Dishonored: Vom hoch gehandelten Hoffnungsträger und der Evolution eines Klassikers

Dishonored

Nach den Vorschusslorbeeren kommt das Lob. Dishonored ist, folgt man den ersten Reviews, das Spiel der Stunde und wird als Innovator gefeiert. Warum manches übertrieben, einiges gerechtfertigt ist und mehr Evolution als Innovation in diesem Spiel steckt, haben wir in unserem Testlauf herausgefunden.

Umsturzzeit in Steampunk-Town

Dunwall, das ein wenig das Flair einer englischen Industrie-Metropole versprüht (in der Tat ist sie London und Edinburgh des 19. Jahrhunderts nachempfunden), wäre eine schöne Stadt. Wäre da nicht die Seuche, die zahlreiche Bewohner dahinrafft oder in aggressive Bestien verwandelt. Klar, es muss was getan werden. Also schickt die pazifistische Kaisern das Alter Ego des Spielers, Corvo Attano, in die Welt hinaus, um Unterstützung zu organisieren. Ohne Erfolg.

Statt mit Helfern kommt Corvo also ein paar Tage zu früh an und ist damit – Zitat Bösewicht – „zur falschen Zeit am richtigen Ort“. Die Kaiserin wird von magisch begabten Attentätern gemeuchelt, ihre Tochter entführt und obendrein ergibt die Szenerie beim Eintreffen der Wache den Eindruck, der Spieler stünde hinter unpässlich blutigen Angelegenheit.

Knapp erzählt

Der Berater der Königin, der sich ganz im Stile alter TV-Erzfeinde vor der geplanten Hinrichtung als Drahtzieher der Aktion outet, schwingt sich zum Unterdrücker von Dunwall auf und regiert fortan mit eiserner Faust und finsteren Plänen. Der Spieler allerdings entgeht seiner staatlichen Meuchelung und entflieht dank der Hilfe einer Gruppe, die sich „die Kaisertreuen“ nennt, den Gefängnismauern in deren Rückzugsrefugium, einem Pub in der Quarantänezone.

Das alles klingt ungeheuer spannend und wäre eine wirklich gelungene Einführung, würde sich die Handlung bis zum Beginn des Ausbruchs nicht innerhalb von rund zehn Minuten abspielen. Das Gefühl der titelgebenden Entehrtheit will sich aufgrund der Eile nicht so wirklich einstellen. Trotzdem besitzt das Spiel Atmosphäre, was oft seinen liebevoll gestalteten Umgebungen geschuldet ist. Die leider am PC nicht in vollster grafischer Opulenz erscheinen, offenbar handelt es sich um eine Konsolenumsetzung.

Der Spieler wird im Auftrag des kleinen Rebellentrupps zum Meuchler, Retter und Entführer und letztlich Opfer von gleich zwei Verschwörungen, deren zweite aufgrund der Charaktergestaltung sich leider früh vorahnen lässt. Insgesamt ist die Handlung nicht die große Stärke von Dishonored, als Figur bleiben im Wesentlichen die Kaiserstochter Emily, Admiral Havelock und Bootsmann Samuel. Eine wirkliche genauere Idee vom an sich interessanten Setting wird, wiederum aufgrund des schnellen Handlungsfortschritts und der geringen Spielzeit (im „Normal“-Schwierigkeitsgrad sechs bis sieben Stunden netto) nicht vermittelt. Selbst eine an sich prägende Figur wie der „Outsider“, der dem Spieler immerhin zu seinen magischen Kräften verhilft, bleibt ohne Profil.

Der Nachfolger des Meisterdiebs

Auf dem Weg zu den Missionszielen und ihrer Erfüllung lässt das Spiel meist mehrere Wege offen. Sich durchzukämpfen und die Zielperson unter großer Beachtung zu meucheln ist ebenso möglich, wie vorsichtiges Anschleichen über Dächer, Umwege und hinter Wachen vorbei. Und in den meisten Fällen gibt es Alternativen zur Tötung der Zielpersonen.

Spielerisch entpuppt sich Dishonored dabei all zu oft als geistiger Nachfolger der Thief-Serie. Dass es als großer Innovationssprung abgefeiert wird, spricht dafür, dass deren Qualitäten zu Unrecht schon wieder vergessen sind, obwohl sie von anderen, aktuelleren Reihen (Metal Gear Solid, Splinter Cell) nach wie vor eingebracht werden. Dishonored kommt in Umsetzung und Stil dem Klassiker jedoch am nächsten.

Künstliche Vergesslichkeit, zwanglose Innovation

Wachen können umgangen oder in die Bewusstlosigkeit gedrosselt werden, müssen dann versteckt werden, um nicht die Aufmerksamkeit ihrer Kollegen zu erregen. Dabei sei Spielern mit Erfahrung gleich angeraten, einen Schwierigkeitsgrad über „Normal“ zu wählen, denn bei diesem stellt die allgemein von wenig Planungsfähigkeit und großer Vergesslichkeit Computerintelligenz oft keine Herausforderung dar.

In vielen Situationen lassen sich Gegner auch massenhaft niederkämpfen, einzig Wachtürme und die etwas an die Strider aus Half-Life 2 erinnernden „Tallboys“ sind harte Nüsse. Auch das Balancing der Missionen könnte besser sein. So war beim Test ausgerechnet der vorletzte Auftrag des ganzen Spieles der einzige, der ohne Tötung eines einzigen Gegners zu Ende gebracht werden konnte.

Durchaus interessant ist der Aspekt, dass sich die Art und Weise, wie man ans Werk geht, ob man also oft den Kampf sucht und über viele Leichen geht oder lieber im Schatten verweilt, sich auf Handlung, Orte und künftige Missionen sowie das Ende auswirkt. Das Spiel, und hierin liegt die tatsächliche Innovation, zwingt dem Protagonisten zu keiner Zeit einen bestimmten Weg auf oder bestraft ihn für seine Wahl der Mittel.

Genremix

Auf dem Weg durch die Stadt können Geld und Runen gesammelt werden, die zum Erwerb von Ausrüstung bzw. magischer Fertigkeiten in einem überschaubaren Fähigkeitensortiment dienen. Letzteres umfasst sowohl passive Skills (größere Sprungkraft, Windstöße á la „Fus-Ro-Dah“) als auch aktive wie Teleportation oder Wand-Durchsicht. Diese eröffnen wiederum neue Lösungswege, da bestimmte Levelebenen ohne verbessertem Sprung nicht zugänglich sind.

Während die Schleichanlagen wie erwähnt stark an „Thief“ erinnern, sind die gut steuerbaren Kletterpartien mehr vom Schlage eines „Mirror’s Edge“ oder „Assassin’s Creed light“, auch das in diesem Bezug sehr ähnliche „The Saboteur“ kommt in den Sinn. Ein gelungener Mix zweier nicht unbedingt weit voneinander entfernter Genres.

Gut gesprochen

Musikalisch wie auch in Sachen Soundeffekten ist das Spiel gut hinterlegt. Wer kann, sollte das englischsprachige Original bevorzugen, für das sehr gute Sprecher gewählt wurden. Die deutsche Synchronisation ist gut, aber nicht ebenbürtig.

Fazit: Die Hoffnung lebt

Was bleibt von Dishonored? Das Game lässt sich wohl als evolutionäre Paarung aus Thief und Bewegungsfreiheit in nicht mehr taufrischer „Unreal Engine 3“-Optik beschreiben. Die Story bleibt auf der Strecke, die Atmosphäre funktioniert meistens trotzdem. Trotz so mancher Schwächen ist das Experiment geglückt, lädt jedoch trotz wandelbarem Verlauf nicht so wirklich zum Wiederspielen ein. Hoffnung auf mehr ruht in dem wahrscheinlich noch folgenden Downloadcontent.

Dishonored hat eine Basis gelegt, aus der sich viel machen lässt. Ein dystopisches Freeroaming-Game, dass nicht nur einzelne Karten, sondern eine komplette Steampunk-Stadt frei erkundbar macht und das Setting in eine mitreißende Erzählung steckt, beispielsweise. Das ist es, der Wunsch nach mehr, der dieses Spiel tatsächlich zu einem Hoffnungsträger macht.

Die PC-Ausgabe von Dishonored ist für rund 50 Euro erhältlich, für zehn Euro mehr gibt es die Versionen für aktuelle Konsolen – beispielsweise bei Amazon.de.

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