Demo zu Gothic 4 ist kein schöner Vorgeschmack

Gerade eben habe ich die Demo zu Arcania – Gothic 4 durchgespielt. Das 1,7 Gigabyte schwere Teil habt ihr in etwa einer Stunde durch. Der Einblick in die von Spellbound produzierte Serienwelt, die einst als deutsches Weltklassespiel gestartet und in der jüngsten Ausgabe einen schweren Imageknacks erlebte, lässt ein mulmiges Gefühl zurück: Wie ein Spiel für Gothic-Fans sieht das sicher nicht aus.

Storytelling ist eine Kunst, die nur wenige Spielentwickler wirklich pflegen. In einer Erzähl-Branche in der auch nach mehreren Jahrzehnten immer noch hauptsächlich Geschichten entwickelt werden, in denen die Rettung der Welt von einem mittel- und planlosen Noname (und vorzugsweise Waisenkind) abhängt, sind Perlen rar gesäht. Dabei sind aber gar nicht die großen Geschichten die Schwierigkeit, sondern die tausenden kleinen Details, die die Fiktion zum Leben erwecken sollen.

Gothic 4 wird vermutlich kein Spektakel an kreativer, glaubwürdiger Erzählkunst. Das Entwicklerteam weiß vermutlich selbst, dass hier kein Epos angedacht ist, sondern ein Spiel, das sich an ungeduldige Einsteiger auf PC, PS3 und Xbox 360 richtet. Aber ich wüsste nicht, wo die Regel geschrieben stehen soll, dass ein Spiel für Newbies automatisch jeglichen Anspruch verlieren soll. Neue Käuferschichten wollen vielleicht ein einfacheres, zugänglicheres Spiel, aber auch kein Storytelling auf dem Niveau eines Grundschulaufsatzes. Das Spiel jedoch startet ungefähr so (wer wirklich überhaupt nichts von der Geschichte wissen will, sollte ab hier nichts mehr zu lesen, ihr verhaut euch aber kein tolles Erlebnis, wenn ihr es doch tut):

Achtung: Meldungen in Fanforen zufolge haben die Entwickler bei der Demo etwas übersehen. Beim ungünstigen Herumstöbern im Questlogbuch soll das Ende des Hauptspiels auffindbar sein und auch das Ende der Demo sehr viel verraten. Wir haben aus Selbstschutz nicht herauszufinden versucht, ob das stimmt, aber es würde wenig Gutes für die Qualitätssorgfalt des fertigen Spiels vermuten lassen.

Ihr schlaft als Hirte unter einem Baum auf einer optisch netten, jedoch nicht außerordentlich spektakulären Insel (mit vielen unsichtbaren Barrieren und flimmernder Vegetation). Euer vollbusiges Mädel weckt euch. In der nächsten halben Stunde erfahrt ihr (von NPCs mit Gesichtszuckungen die nach dringender ärztlicher Behandlung schreien) folgende Details:

1. Der Vater eurer starrbusigen Freundin hat von eurer Liebelei erfahren
Würde so manchen Tunichtgut aus den Socken hauen, aber unser Held nimmts gelassen. Und der Vater auch. Kurz nach seinem sinngemäßen „Verpiss dich!“, hat er nichts dagegen.

2. Ihr beschließt, dass ihr sie heiraten wollt, um den Vater zu beruhigen.
Klar, das ist so eine Entscheidung, die trifft man in einem Gespräch mit sechs Sätzen

3. Dazu verlangt der Vater, dass ihr im Schnelldurchgang vom Hirten zum Kämpfer mutiert
Klar, wir vertreiben den großen, starken Schmuggler auf dem Hügel oben. Why not?

4. Eure Freundin ist schwanger
Mancher Mann müsste darüber grübeln, würde ausflippen, seine Jugend betrauern. Unser Held hats mit dem nächsten Halbsatz überwunden, dass er soeben in 15 Minuten von einer geheimen Liebelei in eine offizielle Ehe mit Kindern gestolpert ist.

5. Eure Freundin will in ein Kriegsgebiet, sonst heiratet sie euch nicht
Klar Babe, klingt vernünftig. Machen wir!

6. Eure Mutter ist gar nicht wirklich eure Mutter (also eh wieder ein Waisenkind?)
Pff! Warum sollte uns das irritieren und näher interessieren?

7. Ihr habt übrigens magische Kräfte – macht mal die Augen zu
Klar, zwar ist das Gegenüber eine uns nicht näher bekannte Hexe, die in einem finsteren Wald wohnt, aber wir vertrauen der Dame natürlich. Magische Kräfte sind sicher superdufte und megaknorke.

All das wird mit weniger als geschätzten fünf Minuten Dialog erzählt (von denen etwa fünf Sätze nahelegen, dass jemand beim Schreiben sowas wie einen Gedanken verschwendet hat) und scheint auf unseren geschätzten Hauptcharakter keinerlei mentale Auswirkungen zu haben. Obwohl: Vielleicht tue ich den Entwicklern ja unrecht. Ist die Mutation vom Hirten zum Superkämpfer gar ein Ausdruck des psychischen Konflikts in unserem Helden? Ist die Wucht, mit der er auf dem Chitinpanzer einer Mörderinsektenkönigin seinen Hirtenstab ausprobiert, ein wütender Hilferuf nach einer kurzen Verschnaufpause? Wir werden es in der Vollversion erfahren.

Die in der Demo nach diesen Erfahrungen noch folgende Passage, wo alles komplett aus dem Ruder läuft und wir Magier, Paladine und Steingolems im Vorbeigehen abschlachten dürfen soll in der Vollversion nicht enthalten sein und den Spielern einfach nur einen Vorgeschmack bieten. Warum die Entwickler den geben ist nicht erkennbar, denn er entlarvtdie Kämpfe als langweilend simpel und das dazugehörige Kampfsystem als unspektakulär. Die Qualität des Storytellings ändert sich in diesem vermutlich schnell dazugeschusterten Teil bezeichnenderweise nicht. Die letzten 25 Minuten lassen sich mit diesem Satz zusammenfassen: „Btw – ihr sitzt jetzt in dieser charmlosen Höhle voller Monster, viel Spaß beim Rausfinden!“ Unser nicht aus der Ruhe zu bringender Held, der vor 45 Minuten noch ahnungslos unter einem Apfelbaum geknackt hat, knackt daraufhin pferdegroße Monsterkäfer.

In der Readme-Datei des eher als Action-Adventure denn als Rollenspiel zu bezeichnenden Spiels steht ein seltsam erweitertes Zitat aus dem großartig erzählten und lustigen Buch Per Anhalter durch die Galaxis: „Machts gut und danke für den Fisch! Wir werden uns wiedersehen… dann aber richtig ;)“. Was das bedeutet, sei euren künsten Verschwörungstheorien überlassen.

Wer trotz unserer Skepsis nicht abgeschreckt wird, kann Gothic 4 über unseren Amazon-Partnerlink vorbestellen.

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