem für Reparaturarbeiten am Glockenturm angebrachten Außenlift nach unten und in Sicherheit bringen. Dazu brauchen wir ein Messer, das im Nest einer Krähe liegt, die dieses Utensil mit allen Mitteln verteidigt. Außerdem stehen mehrere Farbeimer und ein Sandsack auf dem Dach herum. Direkt unter uns befinden sich zwei Geldeintreiber, die während der einleitenden Verfolgung abstürzten und nun auf den Zeigern der riesigen Turmuhr stehen.

Vom Spieler wird nun folgender Gedankengang erwartet: Der Stundenzeiger steht auf der Neun, der Minutenzeiger fast auf Zwölf. Ein Ganove balanciert auf dem Stundenzeiger. Die Krähe lässt sich mit Sandsack oder Farbe nicht verscheuchen. Insgesamt müssten wir hier um sieben Ecken denken, um das Rätsel zu lösen: Wir werfen den Sandsack in die Tiefe, damit der Ganove in den Uhrturm stürzt, der Minutenzeiger auf die Zwölf rückt, Big Ben läutet, die Krähe verscheucht wird, wir an das Messer kommen, mit dem wir das Seil am Aufzug kappen, damit wir mit dem Aufzug in die Tiefe fahren können.

Und das ist das Einstiegsrätsel! Hilfestellungen: keine. Klicken wir im Rahmen der Lösungsfindung den Ganoven an, sagt Jack nur lapidar: »Anscheinend habe ich noch ein paar Schulden zu begleichen.«

lots of feedback

Merke: Dem Spieler zu wenig oder falsches Feedback zu geben, macht aus einem sehr guten Rätsel im Handumdrehen eine störende Plotbremse. In anderen Genres ist gutes Feedback genauso wichtig. Eine schwammige Steuerung in einem Egoshooter oder Autorennspiel bedeutet nichts anderes, als dem Spieler ungenügende Rückmeldungen zu geben. Portal dagegen geizt nicht mit Informationen. Jeder Fehlversuch bringt mich der Lösung auch dadurch näher, dass ich sehe, wie es schiefgeht. Kombiniere ich in Jack Keane zwei Gegenstände, die nicht zusammenpassen, kriege ich viel zu oft Jacks Standardantwort zu hören: »So funktioniert das nicht.«

Nein, so funktioniert das wirklich nicht. Ein gelungenes Gegenbeispiel findet sich in Sam & Max: Culture Shock. Während einer psychatrischen Behandlung sollen wir aus einem Traum erzählen, und zwar möglichst so, dass sich ein ganz bestimmtes Krankheitsbild daraus herleiten lässt. Der Clou an diesem Rätsel ist, dass die Psychiaterin sämtliche Handlungen des Spielers passend kommentiert. Abgesehen davon, dass das bei der Lösung des Rätsels hilft, macht es unglaublichen Spaß, in diesem Traum herumzuklicken und alles auszuprobieren, nur um zu sehen, was sie sonst noch alles diagnostiziert.

Das Rätsel wäre komplett witzlos, würde sie auf jeden falschen Klick nur erwidern, dass das so nicht ginge.

it’s worth toying with

Das bringt uns zum Herumspielen. Ähnliches wie für das psychiatrische Rätsel gilt nämlich auch für Portal. Die Portalkanone ist ein derart neues und ausgefallenes Spielelement, dass das Experimentieren damit an sich schon ein Erlebnis ist. Für gutes Rätseldesign ist es ungeheuer wichtig, dass nicht nur das Lösen des Rätsels Spaß macht, sondern auch der Weg zur Lösung. Schließlich besteht daraus der weitaus größere Teil des Spiels.

Meiner Meinung nach ist das derjenige von Emilys Punkten, der in Adventures heutzutage am häufigsten ignoriert wird. Ebenfalls sehr wichtig finde ich aber, wie Rätsel in die Geschichte des Spiels eingebunden werden und auf welche Weise der Spieler für gelöste Rätsel belohnt wird.

story

Rätsel sind nämlich keineswegs nur die Füllung zwischen einzelnen Storyhäppchen, quasi die Sättigungsbeilage zum Schnitzel, sie können richtig eingesetzt auch ein sehr mächtiges Element sein, um die Geschichte voranzutreiben und dem Spieler mehr über einzelne Charaktere zu verraten. Müsste ich in einem Puzzle beispielsweise als Dieb in ein hochherrschaftliches Haus einbrechen, um dort ein Diadem zu stehlen, so könnte mir das Spiel allein über die Einrichtung des Hauses und die gegen Eindringlinge getroffenen Abwehrmaßnahmen viel über den Eigentümer erzählen. Wie der von mir gespielte Dieb diese Maßnahmen zu umgehen versucht und das Diadem dann erreicht, wirft auf der anderen Seite Licht auf die Spielfigur. Zumindest, solange die Rätsel nicht nur aus Standardsituationen bestehen.

Wie man es nicht machen sollte, demonstriert ein ums andere Mal Hotel Dusk: Dort finden wir im späteren Spielverlauf einen Brief, in dem Person A den Empfänger B wissen lässt, dass das von beiden gehütete Geheimnis keinesfalls publik werden dürfe. Unten im Postskriptum entdecken wir eine scheinbar sinnlose Aneinanderreihung von Buchstaben. Durch Zufall liegt der Brief allerdings direkt neben einer Chiffriermaschine, in die wir den Code auf gut Glück eingeben und TADA! halten wir den Storyclou des Spiels in Händen.

Die bis dahin gut angelegten Charaktere macht das kaputt. Wenn ein halbwegs cleverer Mensch schon gezwungen wäre, einem anderen Menschen schriftlich mitzuteilen, dass das von ihnen gewahrte Geheimnis weiterhin geheim bleiben müsse, dann wäre das Letzte, was dieser Mensch täte, das Geheimnis in irgendeiner Form mit in die Nachricht zu schreiben!

reward

Für ein gelöstes Rätsel wird der Spieler gemeinhin belohnt. Neue Orte werden zugänglich und laden zum Erforschen ein, möglicherweise treten neue Personen auf den Plan, es eröffnen sich neue Dialogoptionen, die Geschichte geht – vielleicht sogar mit filmischen Zwischensequenzen – weiter. Jack Keane hält sich daran, fühlt sich für mich aber trotzdem so an, als würde es einen für jede gelöste Denkaufgabe vor allem mit einem weiteren Puzzle belohnen. Das liegt daran, dass sich manche Rätsel recht stressig anfühlen, weil sie sich nicht an obige Regeln halten. Man wird nicht immer über partielle Fortschritte informiert, obwohl man im Grunde auf der richtigen Spur ist, man bekommt viel zu oft »Das geht so nicht«-Meldungen, die den Spaß am Experimentieren erheblich trüben, und man schlägt sich vor allem zu Beginn oft mit Knobelaufgaben herum, die die Geschichte kein Stück weiterbringen. Das macht JKs Rätsel schlechter, als sie eigentlich sind.

Portals Belohnungsstruktur dagegen ist meisterhaft. Auf übergeordneter Ebene zieht einen das große Rätsel durch das Spiel, was man im Enrichment Center überhaupt zu suchen hat. Im Kleinen hofft man vor allem auf weitere der famos geschriebenen Äußerungen der Computerstimme, deren morbider Charme HAL und Konsorten ziemlich blass aussehen lässt und für sich genommen schon mehrmaliges Durchspielen von Portal rechtfertigt. Zusätzlich bekommt man erst im Spielverlauf die Portalkanone und ihr Upgrade, um die namensgebenden Portale an die Wände zu schießen. Die Puzzles selbst passen vom Schwierigkeitsgrad her perfekt, denn sie werden Stück für Stück ausgebaut. Hier das erste Schalterrätsel, dort die erste Selbstschussanlage, danach dann das erste zeitkritische Rätsel. Fantastisch, auch wenn es zum Ende hin ruhig noch etwas kniffliger hätte werden können. Letzten Endes ist das Ausloten der Möglichkeiten der Portale an sich schon so spaßig, dass man nach dem Lösen eines Rätsels meist voller Vorfreude in das nächste Testfeld startet. Geradezu nach neuen Puzzles zu gieren ist etwas, das mir in Adventures auch nicht alle Tage passiert. Aber Portal ist etwas Besonderes.

Nicht zuletzt, weil es am Ende Kuchen gibt.

Der <a href="http://d-frag.de/blog/2007/10/20/und-am-ende-gibt-es-kuchen" target="_blank">Text von Christoph Winkler</a> erschien ursprünglich auf <a href="http://d-frag.de" target="_blank">d-frag.de</a>. Der Abdruck wurde uns freundlicherweise dank <a href="http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/de/" target="_blank">Creative Commons-Lizenz</a> erlaubt.

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