Entwickler, die im Extro noch dem Pizzaboten danken und ihre vollwertigen Spiele gratis unter die Menschen werfen, gibt es nicht mehr? Irrtum! Ein kleines Team aus England namens Studio Trophis stellt sich kommerziellen Werten entgegen, und beschert uns mit The White Chamber einen hochklassigen Psychothriller in Adventure-Form zum Nulltarif, bei dem die Axt zum besten Freund der Protagonistin wird…
Eine junge Frau erwacht in einem Sarg, mitten in einer blutverschmierten Raumstation im Weltall. Sie weiß nicht wer sie ist. Sie weiß nicht wie sie dorthin gelangt ist. Schon nach wenigen Minuten wird allerdings klar, sie sollte schleunigst hier weg, denn irgendetwas in dieser Forschungseinrichtung ist bösartig.
The White Chamber lässt den Spieler zu Beginn völlig im Unklaren darüber, was eigentlich vor sich geht. In einem ansehnlichen Manga-Look rätselt man sich durch vorbildlich logische Rätsel. Erst im Finale fügt sich Handlung der drei bis fünf Spielstunden zusammen.
Dabei stellt das Programm manchmal mehrere Lösungswege in Aussicht, die sich aber nicht unmittelbar auf das Spielgeschehen auswirken. Je nachdem, ob man in Schlüsselsituationen gut oder böse gehandelt hat, belohnt The White Chamber mit einem von zwei verschiedenen Enden. Manko hierbei: das mehrmalige Durchspielen ist etwas zäh, ändert sich doch abgesehen vom Extro nichts. Wer aber gerne überprüfen möchte, ob sich die Geschichte auch schlüssig auf das vorher Gespielte anwenden lässt, wird sich daran nicht stören.
Optisch zeigt sich das Horror-Spektakel wie angedeutet in einem eigenständigen Manga-Look. Zwar präsentiert sich die Hauptfigur abgehackt animiert, es ist jedoch anzunehmen, dass dieser Umstand eben in Anlehnung an die asiatischen Anime-Zeichentricks beabsichtigt ist (man möge mir eventuell unzulässige Durcheinanderwürfelungen von Manga und Anime verzeihen). Die Hintergründe sind detailliert gezeichnete 24 Bit-Szenen, die auch den Vergleich zu ähnlich angelegten, kommerziellen Spielen nicht scheuen brauchen. Immer wieder sehen die Örtlichkeiten beim erneuten Betreten anders aus. Das reicht von einzelnen Gegenständen bis hin zur gesamten Szenerie.
Musikalisch zeigt sich The White Chamber ebenfalls unbeeindruckt davon, dass andere Teams große Budgets für eine ordentliche Umsetzung aufbringen müssen, und besticht mit packend einsetzenden Effekten. Für eine Sprachausgabe hat es aber leider doch nicht gereicht.
Gesteuert wird mit der Maus, wobei es drei Funktionen gibt: Gehen, Benutzen, Ansehen. Genre-typisch kombiniert ihr Gegenstände aus dem Inventar mit der Umgebung. Laufen kann unsere Figur nicht. Die etwa ein Dutzend Szenen sind allerdings auch nicht so groß, als dass dies ins Gewicht fallen würde. Ein schneller Ortswechsel hätte allerdings nicht geschadet.
Den Download des Spiels findet ihr auf der offiziellen Website. Ein 306 Megabyte großer Brocken erwartet euch.
Faszinierend! Während ich zahlreiche Spiele der letzen Monate nach kurzem Anspielen eher genervt wieder verlassen habe und nur widerwillig zum Weitermachen motiviert wurde, habe ich dieses Gratis-Projekt von englischen Studenten auf einen Satz verschlungen. Wenn abgetrennte Körperteile (beziehungsweise auch das Abtrennen selbiger selbst) in Spielen es zu Zeiten von Manhunt & Co. noch schaffen, mir ein mulmiges Gefühl einzuhauchen, haben die Designer definitiv etwas richtig gemacht. Derzeit ist The White Chamber nur auf Englisch verfügbar, und dessen sollte man schon einigermaßen mächtig sein, um die Story auch wirklich zu verstehen. Mehrere internationale Versionen sollen allerdings folgen – ebenso wie ein weiteres Spiel (ein Taktik-RPG in einer Steampunk-Welt). Ich freu mich drauf, lege einstweilen TWC jedem kultivierten Spieler ans Herzen und packe für die Entwickler noch einen unserer seltenen Awards oben drauf!