Wolfenstein: The New Order – Ein Balanceakt geht schief

Mit Wolfenstein: The New Order geht der schwedische Entwickler MachineGames thematisch und erzählerisch diskussionswürdige Wege. Er siedelt eine B-Movie-Handlung in der Dystopie eines größenwahnsinnigen Faschistenstaates an. Kann das gut gehen?

Wolfenstein-Held B.J. Blazkowicz hat sich verändert. Optisch ist er „eine anabolikaentstellte Aufblaspuppe eines sehr deprimierten Till Schweiger„. Als Charakter hingegen ist er immer noch der faschistenhassende Haudrauf-Soldat und muskelbepackte, unzerstörbare Hero. Aber er ist auch ein sensibel-melancholischer Rächer der Gerechten. 1960 erwacht er in einem Pflegeheim aus einem langen Koma in eine Realität, in dem das „Regime“ dank einer geheimen Technologie den Krieg gewonnen hat und die Welt kontrolliert. Das geht gar nicht, findet Blazkowicz. Er leistet Widerstand.

Die Autoren empfanden es an vielen Stellen von Wolfenstein unnötig, Ereignisse zu erklären. Dass Blazkowicz sofort auf ein Widerstandsnest seiner alten Kriegskameraden stößt, ist ein glücklicher Zufall. Dass dieses Nest direkt in der Kanalisation unterhalb von Berlins Zentrum eine Basis aufgebaut hat, in der es unbemerkt schon auch mal mit Hubschraubern landen kann, ist natürlich absurd. Sicher hätten die Entwickler sich Logischeres ausdenken können. Doch was hätte es gebracht? Wäre der Sturz eines welt- und weltallbeherrschenden Faschisten-Regimes durch eine handvoll mittelloser Leute glaubwürdiger, befriedigender oder realistischer, wenn die zehn noch lebenden Rebellen ihr Lager in einem abgelegenen, verlassenen Gebirgstal versteckt hätten? Natürlich hätte man die Geschichte so schreiben können. Aber sie ist in dieser Hinsicht ohnehin so überdreht, dass es keine Rolle spielt, ob sie in irgendeiner Form logisch ist.

Die Motivation ist einfach: Der Actionheld will Drecksfaschisten stürzen. Das genügt.
Das wäre nur kaputtbar, wenn man es zu ernst nehmen würde.
Leider tut The New Order das.

Wolfenstein: The New Order

Wolfenstein-Basterds

Es ist eben nicht die Mischung aus Posse und Drama an sich, die das Problem ist. Vor nicht allzu langer Zeit hat immerhin ein Film Preise abgeräumt, in dem eine Draufgängerpartie von Widerstandskämpfern Hakenkreuze in Nazigesichter ritzte. Ja der Tonfall von Inglorious Basterds ist aus Wolfenstein: The New Order kaum wegzudenken. Als ich vor einem Jahr bei einem Event in London einen Entwickler auf diese Ähnlichkeit ansprach, hat er diese Quelle der Inspiration natürlich auch nicht geleugnet. Hätte es Tarantinos filmische Abrechnung mit dem Regime(hups sorry!) den Nazis nicht gegeben, wäre The New Order wohl um einiges schwerer zu erklären und einzuordnen.

Ebenso wie Inglorious Basterds beklemmende Momente liefert, um einen Kontrapunkt zur nahezu klamaukhaften Leichtigkeit zu schaffen, tut das auch Wolfenstein. Kurz nach der Over-the-top-Action, wo man mit zwei Maschinengewehren in den Händen gegen Panzerhunde und Maschinensoldaten antritt, stellt das Spiel uns plötzlich vor eine Entscheidung, welchen unserer Freunde wir sterben lassen wollen. Es lässt uns durch Tagebucheinträge wühlen, die eine Abtreibung beschreiben und Blazkowicz kommentiert nachdenklich die Welt, in der er Mond und Meeresboden besucht.

Diese ständige Diskrepanz zwischen beklemmender Ernsthaftigkeit und Lächerlichkeit ist schwer in Worte zu fassen. Noch seltsamer als der Mix ist vielleicht, dass er auch an vielen Stellen funktioniert – eine gewisse Toleranz für schwarzen und morbiden Humor vorausgesetzt. Über drei Viertel des Spiels geht alles gut und in dieser Zeit ist TNO eine überraschend gut geglückte Weiter- und Umentwicklung der sonst so platten Wolfenstein-Serie.

Wolfenstein: The New Order

Ein Straflager ist keine Mondbasis

Aber es ist eben ein Balanceakt, und während ein Tarantino ihn durchgehend gemeistert hat, erlaubt sich MachineGames zwischendurch vom Seil zu fallen – und das noch dazu auf der falschen Seite. Statt zu abgedreht zu werden, wird Wolfenstein: The New Order zu ernst und versagt dabei. Die Schlussphase tendiert beispielsweise dazu, den Witz völlig zu verlieren und gerade in der Konfrontation mit den wichtigsten Antagonisten zum bloßen Splattershooter zu verkommen.

Das wäre verzeihbar. Schlimmer ist, dass mittendrin ausgerechnet die so heikle Passage im Straflager daneben geht. Wie bei seinem Abstecher auf eine Mondbasis schafft Blazkowicz auch hier ein Rein-und-raus-in-30-Minuten. Aber eine Nazi- (Hups, sorry!) „Regime“-Mondbasis ist ein legitimer Schauplatz für Kurzweil und comicartigen Klamauk. Ein Arbeitslager higegen ist ein dramatischer und traumatischer, in der Realität verwurzelter Ort. Der Horror eines KZ kann nicht in eine Sidequest einer etwa 30-minütigen Spielsequenz verlagert werden, wie es die die Autoren abzuliefern versuchen. Genau da auf die nachdenkliche, tiefgründige Komponente zu verzichten, war ein schwerwiegender Fehler. Die Dramatisierung wird der Szenerie nicht gerecht. Sie wirkt effektheischerisch und entwertet sie damit völlig.

Vorher und nachher macht es praktisch keinen Unterschied, dass B.J. „im Lager“ war. Man hätte denselben Handlungsfortschritt (es geht um die Suche nach einer Person) auch in einem Militärcamp oder gut bewachten Bergdorf unterbringen können. Einfach nur ein Arbeitslager zu basteln und den Spieler wie in eine 08/15-Shootermission reinzuschicken, ist eben noch nicht der reife Umgang mit einem Erwachsenen-Thema, den MachineGame bedauerlicherweise geschafft zu haben glaubt.

Und diese Verfehlung schwächt Wolfenstein: The New Order doch sehr.

Test-Box

Gameplay: Spielerisch ermöglicht die Geschichte uns ein dank unterschiedlichster Lokalitäten recht abwechslungsreiches Actionspiel, dass man wahlweise ziemlich Stealth-lastig oder sehr bombastisch spielen kann. Unterschiedliche freischaltbare Perks unterstützen den jeweiligen Spielstil. Neu ist an alldem freilich gar nichts, aber dafür tut ein Schritt zurück dem Spiel ganz gut. MachineGames setzt nämlich Signale an Liebhaber von Old-School-Shootern. Etwa, dass man Health-Packs und Panzerungen aufsammeln muss, statt einfach hinter einer Ecke kauernd wieder voll hergestellt zu werden und dass man Secrets in den Levels finden kann (mit denen man auch zusätzliche Spielmodi freischalten kann). In den Gefechten stellen sich die Gegner durchschnittlich intelligent an, stellenweise ist das Spiel einfach.

Inszenierung: Die Vertonung ist in der deutschen Version stark geglückt. Die grafische Qualität der performanten Engine schwankt hingegen. Sie wird auch wegen der glaubwürdig eingefangenen, oftmals betonlastigen Regime-Architektur niemanden umhauen. So ein Gefängnis oder eine Kanalisation sind nunmal dröge und auch Mondbasen und faschistische Hauptquartiere werden nicht gebaut, um hübsch auszusehen. Oftmals etwas verwaschene Texturen machen den Eindruck nicht besser, gerade Außenareale und größere Bereiche leiden an einer Detailarmut. Die große Stärke entwickelt die Engine in den Gefechten in engeren Räumen, wenn der Beton abbröckelt, Metall durchlöchert und schonmal ganze Deckungen vernichtet werden.

Erschienen für Windows-PC, Playstation 3 & 4, Xbox 360 & One (Kauf-Partnerlink)

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